Body Shaming von der Familie: So gehst du am besten mit Sticheleien um
Mein kleiner Bruder verglich meine Oberschenkel einmal mit Schinken. Er war zu dem Zeitpunkt noch ein Kind und ich habe damals darüber gelacht. Seine Worte haben sich aber in mein Gedächtnis gebrannt. Sie kommen in jenen Momenten wieder an die Oberfläche, wenn ich Jeans anprobiere, darüber diskutiere, ob ein Rock die richtige Länge hat, oder in der U-Bahn neben fremden Personen sitze, die Thigh Gaps haben, und ihre Beine mit meinen eigenen vergleiche (hmm, ihre sehen im Vergleich zu meinen wie Hot Dogs aus).
Wenn du nach Hause fährst, um Zeit mit deiner Familie zu verbringen, solltest du dich darauf gefasst machen, von gut gesinnten, aber oft nervigen Familienmitgliedern mit Kommentaren bombardiert zu werden. Diese glauben nämlich oft, sie hätten das Recht, dich als „zu dünn“ bezeichnen zu können, dich zum Essen zu zwingen, oder dir sagen zu dürfen, du würdest „sehr gesund aussehen“ (was auch immer das verdammt nochmal bedeuten mag).
Expert:innen meinen, dass es Jahre dauern kann, solche Kommentare tatsächlich hinter sich lassen zu können – egal, ob sie lustig oder ernst sind, regelmäßig oder vereinzelt auftreten. Ob wir es wollen oder nicht, die Worte unserer Liebsten haben einen großen Einfluss auf uns. Glücklicherweise gibt es Wege, dich auf solche Zusammentreffen vorzubereiten. So bist du das nächste Mal gegen Gemeinheiten gewappnet und kannst Sticheleien schnell abschütteln.
Wenn du auf dem Weg zu einer Familienfeier bist, bei der es zu stichelnden Bemerkungen vonseiten bissiger Cousins oder einer übertrieben kritischen Großmutter kommen könnte, solltest du dir im Vorfeld ein paar emotionale Bewältigungsstrategien zurechtlegen. „Es gibt eine Menge Möglichkeiten, die subtil sind und uns erlauben, uns in solchen Situationen um uns selbst zu kümmern“, sagt Jenny Taitz, Psychologin für Essstörungen. „Es mag albern klingen, aber versuch doch während des Zusammentreffens, deine Hände zu massieren, die Farben um dich herum wahrzunehmen oder dein Lieblingsvideo von einem deiner Lieblings-Comedians gedanklich abzuspielen.“ (Dann kannst du gar nicht anders, als zu schmunzeln.)
Schadensbegrenzung ist viel einfacher, wenn du das Szenario bereits in deinem Kopfkino durchgespielt hast und einige schnelle Tricks kennst, um zu verhindern, dass du explosiv reagierst oder in ein Loch voller negativer Gedanken verfällst.
Wenn die Menschen, die dir am meisten am Herzen liegen, extrem unsensible Dinge zu dir sagen, ist es schwer, zu glauben, dass sie es in deinem eigenen Interesse tun. Manchmal verbergen sich hinter diesen harschen Kommentare aber bloß Sorgen, die ja schließlich nicht da wären, wenn du der anderen Person egal wärst. „Body Shaming seitens der Familie kann unbeabsichtigt sein“, sagt Familientherapeutin Joy Jacobs. „Oft kritisieren Mütter das Gewicht ihrer Töchter, um ihnen dabei zu ‚helfen‘, attraktiver auszusehen, um somit mehr Dates ans Land zu ziehen, sich glücklicher zu fühlen oder erfolgreicher zu werden. In anderen Fällen kann es sein, dass es ein Familienmitglied als seine Aufgabe sieht, den anderen die ‚Wahrheit‘ über ihr Aussehen zu verraten.“
Wenn deine Mutter also das nächste Mal erwähnt, dass deine Kleidung enger anliegt als sonst, solltest du dir in Erinnerung bringen, dass das verzweifelter Versuch ihrerseits sein könnte, dir zu zeigen, dass sie sich um dich sorgt.
