Enjoy Jazz in der Champions League: Mit Archie Shepp und Jan Gabarek erreicht das Festival die höchsten musikalischen Weihen
Von Klaus Welzel
Heidelberg. Das Saxofon ist das Instrument im Jazz schlechthin. Hätte der Belgier Adolphe Sax diesen Messingbläser nicht 1840 erfunden - die Musik von Ornette Coleman, Stan Getz oder George Gershwin wäre undenkbar. Besser gesagt: Unhörbar. Oder halt nicht so. So intensiv. So gut. So leicht. So erfrischend. Kurzum: Wenn so ein Saxofon von einem Könner gespielt wird, dann ist es die Krone der Jazzschöpfung. So geschah es im Rahmen des Enjoy Jazz Festivals zweimal an diesem Wochenende: Einmal beim Auftritt von Archie Shepp gemeinsam mit dem Pianisten Jason Moran in der Alten Feuerwache in Mannheim, dann beim grandiosen Konzert der Jan Gabarek Group in der Heidelberger Stadthalle.
Beide Saxofonisten, der eine, Shepp, 81 Jahre alt, der andere, Gabarek, 71, machten das Gleiche, was sie jeweils seit Jahrzehnten machen: Shepp bändigt den Freejazz und kreiert Sehnsüchte nach den Pariser Jazzklubs der 50er und 60er Jahre. Man könnte auch sagen, er haucht Melodien wie "Somewhere" aus der "Westside Story" neues, spielerisches, leichtes Leben ein. Dabei lässt er seinem Mitspieler, Moran, ausreichend Freiraum. Ein kongeniales Spiel der Leichtigkeit. Das Duo treibt zwar Melodien und Rhythmen vor sich her, doch diese lautmalerische Treibjagd ist höchstvergnüglich. Ein Erlebnis der besonderen Art.
Ordnete sich Stepp am selben Ort noch zwei Tage zuvor der Kraft des französischen HipHop-Ensembles, "Arnachist Republic of Bzzz", unter, so handelt es sich hier um einen Auftritt zweier Gleichberechtigter. Wobei vor allem der alte Jazzprofi den öffentlichen Auftritt wie aus dem Effeff beherrscht. Dreimal singt er mit seiner leicht blechernen, aber durchaus kraftvollen Stimme. Die Vokale klingen dann zwar etwas vernuschelt, aber die Energie in diesem Mann bleibt spürbar. Ganz am Ende schreit er dann ein wunderbares "Wow" - der Saal tobt, steht, applaudiert. Ein Dankeschön für die intensivsten 90 Minuten dieses Festivals. Großartig.
Kaum anders endet tags darauf in der Heidelberger Stadthalle der Auftritt der Jan Gabarek Group, die etwas länger spielt - sich dabei aber deutlich von Shepp unterscheidet. Zuerst einmal sagt Jan Gabarek: nichts. Das macht er nie. Und deshalb ist er, der manchmal geradezu spitzbübisch lächeln kann, auch auf Trilok Gurtu, den indischen Perkussionisten, angewiesen, der diesen Abend im Grunde alleine hätte "rocken" können. Aber dazu ist der 67-jährige Trommler viel zu bescheiden. Und ein richtiger Parleur ist auch er nicht, aber zum Solo auf, mit und in einem Wassereimer ruft er dann doch "Jetzt aber!". Ein Schelm, dieser Musikus, der in seinem Dschungel von selbstgebastelten Schlaginstrumenten eine riesige Freude ausstrahlt, dann vor ein paar weitere Schläge ein "Amen" setzt und der es versteht, aus den Publikumshänden einigermaßen komplizierte Mitklatschrhythmen zu kitzeln.
Das Ganze klingt dann eher nach Weltmusik als nach Jazz. Schon wieder! Denn während Archie Shepp den Begriff Jazz ablehnt und durch Blues ersetzt, spielt Gabarek von allem etwas. Der Norweger, der stets auf Internationalität setzt, bringt neben Gurtu noch den deutschen Pianisten Rainer Brüninghaus mit auf die Bühne und den spielerisch sehr aufregenden, sehr ungewöhnlichen und überaus vielseitig talentierten Brasilianer Yuri Daniel am fünfsaitigen Bass. Dessen Spiel ist mindestens so elegant wie sein außergewöhnliches Instrument. Auch er verfügt über Entertainerqualitäten, was das Publikum dankbar aufnimmt. Daniel sprang 2009 für den erkrankten Eberhard Weber ein und gehört seither fest zur Jan Gabarek Group. Ein Glücksfall.
Apropos: Festivalleiter Rainer Kern hat es genau so einem Glücksfall zu verdanken, dass Jan Gabarek dem Festival ein treuer Mitspieler ist. Denn dessen Agentur sitzt zufällig in Heidelberg - weshalb die Vermittler Kern 1999 nach dem ersten Enjoy Jazz Festival fragten, ob er nicht Jan Gabarek ins Programm aufnehmen wolle. Kern: "Das ist so, wie wenn Ronaldo beim SV Waldhof anruft und fragt, ob er mitspielen soll." Mit anderen Worten: Enjoy Jazz ist Champions League. Nicht nur, aber auch wegen dieser beiden wunderbaren Abende.