Weinheim: Alle wissen, dass etwas passieren muss
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Von Philipp Weber
Weinheim. Trotz des beinahe einstimmigen Votums der Stadträte, schwarzer Zahlen und vieler warmer Worte für den scheidenden OB Heiner Bernhard: Zum Jubeln war keinem der Fraktionssprecher zumute, als der Gemeinderat die Haushaltssatzung 2018 und die Mittelfristige Finanzplanung bis 2021 verabschiedete. Dafür machten alle deutlich, dass viel passieren muss - wenn Weinheim auch in Zukunft zahlungskräftig bleiben will.
> Holger Haring (CDU) sieht die Probleme, die auf die Stadt zukommen: "Ende 2020 wird die Liquidität nur noch 3,7 Millionen Euro betragen." Aktuell liegt man - dank einer brummenden Konjunktur - bei 40 Millionen Euro. Man müsse sich daher gut überlegen, welche öffentlichen Einrichtungen man braucht. Keinesfalls sparen dürfe man indessen an der Zukunft: der Digitalisierung. Unter anderem die CDU hatte hier erfolgreich für mehr Geld und eine zusätzliche städtische Stelle plädiert. Auch in Sachen Wohnraum sei noch viel zu tun. "Ein Leben lang zur Miete wohnen, ist der erste Schritt in die Altersarmut." Grundstücke müssten deshalb auch per Erbbaurecht vergeben werden. Von einer "Netto Null" beim Flächenverbrauch - gerade mit Blick auf Gewerbegebiete - müsse man sich indessen verabschieden. Vielmehr rief Haring dazu auf, Partikularinteressen zum Wohle der Stadt zurückzustellen.
> Auch Wolfgang Metzeltin (SPD) ordnete die zuletzt positive Entwicklung kritisch ein. Dass die Einnahmen in Höhe von 128,6 Millionen Euro die Aufwendungen (126,5 Millionen Euro) mehr als ausgleichen, liege auch an nicht abgerufenen Mitteln für die DBS-Halle. Diese wird erst fertigsaniert, wenn die Halle des geplanten Schulzentrums West steht: "Weinheim hat zumindest mittelfristig ein strukturelles Problem." Stelleneinsparungen kommen für die SPD nicht infrage, das Wohnungsangebot schreie nach Verbesserungen und der Einrichtung einer Wohnungsbaugesellschaft. Zudem kosten günstigere Angebote Geld in Form von geringeren Grundstücks-Verkaufseinnahmen. Metzeltin sprach sich für Gewerbeflächen aus und ließ die Breitwiesen nicht außen vor. Die SPD schätze den Bürgerentscheid von 2013 nicht gering. Man könne das Potenzial dieses Areals aber nicht ignorieren.
> Gerhard Mackert (Freie Wähler) sagte: "Was uns zurzeit nicht gelingt, ist Rücklagen zu schaffen - für schlechtere Zeiten." Personal könne man nicht einsparen. Um städtische Immobilien zum Preis von 4,8 Millionen Euro renovieren zu können, brauche es Mitarbeiter. "Heimat ist finanzierbares Wohnen", plädierte er für ein Mieterbenennungsrecht durch die Stadt. "Ohne Ausweisung eines weiteren Gewerbegebiets geht es auf die Dauer nicht", so Mackert. "Breitwiesen oder Tiefgewann - ohne Ausweisung als Hochwasser-Schutzgebiet - wären die Favoriten." Er schalt die Anwohner des künftigen (Klein-)Gewerbegebiets Hintere Mult für deren "Gezeter" am seit 2004 geltenden Flächennutzungsplan aus. Auch die Ortsteilvertreter bekamen einiges zu hören: "Ohne ein Gewerbe-Neubaugebiet gibt es keine neuen Hallen." Wie sein Vorredner lobte er aber auch die Weinheimer Bildungskette.
