Familiendrama auf dem Emmertsgrund: Der Täter war ein unauffälliger Nachbar
Von Micha Hörnle
Heidelberg. Zwölf Stunden nach dem Ende des Familiendramas mit drei Toten deutete am Mittwochmittag am Otto-Hahn-Platz auf dem Emmertsgrund nichts mehr darauf hin: Es gibt keine Kerzen oder Absperrungen der Polizei, lediglich die Wohnungstür im 15. Stock der Hausnummer 1 wurde vom Sondereinsatzkommando aufgesprengt - und ist provisorisch wieder verschlossen. Nur am Eingang hängt ein Zettel: "Tür offen lassen für die Polizei - Der Hausmeister".
Auch die meisten Bewohner des Wohnkomplexes wirken gefasst, hier steht niemand in Gruppen zusammen und diskutiert. Viele haben von der Tat nichts mitbekommen, höchstens die drei Schüsse oder den Knall der Türexplosion gehört. Gerade die Schüler, die am Mittwoch zur Mittagszeit wieder nach Hause kommen, haben bereits geschlafen, als am späten Dienstagabend 20 Funkwagen und eine Hundeführerstaffel ihren Block abriegelten, bevor der Hubschrauber des Sondereinsatzkommandos landete.
Anders Beata Libowski, die im fünften Stock wohnt: "Gegen 22 Uhr war hier alles auf dem Platz voller Polizisten mit Gewehren und mit Hunden. Sie haben niemanden ins Haus reingelassen, das ging vielleicht vier Stunden so." Die Toten kennt sie nicht - auch wenn Libowski darauf besteht, dass es in diesem 44-Parteien-Hochhaus nicht anonym zugeht. Man kennt sich zumindest vom Sehen, grüßt in der Regel auch - vor allem, wenn man wie Libowski mit dem Hund unterwegs ist.
Ebenfalls beim Gassigehen ist eine Nachbarin, die seit 25 Jahren in dem Haus wohnt: "Das waren ganz unauffällige Rentner, wir haben erst vor einer Woche geredet. Sie waren ruhig und zurückhaltend. Nichts deutete auf eine solche Tat hin: Sie waren nicht krank; sie haben sich erst kürzlich ein neues Auto und einen großen Fernseher gekauft." Auch ein älterer Mann, der vor dem Fahrstuhl steht, nennt die Familie "nett und ruhig".
Über das Motiv wird im Haus gerätselt, die Polizei ist sich auch noch nicht sicher. Vieles deutet auf eine Beziehungstat hin. Wie die RNZ aus unbestätigten Quellen erfuhr, soll der Mann schwer krank gewesen sein. Da sein psychisch angeschlagener Sohn auf ständige Hilfe angewiesen war, habe er keinen anderen Ausweg mehr gesehen und seine ganze Familie ausgelöscht. Falls dem so wäre, handelt es sich um erweiterten Suizid.
Der Täter war ein 71-Jähriger, der seine Frau (75) und seinen Sohn (43) erschoss. Er hatte für seine Pistole einen Waffenschein und war nach RNZ-Informationen seit langen Jahren Mitglied bei der Schützengesellschaft Wiesloch, wo er als zuverlässig, hilfsbereit und engagiert galt. Den Sohn kannten im Haus die wenigsten: "Ich habe die Familie ab und an gesehen, wir haben uns freundlich gegrüßt. Von einem Sohn habe ich nichts mitbekommen", sagt Tanja Kauzer, die seit acht Jahren hier wohnt. Von der Tat selbst hat sie "gar nichts bemerkt", sie meint: "Das kann überall passieren."
Beata Libowski durfte nicht mehr in ihre Wohnung zurück, als die Polizei das Haus aus Sicherheitsgründen abriegelte: "Das war der schlimmste Horror." Das ging etlichen Bewohnern so - manche waren noch einmal mit ihrem Hund draußen, andere kamen gerade von der Arbeit. Wie ein Mann, der hier seit 18 Jahren Eigentümer einer Wohnung ist: "Ich kam später nach Hause, alles war abgesperrt, also musste ich im Auto warten. Was passiert war, wusste ich nicht. Aber meine Frau hat zuhause die Schüsse gehört."
Für alle, die während des Polizeieinsatzes in der Kälte warten mussten, hatte die Polizei einen RNV-Bus zum Aufwärmen organisiert. Manche Nachbarn drohten, die Absperrungen zu ignorieren - bis die Polizei einschritt. Aber alles in allem reagierten die Personen im Hof besonnen.
Besonders erbost ist Libowski, dass die Bewohner vom Otto-Hahn-Platz "als Assis hingestellt" wurden. Das bezieht sich auf die Aussage des Hausmeisters, wonach die Polizei schon öfters in diesem Haus im Einsatz gewesen sei. In manchen Medien hieß es zudem, dass der Emmertsgrund ein sozialer Brennpunkt sei.
Allerdings ist der Stadtteil in Sachen Kriminalität völlig unauffällig, und große Teile bestehen aus Mehrfamilienhäusern oder Eigentumswohnungen (wie am Otto-Hahn-Platz). Diese Stigmatisierung ihres Quartiers empört Libowski: "Wir gehen hier alle arbeiten und haben unser Leben im Griff." Aber ist die wachsende Anonymität nicht gerade in diesem 15-stöckigen Hochhaus ein Problem? Die ältere Frau, die hier seit Anfang der neunziger Jahre wohnt, meint nur: "Das ist doch überall so. Nur die, die hier schon länger wohnen, unterhalten sich noch."