Rassismus-Debatte: Experte sieht Verbannung von Krippenfiguren aus Ulmer Münster kritisch (Update)
Augsburg/Ulm. (dpa) Nach der Debatte um eine möglicherweise rassistische Darstellung von Krippenfiguren sieht der Verband Bayerischer Krippenfreunde eine Verbannung von Weihnachtsfiguren kritisch. Krippenfiguren seien im Kontext ihrer Entstehungszeit zu betrachten, sagte der Präsident des Verbandes, Martin Martlreiter.
"Es ist immer gut, wenn man die Gegenwart mit einfließen lässt, aber so ein ultimatives Urteil über Figuren zu fällen, die vor über 100 Jahren geschnitzt worden sind, das finde ich sehr kurz gedacht", sagte der Pfarrer aus dem niederbayerischen Dingolfing über den Rassismus-Vorwurf.
Die Diskussion hatte die Münstergemeinde in Ulm ausgelöst, die die Heiligen Drei Könige in diesem Jahr nicht in der Krippendarstellung zeigen will. Grund sei eine aus heutiger Sicht rassistische Darstellung des Melchior. Die Figur des Schwarzen sei "voller Klischees und grotesk überzeichnet", meint die evangelische Kirchengemeinde in Ulm.
Martlreiter glaubt, dass künftig auch andere Kirchengemeinden entsprechend reagieren werden. "Es liegt ein Stück weit im Mainstream unserer Zeit, dass Themen sehr einseitig besetzt werden. Das ist mein Kritikpunkt", sagte er. Die meisten Pfarreien würden ihre Kunstwerke aber ehren und schätzen. "Es wird gewiss kein Bildersturm hereinbrechen."
Update: Dienstag, 17. November 2020, 13.17 Uhr
Ulmer Münstergemeinde verteidigt Entscheidung zu Krippenfiguren
Ulm (dpa) Die Entscheidung der Münstergemeinde in Ulm, die Heiligen Drei Könige in diesem Jahr nicht zu zeigen, hat bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt und vielfach Kritik hervorgerufen. Nun hat sich die evangelische Kirchengemeinde gegen Kritik verteidigt. In einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme geht Dekan Ernst-Wilhelm Gohl mit Fragen wie "Wird die Bibel jetzt in Ulm umgeschrieben?" oder "Was erlauben Sie sich überhaupt?" auf mehrere Vorwürfe an die Gemeinde ein.
Die Gemeinde machte in der Mitteilung erneut deutlich, dass es ihr nicht darum geht, eine einzelne Figur, etwa weil sie schwarz ist, aus der Weihnachtskrippe des Ulmer Münsters zu verbannen. Vielmehr sei die Darstellung "voller Klischees und grotesk überzeichnet". Eine Kommentierung der Figur des Melchior sei ebenfalls keine Möglichkeit gewesen, heißt es. "Wir können nicht eine Figur aufstellen, um dann daneben zu schreiben, dass wir uns von der herabsetzenden Art und Weise der Darstellung distanzieren." Die Figur einfach zu ersetzen, hätte die Gemeinde zudem "schäbig und feige" gefunden. Im neuen Jahr soll der Umgang mit den Krippenfiguren öffentlich mit den Gemeindemitgliedern diskutiert werden.
In der vorigen Woche war bekannt geworden, dass die Gemeinde die Heiligen Drei Könige wegen einer aus heutiger Sicht rassistischen Darstellung des Melchior in diesem Jahr nicht in der Weihnachtskrippe des Ulmer Münsters zeigen möchte.
Update: Mittwoch, 14. Oktober 2020, 11.18 Uhr
Krippenfiguren der Heiligen Drei Könige aus Ulmer Münster verbannt
Ulm. (dpa/lsw) An einer Krippenfigur hat sich in Ulm eine Debatte um den Umgang mit rassistischen Abbildungen entfacht. Die evangelische Münstergemeinde wird die Heiligen Drei Könige, darunter den Melchior mit schwarzer Hautfarbe, in diesem Jahr aus der Weihnachtskrippe entfernen, sagte Dekan Ernst-Wilhelm Gohl. Die Gemeinde reagiere damit auch auf die andauernde Rassismus-Debatte in Deutschland.
"Die Holzfigur des Melchior ist etwa mit seinen dicken Lippen und der unförmigen Statur aus heutiger Sicht eindeutig als rassistisch anzusehen", so Gohl. Dies könne und wolle die Gemeinde so nicht stehen lassen. Stattdessen soll in diesem Jahr die Weihnachtsgeschichte nach Lukas erzählt werden, in der die Heiligen Drei Könige nicht vorkommen. Mitglieder der Gemeinde hatten die Figur laut Gohl als "widerlich und rassistisch" bezeichnet. "Sie haben uns gesagt: "Diese Darstellung würdigt mich als schwarzen Christen herab"", so Gohl.
