Ausstellung "Wir waren alle Ladenburger": "Manche Menschen verdrängen die Ereignisse noch heute"
Ladenburg. (stu) "Nachbarn 1938 - Wir waren alle Ladenburger" ist der Titel einer Ausstellung, die Studenten der Hochschule für Jüdischen Studien Heidelberg konzipiert haben. Im voll besetzten Domhofsaal ist sie am Samstagabend im Beisein der einzigen noch lebenden jüdischen Zeitzeugin, Ruth Steinfeld, eröffnet worden. "Das Wichtigste an dieser Ausstellung ist, dass Sie da sein können", sprach der Rektor der Hochschule, Johannes Heil, die Zeitzeugin direkt an. Ladenburg bezeichnete er als "besondere Stadt", die mit ihrer jüdischen Geschichte besonders verantwortungsvoll umgehe. Hier gründeten in den 1980er-Jahren Jürgen Zieher und Ingrid Wagner den Arbeitskreis Jüdische Geschichte, dessen Recherchearbeit die Grundlage der Ausstellung bildet.
Bürgermeister Stefan Schmutz lobte das "großartige Engagement" von Zieher und Wagner. Er freute sich über das einstimmige Votum des Gemeinderats, sodass 80 Jahre nach der Pogromnacht die Sonderausstellung im Lobdengau-Museum stattfinden kann. Es war "erschreckend und beschämend", was damals in Ladenburg passierte, meinte Schmutz. Wegen der aktuellen Geschehnisse in Deutschland hob er die Ausstellung als besonders wichtig hervor. Er dankte auch den Kirchengemeinden für den Erinnerungsgottesdienst am Freitag und lobte den Heimatbund, der Referent Zieher eingeladen hatte. Bereits am Donnerstag hatte er im Domhofsaal über die Geschehnisse in der Reichspogromnacht gesprochen. Auch das Gespräch von Ruth Steinfeld mit Schülern des Carl-Benz-Gymnasiums sei ein bewegender Augenblick gewesen.
Bevor Zieher nun am Samstag seinen Vortrag "Erinnern und Verdrängen der jüdischen Geschichte nach 1945" zur Eröffnung der Ausstellung präsentierte, stellten die Studenten Christoph Beckmann und Svenja Wieler die Vorgehensweise vor. In den Mittelpunkt wurden bewusst die jüdischen Bürger gestellt, die bis 1938 ein fester Bestandteil Ladenburgs waren. Wie konnten aus Nachbarn Feinde werden? Auch dieser Frage gingen die Studenten nach. Dass die Gemeinde vor 80 Jahren zerrissen wurde, habe damit zu tun, dass es auch in Ladenburg zu wenige Menschen gab, die Zivilcourage zeigten.
Nach 1945 haben manche Bürger auch in der Römerstadt die Geschehnisse verdrängt: Historiker Jürgen Zieher belegte dies in seinem eindrucksvollen Vortrag. Tatsächlich profitierten in Ladenburg Einwohner von der NS-Judenverfolgung. Viele beteiligten sich im Herbst 1940 an der Versteigerung des Hausrats der deportierten Juden in der städtischen Turnhalle. Selbst vom Kriegsende bis Ende 1970 passierte schier Unglaubliches: So musste die Militärregierung anordnen, den im Krieg geschändeten jüdischen Friedhof wieder herzurichten. Es bedurfte mehrer Mahnungen des Landratsamtes, bis die Stadtverwaltung reagierte. Und dann die Synagoge in der Hauptstraße: Ein Privatmann beschloss, die Synagoge als Lagerstätte zu nutzen, später veranlasste er den Abriss und baute ein Wohnhaus.
Stadtbildpfleger Dr. Berndmark Heukemes machte damals den Vorschlag, an der ehemaligen Synagoge eine Gedenktafel anzubringen. Der Textvorschlag von Bürgermeister Reinhold Schulz wurde wegen des Satzes "Die Stadt Ladenburg gedenkt ihrer jüdischen Mitbürger" von zwei Ratsmitglieder abgelehnt. Bis zur Anbringung der Gedenktafel vergingen neun Jahre.
Aber es gab auch Positives zur Aufarbeitung: Der Arbeitskreis Jüdische Geschichte gründete sich und veröffentlichte das Buch "Die jüdischen Ladenburger". Die Stadt lud dann 14 ehemalige jüdische Mitbürger ein. Auf Vorschlag des Arbeitskreises wurde 1995 vor dem Eingang des jüdischen Friedhofs ein Gedenkstein eingeweiht. "Stolpersteine" erinnern heute zudem an die Vertreibung jüdischer Mitbürger aus ihren Häusern und an deren Ermordung. Dafür war 2006 ein Ratsbeschluss notwendig. Einzelne Ratsmitglieder kritisierten aber das Vorhaben. Nach der Verlegung wurde in einzelnen Fällen sogar um die Entfernung der Steine gerungen. Schließlich führte der Referent noch die Einweihung der jüdischen Abteilung im Lobdengau-Museum 2008 auf - und das Denkmal zur Erinnerung an die Deportation nach Gurs.
Zieher stellte fest, dass der Arbeitskreis Jüdische Geschichte eine "maßgebliche Rolle" bei der historischen Aufarbeitung leistete. Die Verdrängung der Ereignisse dauere aber bis heute bei bestimmten Menschen an - auch in Ladenburg an.
FiInfo: Die Ausstellung ist bis 3. März 2019 im Lobdengau-Museum zu sehen. Sonderführungen sind möglich: www.lobdengau-museum.de.