WM-Serie (3/13): Lukas und die Burschen
Das sagt unser Mann
Eigentlich müsste er Lukas Alexandersson heißen, denn in Island ist es üblich, den Vornamen des Vaters mit dem Suffix -son (Sohn) als Nachnamen zu tragen. Doch Lukas‘ Vater Alexander Petersson ist Lette (Aleksandrs Pētersons) mit schwedischen Wurzeln. Was das Ganze mit Island zu tun hat? Papa Petersson, seit 2012 im Dienste der Rhein-Neckar Löwen, ist Profi-Handballer und heuerte Ende der 90er Jahre auf der Vulkaninsel an. Hier lernte er seine Frau, Lukas‘ Mutter, kennen, nahm die isländische Staatsbürgerschaft an und wurde isländischer Nationalspieler. Lukas kam 2004 in Düsseldorf, wo sein Vater von 2003 bis 2005 spielte, auf die Welt, und hat einen isländischen Pass. 2012 stieß er zum Kinderperspektivteam der TSG, seit 2015 ist er mit dem Eintritt in die U12 ein „echter TSGler“. Mit der Physis des Papas ausgestattet, spielte er zunächst in der Defensive, ist aber mittlerweile eine weitere Verteidigungslinie nach hinten gerückt und stand in der abgelaufenen Saison in der U14 im Tor.
„Meine Mutter ist aus Reykjavík. Ihre ganze Familie lebt dort und mein bester Freund auch“, sagt Lukas, der selbst isländisch spricht und zwei bis drei Mal pro Jahr auf der Insel zu Besuch ist, sofern es der Vulkan Eyjafjallajökull zulässt und nicht – wie in 2010 zuletzt geschehen – durch eine Eruption den europäischen Flugverkehr lahmlegt. Das aktuelle Bild im Island-Trikot hat der U14-Keeper für achtzehn99.de vor der Hallgrímskirkja, dem Wahrzeichen der Hauptstadt, aufgenommen.
Die Verbindung zu Island ist also sehr eng. „Ich drücke der isländischen Nationalmannschaft in Russland die Daumen, aber sobald sie ausscheidet, bin ich natürlich für Deutschland“, so Lukas, der bei den Aufenthalten im Geburtsland seiner Mutter vor allem die Natur genießt. „Die Landschaften sind einfach nur fabelhaft und erstaunlich. Und es gibt auch die besten Burger und Hot Dogs der Welt“, behauptet er. „Die Menschen sind sehr nett und lockerer als hier, was mir etwas mehr liegt.“
Handball war eigentlich die Sportart Nummer eins auf Island. 2008 gewann Petersson senior mit der Nationalmannschaft sensationell Olympia-Silber, die gesamte Insel stand damals Kopf. Doch durch die jüngsten Erfolge der Fußballer sind auch diese in den Fokus gerückt. Beiden Nationalteams gemeinsam ist übrigens der Spitzname: „Strákarnir okkar“, was sich mit „Unsere Burschen“ übersetzen lässt. Die Spiele der „Burschen“ haben für Lukas immer eine besondere Bedeutung. „Wir können leider nicht immer alle Partien sehen, weil die Livestreams des isländischen Staatssenders RUV hier meistens nicht übertragen werden.“ Und wenn das doch mal der Fall ist, schaut Lukas die Spiele bewusst mit der Familie, weil es mit Ausnahme von Guðjón Valur Sigurðsson, dem Teamkollegen seines Vaters bei den Löwen, einfach keine Isländer im Umfeld gibt. „Wenn ich in Island bin, gucke ich ebenfalls mit der Familie, aber auch zusammen mit Freunden.“
Lukas‘ Lieblingsspieler in der Nationalmannschaft ist Aron Einar Gunnarsson, der schon seit 2011 beim Premier-League-Aufsteiger Cardiff City unter Vertrag steht. „Er repräsentiert die isländische Wikinger-Mentalität am eindrucksvollsten. Er gibt nie auf und kämpft immer, um sein Ziel zu erreichen!“
In Russland traut Lukas den „Burschen“ einiges zu. Für das heutige Spiel gegen Argentinien sagt er ein 2:1 voraus, „weil Argentinien gerade nicht gut in Form ist und Island bei großen Turnieren bis jetzt immer eine starke Leistung gezeigt hat. Insgesamt glaube ich, dass es Island bis ins Viertelfinale schafft.“ Als künftigen Weltmeister sieht er hingegen die Brasilianer: „Sie haben überragende Einzelspieler, funktionieren aber auch als Team sehr gut.“
Der Weg nach Russland
Eigentlich begann der Anflug auf Russland schon während der EM 2016 in Frankreich. Vor Turnierbeginn hatten nur wenige die Isländer, die zum ersten Mal bei einem großen Turnier starteten, auf dem Zettel. Dabei hatten die „Wikinger“ schon 2013 für Furore gesorgt, als sie in der WM-Qualifikation erst in den Playoffs an Kroatien scheiterten. Doch spätestens seit dem Gala-Auftritt vor zwei Jahren, als sie angepeitscht vom Huh-Schlachtruf ihrer Fans einen Sensationssieg gegen England landeten und sogar das Viertelfinale erreichten, wird das Land, das in etwa so viele Einwohner wie Mannheim hat, nicht mehr unterschätzt.