Mit der Entscheidung möchte die Gemeinde auch einer möglichen Debatte während der Feiertage vorgreifen. Das diesjährige Weihnachten solle nicht von einer Diskussion um die Krippenfiguren bestimmt werden. Eine endgültige Entscheidung zum Umgang mit der Figur des Melchior wolle die Gemeinde "in aller Ruhe" im neuen Jahr treffen. Er könne sich etwa vorstellen, dass die Figur dennoch gezeigt werde, aber eingeordnet und erklärt wird, so Gohl. Eine weitere Idee sei, etwa mit Schulklassen eine neue Krippe zu gestalten.
Einen solchen Umgang befürwortet auch der württembergische Landesbischof Frank Otfried July. "Der Weg, den man jetzt in Ulm versucht zu gehen, ist richtig", sagte er am Mittwoch der dpa. "Es ist wichtig, eine Entscheidung gut zu beraten und auf dem Weg dorthin die dafür nötige Ruhe in der Gemeinde zu gewinnen."
July sprach sich dafür aus, die Figuren mit einem erklärenden Kommentar zu versehen. "So etwas abzuhängen oder wegzustellen oder in einem Museum zu verstecken, halte ich für den schlechteren Weg", sagte July. "Es ist unsinnig, Dinge im Nachhinein unserer gegenwärtigen Überzeugung anzupassen. Man muss sie erklären und in eine heutige, kritische Bewertung stellen."
Neben der Diskussion um die Darstellung des Melchior beschäftigt die Ulmer auch der Umgang mit der unweit des Münster gelegenen "Mohrengasse". Hier wurde zuletzt eine Umbenennung von einem Gremium der Stadt jedoch abgelehnt. Auch in anderen Städten gab es bereits Debatten zu aus heutiger Sicht als rassistisch empfundenen Darstellungen schwarzer Menschen. So wurde eine umstrittene "Sarotti-Mohr"-Werbung vom Kulturzentrum Capitol in Mannheim nach einer Diskussion um die Darstellung verhüllt.
Ein Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland hatte damals kritisiert, dass die Figuren nicht entsorgt wurden und den Versuch, die Dekoration in einen neuen Kontext zu stellen, als "Krampf" bezeichnet. Das jetzige Vorgehen der Ulmer Münstergemeinde, begrüßte der Sprecher der Initiative aber. "Es zeigt, dass es inzwischen einen konsequenteren Umgang mit Rassismus gibt", sagte Tahir Della.
In der Diözese Rottenburg/Stuttgart kann man die Entscheidung der evangelischen Münstergemeinde nachvollziehen. "Die Darstellung des Melchiors ist dort durchaus problematisch und ein sensibler Umgang vor Ort auch von uns gewünscht", teilte eine Sprecherin mit. Grundsätzlich habe das Brauchtum der Heiligen Drei Könige aber keinen rassistischen Hintergrund. Es gebe daher auch keine Empfehlung von Seiten der Diözese, auf den dunkelhäutigen König als Krippenfigur zu verzichten. Bei den Sternsingern gebe es dagegen vom Kindermissionswerk die Empfehlung, die Kinder nicht zu schminken. Die Gleichsetzung von Hautfarbe und Herkunft gehe heute nicht mehr auf.
Im Erzbistum Freiburg wird die Bedeutung der Krippenfiguren ähnlich bewertet. Die drei Könige verdeutlichten zunächst die drei Kontinente der damals bekannten Welt und seien keineswegs rassistisch gemeint, teilte Weihbischof Peter Birkhofer, Dompropst des Freiburger Münsters, mit. "Sich die eigenen Vorurteile immer wieder bewusst zu machen und diese zu hinterfragen, ist eine Aufgabe für jeden von uns." Die evangelische Kirche in Ulm habe eine solche Diskussion in Gang gebracht. "Ich würde mich freuen, wenn auch die Menschen im Erzbistum Freiburg kritisch mit solchen Stereotypen umgehen", teilte der Bischof mit.
Auch in Bayern hat das Vorgehen der Ulmer Gemeinde eine Diskussion angestoßen. "Die Thematik wird auch bei uns im Erzbistum diskutiert, konkrete Maßnahmen sind uns aber nicht bekannt", sagte eine Sprecherin des Erzbistums München und Freising am Mittwoch auf Anfrage.