> Elisabeth Kramer (GAL) forderte Lösungen ein, die "ohne Schuldzuweisungen und die Antwort, man könne an Personal und Leistungen nicht sparen" auskommen. Sie forderte dazu auf, die Bürger zu beteiligen: "Sie wären zu Einsparungen bereit." Beteiligung sei auch das Stichwort, wenn es um langfristige Investitionen geht. Entscheiden müsse der Gemeinderat. "Aber er kann es sicherer tun." In Digitalisierung müsse und werde investiert werden. In Sachen Wohnen sprach auch sie sich für Erbpachtregelungen aus - und schloss sich dem Ruf der SPD nach "Hoffnungshäusern" an, in denen Alte und Junge, Deutsche und Ausländer zusammenleben. Beim Thema Gewerbegebiete warte sie noch auf das Protokoll der Klausurtagung im Sommer. Die "sensibilisierte Bürgerschaft" will sie mitnehmen und den Ausgleich mit Natur- und Landschaftsschutz suchen.
> Simon Pflästerer (WL) fand keine warmen Worte für OB Bernhard: "16 Jahre Haushaltseinbringung bedeuten 16 Jahre Verwalten des Mangels." Kaum sei mal ein kleines Plus abzusehen, würden "Nice to have"-Maßnahmen beschlossen. So seien 120.000 Euro für neue Beschilderungen im digitalen Zeitalter anachronistisch. Apropos: Die neue Stelle für Digitalisierung sei ein Ansatz - dem aber ein Konzept fehle. Heidelberg habe hiefür eine GmbH gegründet. Doch Überlegungen, die Zweiburgenstadt konzeptionell an die digitale Spitze zu führen, scheiterten an der Weinheimer "GroKo". Beim Thema Gewerbe frage er sich, woher das Geld für die Erschließung eines Areals wie den Breitwiesen kommen solle. Gewerbe sei kein Allheilmittel, vielmehr gelte: "Haushaltskonsolidierung gelingt nur durch Ausgaben-Reduzierung." Um zu wissen, wohin man dabei wolle, brauche es ein Leitbild und eine digitale, transparente Haushaltsführung, so Pflästerer.
> Im Gegensatz zu ihrem Vorredner stimmte Andrea Reister (FDP) dem Etat zu. Sie übte aber heftige Kritik: "Das schöne Ergebnis von 2018 liegt auch daran, dass die Verwaltung trotz sprudelnder Millionen die Begehrlichkeiten in den Ortsteilen zügelt." Bei den Sozial- und Betreuungsleistungen trage man dagegen Lasten, "die für kommunale Finanzen nicht gemacht sind". Auch die 24 Millionen Euro für das Schulzentrum West seien zu viel: Ein Ersatzbau für die marode Albert-Schweizer-Schule hätte gereicht: Dass außer der FDP keiner mehr für die Hallenprojekte kämpfte, sei dagegen beschämend. Eine These war hochkontrovers: Die 3,5 Millionen Euro schweren Abstriche bei der Vermarktung der Allmendäcker (günstiges Wohnen), seien mit defizitären Ergebnishaushalten nicht vereinbar, so Reister. Wer die Infrastruktur der Odenwald-Ortsteile stärke, erhalte eher Wohnraum.
> Carsten Labudda (Die Linke) übte Systemkritik. Die Kommunen bekämen immer mehr Aufgaben zugewiesen - aber zu wenig Geld dafür. Vielmehr stünden sie in Konkurrenz zueinander, da sich jeder über Gewerbesteuern finanziere. Die Folge: "Wenn wir uns nicht kaputtsparen wollen, müssen wir auf die Einnahmeseite schauen." Seine Hoffnungen ruhen auf dem Tiefgewann, das auf die Dauer ohnehin keine Hochwasserzone bleiben könne: "Dass die Freudenberg-Hallen nebenan Bestandsschutz genießen, ist einer überlaufenden Weschnitz egal." Auch er lobte die Bemühungen, mit der Digitalisierung Schritt zu halten - und dass es eine Fach- statt einer Stabsstelle dafür geben soll. Sein Lob galt auch den Maßnahmen für günstigen Wohnraum und den Bildungsangeboten. Kritisch sieht er, dass die Stadt die Förderung von Tagesmüttern nicht erhöht - und kein Ratsinformationssystem hat.