In der WM-Qualifikation 2018 stürmte die Elf von Trainer Heimir Hallgrímsson – der sich den Cheftrainersessel bis 2016 mit dem Schweden Lars Lagerbäck teilte und seit der EM alleinverantwortlich das Team leitet – zum Gruppensieg und ließ neben der Türkei und der Ukraine auch ausgerechnet die Kroaten hinter sich. Island gewann alle fünf Heimspiele im Nationalstadion Laugardalsvöllur und blieb dabei vier Mal ohne Gegentreffer. Die endgültige Qualifikation sicherten sich die Isländer im letzten Gruppenspiel durch ein 2:0 zu Hause gegen Kosovo.
BEKANNTE NAMEN
Natürlich muss Gylfi Sigurðsson hier an erster Stelle genannt werden. Der Mittelfeldspieler, der ebenso wie Lukas Peterssons Lieblingsspieler Gunnarsson im Mittelfeld gesetzt ist, kickte von 2010 bis 2012 für die TSG. Aber auch ohne Hoffenheimer Vergangenheit wäre der 28-Jährige das Aushängeschild des Teams, schließlich hat er mehrere Jahre bei Top-Klubs in der Premier League vorzuweisen.
Zu spät kommt die erste WM-Teilnahme Islands für den lange Jahre bekanntesten isländischen Fußballer Eiður Guðjohnsen, der unter anderem für Eindhoven, Chelsea und den FC Barcelona am Ball war. Der mittlerweile 39-Jährige lässt seine aktive Karriere derzeit in Indien ausklingen. 1996 schrieb er Fußball-Geschichte, als er bei einem Länderspiel Islands für seinen Vater Arnór eingewechselt wurde. Das hat es im Weltfußball zuvor und danach nie gegeben.
Aus der Bundesliga bestens bekannt ist der Augsburger Alfreð Finnbogason, im Tor wird der 34-jährige Veteran Hannes Halldórsson seinen Karrierehöhepunkt feiern. Mit dem Mittelfeldspieler Rúrik Gíslason steht sogar ein Akteur des SV Sandhausen im Kader, der fast ausschließlich aus Legionären besteht. Der einzige Spieler, der in der isländischen Liga aktiv ist, steht beim amtierenden Meister Valur („Falke“) aus Reykjavík unter Vertrag, ist Abwehrspieler und heißt Birkir Sævarsson.
WM-Historie
Was die isländische WM-Historie angeht, sitzen wir vor einem leeren Blatt Papier. Das erste Kapitel wird nun in den kommenden Wochen geschrieben. Ob dann erneut ein TV-Kommentator, wie Guðmundur Benediktsson bei der EM 2016, kindliche Glücksschreie ins Mikrofon brüllt, die dann auf allen Fernsehkanälen weltweit abgespielt werden, muss sich zeigen. Benediktssons Sohn, Albert Guðmundsson, ist übrigens Profi bei der PSV Eindhoven – und steht im aktuellen WM-Kader!
Da der isländische Verband erst 1947 gegründet wurde, nahm die Nationalmannschaft erstmals für die WM 1958 an den Qualifikationsspielen teil, kassierte zunächst aber ausnahmslos Klatschen. Erst nach zwölf Niederlagen in Serie gelang am 11. Juni 1977 beim 1:0 gegen Nordirland der erste Sieg. Fast auf den Tag genau 41 Jahre später debütiert Island nun bei einer WM.
Fakten
Verband
KSÍ | Knattspyrnusamband Íslands [Isländischer Fußballverband]
Gründung
1947
Spitzname der Nationalmannschaft
Strákarnir okkar („Unsere Burschen“)
WM-Teilnahmen
-
Größter WM-Erfolg
-
WM-Duelle gegen Deutschland
-
Trainer
Heimir Hallgrímsson (seit Juli 2013)
FIFA-Weltrangliste
22.
Große Klubs
Valur, KR, Fram (alle Reykjavík), FH (Hafnarfjörður), ÍBV (Vestmannaeyjar), ÍA (Akranes)
Aktueller Meister / Pokalsieger
Valur (Reykjavík) / ÍBV (Vestmannaeyjar)
Einwohner (Weltrangliste)
350.000 (177.)
Fläche
103.000 km2 (Verhältnis zu Deutschland 1:3,5)
Termine
Sa., 16.06., 15 Uhr: Argentinien – Island [Moskau]
Fr., 22.06., 17 Uhr: Nigeria – Island [Wolgograd]
Di., 26.06., 20 Uhr: Island – Kroatien [Rostow]
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