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Grundsatzprogramm | Die schwarze Bremse

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Die Grünen planen einen gewaltigen ökologischen Umbau. Mit einem Koalitionspartner CDU/CSU wäre aber kaum etwas davon umzusetzen

Dass die nächste Bundesregierung von CDU/CSU und den Grünen gebildet werden wird, ist alles andere als unwahrscheinlich. Dass die Politik einer schwarz-grünen Regierungskoalition nicht sonderlich sozial ausfallen wird, sei vorausgesetzt, aber: Wird sie ökologisch sein? Beide Parteien haben in diesem Jahr Entwürfe für ein neues Grundsatzprogramm veröffentlicht, die Grünen werden ihres auf einer digitalen Bundesdelegiertenkonferenz am kommenden Wochenende beschließen. Es ist also Zeit, nach der Schnittmenge zu fragen, aus der sich ein Koalitionsvertrag dieser Regierung speisen würde.

Der Entwurf der CDU zeigt deutlich, dass die Partei sich jedenfalls nicht ändern will. Man hat zuletzt über Äußerungen Angela Merkels, Markus Söders, ja sogar Andreas Scheuers gestaunt, die darauf hinzudeuten schienen, dass die Kanzlerin, ihr möglicher Nachfolger und der Bundesverkehrsminister jetzt entschiedener als bisher ökologisch anpacken wollen. Doch im christdemokratischen Programmentwurf lesen wir wieder, was auch in früheren Dokumenten stand: Zwar „waren wir“, was Umweltbelange angeht, „nicht immer Vorreiter“, aber letztlich sind „wir“ es dann doch, denn alles soll bleiben, wie es ist, und die Welt kann von uns lernen. „Als starke Volkswirtschaft sind wir auch Vorbild für viele andere Länder. Wir gehen voran“, nun soll aber auch die „Weltgemeinschaft“ handeln und den Ausstoß von Treibhausgasen „entschlossen“ verringern, wie „wir“ es bekanntlich immer schon tun, dann „wird uns der Klimaschutz gelingen“. In Deutschland ist ja alles schon da: „Made in Germany ist der Acker, der im Frühjahr blüht und duftet, der Salatkopf vom Bauern aus der Region. Wir haben die Verantwortung, unseren Kindern und Enkeln diesen Wohlstand und diese Lebensqualität zu hinterlassen.“ Zusammenfassend: „Made in Germany ist Anbau und Abbau, aber kein Raubbau.“ Auch „gute Straßen, moderne Busse, zuverlässige Züge und schnelles Internet – und zwar überall“ fehlen offenbar nicht: „Das wollen wir auch für die kommenden Generationen sichern.“

Mal eben den Markt umbauen

Der grüne Entwurf hingegen geht von der Realität aus, dass Deutschland einer der größten Verursacher von Treibhausgasen ist. Es ist daher der Entwurf eines Umbauprogramms, für dessen einzelne Punkte es keinerlei Entsprechung in irgendeinem vergangenen oder gegenwärtigen CDU-Dokument gibt. So wollen die Grünen eine „Europäische Energieunion“, in der die verschiedenen europäischen Regionen ihre unterschiedlichen Stärken einbringen. Die Sonne im Süden kann für Solarenergie sorgen, Skandinavien und die Alpen haben Wasserkraft, Offshore-Windkraft gibt es im Atlantik, im Mittelmeer und in der Ostsee, Onshore-Windkraft in ganz Europa. Immer soll die Frage vorschweben, wie viel Emissionen jedes Land ausstoßen darf, das nennen die Grünen den „Budget-Ansatz“. Und sie gehen ins Detail: „weg von Holzplantagen hin zu naturnahen Wäldern“, Nutztiere sollen nicht nur besser gehalten werden, sondern vor allem ihre Anzahl muss sinken, damit sich der Konsum von Fleisch und überhaupt von tierischen Nahrungsmitteln verringert. In kleinbäuerlichen Strukturen, die regional verwurzelt sind, soll naturverträglich gewirtschaftet werden. Die Abwendung von „Pestiziden, Weltmärkten, wenigen Großkonzernen und engen Produktionszwängen“ wird ausdrücklich proklamiert.

