Kinderkram | Und ganz doll mich
Der österreichische Philosoph Robert Pfaller saß in einem Flieger in die USA und wollte sich Michael Hanekes Film Amour ansehen. Bevor der losging, wurde eine Warnung vor „adult language“, also Erwachsenensprache, eingeblendet. Pfaller ärgerte sich und der Titel seines neuen Buches war geboren. Mit Erwachsenensprache nimmt Pfaller eine politische Bestandsaufnahme vor. Für ihn ist Erwachsenensprache genau das, was momentan abhandenkommt. Die Warnung im Flugzeug ist für Pfaller das Sympton einer Zeit, die Befindlichkeiten, Verletzungen, Fehler und Schwächen höher schätzt als ein erwachsenes Miteinander. Pfaller, der an der Kunstuniversität Linz unterrichtet, sieht diese Entwicklung vor allem in den USA, aber immer mehr auch in Europa.
Du verzärteltes Opfer!
Um Pfallers Buch zu lesen, muss man schrillende Alarmglocken zu ignorieren verstehen. Die klingeln schon beim Titel des Buches: Der Vorwurf, kindisch zu sein, wird besonders gerne angeführt, um Menschen und ihre Anliegen nicht ernst nehmen zu müssen. Doch Pfaller hat spannende Gedankenexperimente und einiges an ernst zu nehmender Kritik zu bieten. Also, Wohlwollen voraus!
Pfallers Hauptthese ist, dass der Fokus auf marginalisierte Gruppen, auf Sichtbarkeit und Anerkennung, Hand in Hand geht mit einem neoliberalen Programm. Eine Befindlichkeitspolitik, in der Opfer-Sein belohnt wird, ist das zärtliche Gewand für brutale Verhältnissse. De facto seien deswegen heute nur neoliberale Austeritätspolitik oder Rechtspopulismus die beiden großen Alternativen. Pfallers Buch ist also in erster Linie ein schwerwiegender Vorwurf an die europäische Linke: sie habe sich ihre Themen neoliberal diktieren lassen und über die verschiedenen Kleingruppen und ihre Anliegen den Materialismus vergessen. Weniger das Sein, sondern das Haben sei aber das große Problem unserer Zeit. Nicht über Identität, sondern erst über Umverteilung komme man zu einer linken Politik .
Pfaller wendet sich gegen Political Correctness, postmoderne Theorie, Sprachpolitik, Inklusion und Diversität. Alles beliebte Zielscheiben, über die sich auch gerne von rechts lustig gemacht wird. Pfaller ist nicht daran interessiert, die verschiedenen Kämpfe, die er da attackiert, aus der Perspektive derer, die sie betreffen, nachzuvollziehen. Erkennt der bekannte Identitätspolitik-Kritiker Mark Lilla (The Once and Future Liberal) in den USA noch das ehrliche Interesse an, das die unterschiedlichen Ausformungen der identity politics geleitetet habe, nämlich die besonders Verletzlichen zu schützen, findet Pfaller gar nichts Gutes daran. Von seinem Standpunkt aus geht es um den Hauptwiderspruch. Der ganze Nebenkram ist zu vernachlässigen.
Pfaller bezeichnet zum Beispiel die Sorge um eine angemessene Bezeichnung, also als Schwarzer, als Latino und so weiter adressiert zu werden, als lächerlich. Die tatsächlich Armen müssten sich nicht um so eine Oberflächlichkeit kümmern. Erwachsensein ist für Pfaller sowohl eine Haltung, die er auch psychoanalytisch zu erklären versteht, als auch eine bestimmte Art zu sprechen, die davon ausgeht, es mit einem ebenso erwachsenen Gegenüber zu tun zu haben. Erwachsenensprache: ein Gradmesser dafür, sich als bürgerliches Subjekt wahrzunehmen, das mit bestimmten widrigen Umständen eben klarkommt.
Wie wenig Pfaller bestimmte identitätspolitische Anliegen ernst nimmt, zeigt seine Beschäftigung mit dem Begriff mansplaining. Der Begriff geht zurück auf die US-amerikanische Autorin Rebecca Solnitt und meint den selbstbewusst-männlichen Machtgestus, einer Frau ungefragt etwas zu erklären. Pfaller unterstellt Feministinnen Ironieverlust, Verbissenheit und Spielfeindlichkeit. Er versteht den Begriff so, als ob Feministinnen sich dafür einsetzen würden, dass nie wieder Männer Frauen etwas erklären. Als ob! Hier zeigt sich ein verbreitetes Missverständnis oder ein verbreiteter Verständnis-Unwillen: Als ob die Kritik am Herrklären dazu führen würde, auch Komplimente, das Türaufhalten oder einer Frau zu helfen, etwas Schweres zu tragen, zu verbieten.
