Sinsheim: Werden doch noch Stolpersteine in der Stadt verlegt?
Sinsheim. (abc) Mit "Vergangenheit und Zukunft" war eine Veranstaltung überschrieben, mit der am Freitagabend das Bündnis für Toleranz sowie Bündnis 90/Grüne, CDU, Freie Wähler und SPD gemeinsam an das deutsche Schicksalsdatum erinnert haben.
"Ich finde solche Gedenktage ganz wichtig", betonte Oberbürgermeister Jörg Albrecht bei der Begrüßung vieler Zuhörer, die ihm nach der Gedenkfeier zur Erinnerung an die Reichspogromnacht (siehe Artikel unten) zum Portal der evangelischen Stadtkirche gefolgt waren. Gedacht wurde der Ausrufung der Weimarer Republik im Jahr 1918 von Philipp Scheidemann. "Seid einig, treu und pflichtbewusst! Das Alte und Morsche, die Monarchie, ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue, es lebe die deutsche Republik", zitierte Dr. Dietmar Coors den späteren Reichsministerpräsidenten.
An weitere Geschehnisse, die sich am 9. November zutrugen - die Hinrichtung des Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung, Robert Blum, 1848 in Wien, den Hitlerputsch 1923 in München und den Fall der Berliner Mauer 1989, erinnerte Harald Blum, Vorstand des SPD-Arbeitskreises. "Europa ist ein Projekt gemeinsamer demokratischer, humaner Werte. Ohne sie ist die Zukunft, ein Leben in Frieden und Wohlstand, nicht möglich", befand Blum.
"Europa ist von jeher ein Kontinent kultureller Vielfalt", ergänzte der Vorsitzende der CDU-Gemeinderatsfraktion, Friedhelm Zoller. Er erinnerte daran, wie 1957 sechs Länder die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gegründet hatten, aus der die Europäischen Union hervorging. Diese umfasst mittlerweile 28 Mitgliedsstaaten. "Aus meiner Sicht ist die EU im Großen, was die Familie im Kleinen ist", sagte Zoller, der mit der Feststellung schloss: "Ein vielfältiges Europa braucht uns alle."
Der Vorsitzende von Bündnis 90/Grüne, Alex Riederer, ging auf die Rolle der jüdischen Bevölkerung in der Gesellschaft ein. "Die Vielfalt in Sinsheim war damals schon groß", resümierte er. Familiennamen wie Adler, Aaron, Auerbacher, Bauer, Behr, Israel, Freund, Mannheimer, Kohn, Krell, Ledermann, Lichtenstein, Loeb, Michel, Neuburger, Oppenheimer, Reinach oder Rosenberger belegten dies. "Arthur Rosenberger war einer der ersten, die in der Pogromnacht nach Dachau abtransportiert wurden", betonte Riederer.
Ihm zufolge sei nach Ende des Zweiten Weltkrieges nur Ludwig Scherer mit seiner Frau Marga nach Sinsheim zurückgekommen - und heute erinnere kaum mehr etwas an das ehemals blühende jüdische Leben. Selbst der 1868 in Steinsfurt geborene Unternehmer und Mäzen Hermann Weil sei vor Ort fast vergessen. "Ich hab noch Hoffnung, dass wir hier in Sinsheim Stolpersteine wie die anderen Gemeinden ringsum haben werden", schloss Riederer. Die gemeinsam gesungene Ode "An die Freude", angestimmt von Monika Möhring, bildete den Abschluss der Gedenkveranstaltung.