Wenn deine Schwester eine „scherzhafte“ Bemerkung über deinen neuen Haarschnitt oder dir ein zweideutiges Kompliment macht und erklärt, du würdest aussehen, als hättest du abgenommen, solltest du probieren, nichts darauf zu erwidern. „Keine Antwort zu geben, kann die beste Reaktion auf eine Stichelei sein“, meint Dr. Jacobs. „Schau dieser Person direkt in die Augen und sag einfach gar nichts.“ Das zeigt, dass du zwar gehört hast, was die Person gesagt hat, dich aber nicht weiter darauf einlassen willst, was Übeltäter:innen dabei helfen kann, ihren Fauxpas zu erkennen. Vielleicht fühlen sie sich nach deiner Reaktion sogar peinlich berührt. In einer solchen Situation kann es auch ratsam sein, mit folgender Frage zu kontern: „Warum willst du das wissen?“
Das ist der einzige Moment, in dem es ohne Frage in Ordnung ist, zum Telefon zu greifen – selbst bei einem offiziellen Familientreffen. Schnapp dir also deine Handtasche, geh auf die Toilette und ruf deine einfühlsamsten Freund:innen an oder probier es bei jenen, die für gewöhnlich abheben oder so schnell wie möglich zurückrufen. Dich über unhöfliche Kommentare auszulassen, kann nämlich sehr befreiend und kathartisch auf dich wirken: „Meine Großmutter hat beim Essen gerade vor allen gefragt, was ich denn im Gesicht hätte. Ähm, ist sie zu alt, um sich an Pickel zu erinnern?“ Expert:innen sind sich einig, dass moralische Teilnahme durch deine Wahlfamilie der Schlüssel dazu ist, diese Augenblicke mit intaktem Sinn für Humor (und geistig gesundem Zustand) zu überstehen.
Anstatt einen Kommentar immer wieder in deinem Kopf durchzuspielen und dich auf diese Weise nur selbst zu quälen, solltest du es dir erlauben, dich zu ärgern, traurig zu sein oder dich gedemütigt zu fühlen. Es ist einfacher, negative Gefühle loszuwerden, nachdem man sie akzeptiert hat. Außerdem bringt es nichts, so zu tun, als ob es dir gut ginge. „Zu lächeln, wenn dir eigentlich nicht danach ist, fordert seinen Tribut“, sagt Dr. Taitz. „Wir fühlen uns oft schlechter, wenn wir unsere Emotionen unterdrücken.“ Das bedeutet aber nicht, dass du dich ewig in deinen negativen Gefühlen suhlen solltest. Wenn dir die Person in Frage wichtig ist und du den Kontakt aufrechterhalten willst, solltest du sie vielleicht beiseitenehmen und ihr in aller Ruhe erklären, wie sich ihre Worte emotional auf dich ausgewirkt haben. „Proaktiv zu sein, kann deine Selbstachtung immens stärken“, sagt sie. „Für andere ist es viel einfacher, unsere Bedürfnisse zu erfüllen, wenn wir Dinge direkt ansprechen und unmissverständlich erklären, was für eine Verhaltensänderung wir zukünftig von unserem Gegenüber erwarten. Du kannst zum Beispiel so etwas sagen wie: ‚Ich mag es nicht, wenn du Bemerkungen zu meinen Beinen machst.‘“
Es mag vielleicht drastisch klingen, aber gelegentlich ist es das Beste, sich von manchen Menschen zu trennen oder eine Zeit lang für Funkstille zu sorgen. Das umzusetzen, kann sich bei einigen Familienmitgliedern – wie deiner Mutter oder deinen Geschwistern – als schwierig erweisen. Wenn du dich in ihrer Anwesenheit allerdings ständig unwohl fühlst, solltest du in Betracht ziehen, die Zeit, die du mit ihnen verbringst, einzuschränken. „Es gibt Personen, die dich immer verletzen werden, egal, wie sehr du dich auch mental auf ihre verbalen Angriffe vorbereitest. Sie haben es einfach in sich, dir im Handumdrehen unglaublich weh zu tun. Frieden zu schließen kann hier die Notwendigkeit bedeuten, Raum zu schaffen – im übertragenen Sinne und buchstäblich –, falls nötig“, sagt Familieninterventionist Brad Lamm. Wenn das keine Option für dich ist, solltest du versuchen, klare, neue Grenzen zu setzen. Das kann bedeuten, dass ihr euch vielleicht von nun an seltener seht oder du Treffen kürzer halten musst.
Wenn dich jemand runtermacht, liegt die Entscheidung bei dir, ob du dir ein solches Verhalten gefallen lassen willst oder nicht. Es ist nichts Ungewöhnliches und völlig menschlich, sich durch Kritik verunsichert zu fühlen – besonders, wenn sie von Familienmitgliedern kommt. Wenn es dir aber gelingt, dir deine Stimmung nicht durch diese herabwürdigenden Worte verderben zu lassen und du dich gedanklich von ihnen distanzieren kannst, wirst du es schaffen, das Kommando über deine Gefühle zu behalten. So kannst du zeigen, dass du dich weigerst, das Opfer von jemandes Unsensibilität oder mangelnder Urteilsfähigkeit zu sein. „Wir alle müssen lernen, uns selbst zu lieben, egal was jemand anderes über uns sagt oder denkt“, fügt Jacobs hinzu. „Das bedeutet nicht, dass beleidigende Kommentare nicht wehtun. Wir können sie aber dazu nutzen, um menschlich zu wachsen und unsere Fähigkeit zu stärken, schwierige Situationen mit Anmut und Würde zu meistern.“ Das kann man wohl laut sagen.
Like what you see? How about some more R29 goodness, right here?
Body Positivity ist viel mehr als nur ein Hashtag