Männliches Erklären beschreibt Pfaller dagegen als bestimmte Form der Höflichkeit. Er beschreibt die guten alten Zeiten, in denen Frauen das Privileg hatten, das Gespräch nicht beginnen zu müssen. Das weibliche Nachfragen nach Gesprächseröffnung durch den Mann und die damit erzielte Möglichkeit, das Gespräch zu lenken, habe auch eine bestimmte Macht bedeutet. So wie die mit power of the pillow beschriebene Macht der Ehefrau, die aber selbst nicht als Person öffentlich auftritt. Pfaller scheint (auf kindische Art und Weise?) einer alten, geordneten Welt nachzuhängen. Denn warum kann heute nicht auch die Frau Gentleman sein, dem Mann etwas erklären? Spielerisch wäre es, auch Rollen tauschen zu können. Höflich sein kann ja auch bedeuten, Menschen so anzusprechen, wie sie sich das wünschen.
„Du Typ!“, möchte man Pfaller da entgegenschleudern: „Der Weg nach vorne kann nicht nur im Blick zurück liegen.“ Die Anliegen der verschiedenen marginalisierten Gruppen sind mit materialistischen Fragestellungen verknüpft, das müssen alle, die sich Umverteilung wünschen, berücksichtigen, wenn sie nicht alleine dastehen wollen, um ihren Kampf zu führen. Wenn zum Beispiel die Abwertung und Unsichtbarmachung unbezahlter Reproduktionsarbeit als Teil kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse gedeutet wird, kann die feministische Frage kein Nebenwiderspruch mehr sein. Es wäre doch schön, gerade nicht in die Spaltungsfalle zu tappen – Minderheiten gegen weiße Mehrheitsbevölkerung –, sondern die Verstrickung der Ungerechtigkeitsverhältnisse und ihre Möglichkeiten zur Verbindung zu sehen.
Stark ist Erwachsenensprache aber insbesondere, wenn es um Lust und Humor geht. Pfaller schätzt beide sehr und zeigt auch ihre politische Dimension auf. Lust und Humor sind notwendig, um anderen wohlwollend und großzügig begegnen zu können und Solidarität zu ermöglichen. Die Rechtspopulisten hätten das Feld des „ich lasse mir nicht vorschreiben, wie ich zu reden habe und ich kann auch Scherze machen“ besetzt, und das mache ihren großen Erfolg aus, schreibt Pfaller. Der Philosoph konstatiert eine ansonsten weit verbreitete Lustfeindlichkeit. Das habe auch damit zu tun, dass in unserer kapitalistischen Gesellschaft das Effizienzdenken über alles gestellt wird. Da aber Lust und Effizienz einander ausschließen, wird Lust immer häufiger zugunsten der Effizienz geopfert.
Pfaller beschreibt als Folge den Aufstieg einer Mit-ohne-Gesellschaft (Bier ohne Alkohol, Wurst ohne Fleisch, Rauchen ohne Nikotin usw.). Das Buch ist auch ein Plädoyer für das Feiern. Feiern gehe als soziale Praxis damit um, dass Lust nicht vernünftig ist. Dabei knüpft Pfaller an sein erfolgreiches Buch Wofür es sich zu leben lohnt an, das 2011 erschien. Er zieht Bertolt Brechts Gedicht Resolution der Kommunarden aus dem Jahr 1934 heran:
Einmal mit ohne alles, bitte
„In Erwägung, dass ihr uns dann eben mit Gewehren und Kanonen droht / haben wir beschlossen, nunmehr schlechtes Leben mehr zu fürchten als den Tod.“ Wenn die Frage, wofür es sich zu leben lohnt, nicht beantwortet sei, komme es zur Ausbildung von Ressentiments: Ich sehe dann in den anderen nur etwas, was ich selbst nicht haben kann, den endlosen Genuss. Und momentan wimmele es nur so davon. Pfaller beschreibt, wie genau Ressentiments funktionieren, dass sie keine Scham kennen und etwas Paranoisches an sich haben. Zum Beispiel gehöre zum Ressentiment der Wunsch, sich selbst als grenzenlos gut und harmlos zu empfinden. Im Kleinen ließe sich jedoch auch fragen: Ist Pfallers Buch frei von Ressentiments, zum Beispiel gegenüber denen, die er als kindisch bezeichnet? Es ist ein Zeichen von guten Theorien, dass sie direkt angewandt und ausprobiert werden wollen – möglicherweise auch auf die jeweilige Theorie selbst.
Robert Pfallers große Frage lautet so: „Warum kämpfen die Leute plötzlich nur noch um Anerkennung? Und nicht etwa um Gleichheit?“ Doch Frauen und die Arbeiterklasse mussten dafür kämpfen, als mündige Bürger anerkannt zu werden. Genauso wie Homo-, Trans-, oder Intersexuelle. Und diese Kämpfe gehen auch heute weiter, sind keinesfalls obsolet geworden. Manche Menschen sind eben immer noch gleicher als andere. Deswegen ist Anerkennung notwendig. Das ist möglicherweise weder eine Frage des Habens noch des Seins, sondern viel eher eine Frage des gegenseitigen Bezugs aufeinander.
Info
Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur Robert Pfaller, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017, 14,99 €
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