Beistehen statt Rumstehen: Jugendliche griffen in Schwetzingen ein während andere lachten
Von Stefan Kern
Schwetzingen/Ketsch. Mit diesem großen Empfang im Rathaus haben sie nicht gerechnet. Vor zweieinhalb Monaten haben die 16-jährigen Freundinnen Dina Ichou und Celia Wojatschek bei einem Streit zwischen zwei Männern in der Schwetzinger Bahnhofsanlage eingegriffen und Schlimmeres verhindert. Für die Jugendlichen aus Ketsch, so sagen sie, ist das eine Selbstverständlichkeit.
Doch genau das ist es eben nicht. Da waren sich Bürgermeister Matthias Steffan, Polizeirevierleiter Martin Scheel, Ordnungsamtsleiter Pascal Seidel und die Geschäftsführerin des Vereins Kommunale Kriminalprävention Rhein-Neckar, Tanja Kramper einig. Sie zeichneten Ichou und Wojatschek im Rahmen der Kampagne "Beistehen statt rumstehen" aus.
Beide seien große Vorbilder für alle, sagte Steffan: "Euer Handeln zeigt das Bild einer anständigen Gesellschaft, in der Menschen aufeinander achten und sich im Notfall gegenseitig stützen."
Am 1. Oktober, gegen 18.30 Uhr beobachteten Ichou und Wojatschek zwei sichtlich betrunkene Männer in der Schwetzinger Bahnhofsanlage, die miteinander in Streit gerieten. Den Freundinnen war schnell klar, dass das Ganze eskalieren wird und schlimme Folge haben könnte. Die Männer seien schon sehr aggressiv gewesen, sagen sie. Also griffen die Jugendlichen ein. Wojatschek filmte, und Ichou rief die Polizei. Versuche, die beiden Kontrahenten voneinander zu trennen, scheiterten. Das gelang erst der Polizei.
Am schlimmsten sei, so Steffan, dass die Auseinandersetzung für viele andere Anwesende mehr für Belustigung denn Anteilnahme zu sorgen schien. Zufällig in der Nähe war auch Steffans Sekretärin, Katja Hilbert, die noch versuchte, eine Gruppe junger Männer auf die Situation aufmerksam zu machen, damit sie helfen. Erfolglos. Für die Gruppe, so Steffan, schien es mehr ein unterhaltsamer Schaukampf als eine bedrohliche Situation zu sein. Ein Verhalten, das in den Augen Scheels und Krampers ziemlich normal ist. Gaffen, Wegschauen und Teilnahmslosigkeit würden Eskalationen zahlreicher Konflikte erst möglich machen.
Es gehe nicht darum, den Helden zu spielen und sich in Gefahr zu bringen. Im Gegenteil. Zivilcourage könne im Grunde jeder. Kramper unterstrich das mit einem Sechs-Punkte-Plan zum richtigen Handeln im Ernstfall. Ganz oben steht: "Ich helfe, ohne mich selbst in Gefahr zu bringen". Die weiteren Punkte: "Ich fordere andere zur Mithilfe auf", "Ich präge mir Tätermerkmale ein", "Ich rufe die Polizei unter 110", "Ich kümmere mich um Opfer" und "Ich stelle mich als Zeuge zur Verfügung". Alles kein Hexenwerk, so Kramper. Schließlich habe heute so gut wie jeder sein Mobiltelefon griffbereit und könne schnell Hilfe rufen. Es seien nur ein paar Tastengriffe, aber der Effekt könne enorm sein. Auch Scheel ließ keinen Zweifel daran, dass viele Probleme vermieden werden könnten, wenn die Polizei rechtzeitig gerufen würde.
In der Regel gelte: "Lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig rufen". Würden mehr Menschen aufeinander achten und füreinander Verantwortung übernehmen, so hätte das in den Augen Krampers großen Einfluss auf das subjektive Sicherheitsempfinden: "Für mich ist die Kultur des Hinschauens eine Form der Mitmenschlichkeit." Diese haben Ichou und Wojatschek in der Bahnhofsanlage gezeigt.