Nicht nur weniger Nutztiere, sondern auch „deutlich weniger Autos“ soll es geben, vor allem in den Städten, wo daher eine Neuaufteilung des Raumes ansteht. An die Stelle der „autogerechten Stadt“ tritt die „lebenswerte Stadt mit kurzen Wegen“. Die europäischen Großstädte sollen durch schnelle transnationale Bahnverbindungen vernetzt werden. Alles in allem wäre das ein gewaltiger Umbau. Er muss sozialpolitisch flankiert sein, zum Beispiel sollen „sozialstaatliche Garantien immer mit Blick auf Preisänderungen angepasst werden“. Aber wie verträgt sich ein solcher Umbau mit dem kapitalistischen Markt und den dortigen Machtverhältnissen?

Nun, die Grünen wissen selbst, dass sie dann auch den Markt umbauen müssen. Es ist ein Schwerpunkt ihres Programmentwurfs. Eine Marktwirtschaft, die ein Ziel hat, und zwar das sozial-ökologische, schwebt ihnen vor. Ja, sie wissen so gut wie die Linkspartei, dass es dafür „einen starken Staat“ braucht und den „Primat der Politik, auch gegenüber Wirtschaft und Kapital“. Dieser Staat müsste einen Markt begründen, wie man ihn noch nicht gesehen hat: „Im Wettbewerb soll erfolgreich sein, wer übergeordnete gesellschaftliche Ziele nicht konterkariert, sondern befördert.“ Ein erstaunlicher Satz, der uns vor eine Alternative stellt. Denn man kann ihn auf zweierlei Art übersetzen. Entweder: Ein Wettbewerb, wie die Grünen ihn fordern, lässt sich mit der Kapitallogik nicht vereinbaren. Er ist also illusionär. Oder: Was die Grünen wollen, läuft auf die Abschaffung des Kapitals hinaus. Ihre Forderung ist richtig und muss unterstützt werden.

Entscheide das jede(r) für sich selbst – wir sehen dem grünen Markt weiter zu: Güter und Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, kommunale Daseinsvorsorge, kommunale Selbstverwaltung wollen sie ihm nicht anvertrauen, vielmehr verstaatlichen, auch das wie die Linkspartei. Im Markt aber soll es „soziales Unternehmertum“, Wirtschaft des Teilens, frei zugängliches Wissen und Gemeingüter geben. Auf Investitionen in fossile Unternehmen muss die öffentliche Hand vollständig verzichten. Die Finanzierung von Investitionen in Klimaschutz und Nachhaltigkeit soll günstiger werden als die Bereitstellung von Kapital für andere Zwecke. Abbau der Handelsungleichgewichte in Europa. Vermögenssteuern, höhere Kapitalsteuern. Besteuerung von Tätigkeit und Produkten nach dem Grad der ökologischen Nützlichkeit oder Schädlichkeit.

Wenn das „grüner Kapitalismus“ wäre, könnte es ja nicht schwer sein, die CDU dafür zu gewinnen. Denn das ist ein Begriff, den zum Beispiel die Frankfurter Allgemeine Zeitung wörtlich benutzt, um den vorhandenen Zustand zu kennzeichnen, und den die CDU der Sache nach in all ihre Programme schreibt. So fordert ihr noch geltendes Grundsatzprogramm 2007, wirtschaftliches Wachstum müsse nachhaltig sein, und fügt hinzu, das sei nur unter Berücksichtigung des Klimaschutzes möglich. Was im Umkehrschluss heißt, dass der Klimaschutz nur so weit Berücksichtigung finden kann, wie er dieses unendliche und exponentielle Wachstum nicht stoppt. Die CDU schlägt also vor, es für möglich zu halten, dass die Grenzen der ökologischen Belastbarkeit auch bei solchem Wachstum nicht überschritten zu werden brauchen. Das ist der grüne Kapitalismus. Die Grünen aber wollen „immer weniger Tiere“ und „deutlich weniger Autos“. Sie befürworten die Marktwirtschaft, aber das tut auch Sahra Wagenknecht. Als Juniorpartner von CDU/CSU werden sie dem grünen Kapitalismus zweifellos huldigen, nicht aber, um ihr Programm zu verwirklichen, sondern aus Machtlosigkeit – weil es ersatzlos unter den Tisch fallen wird.

Habeck als Finanzminister?

Die Grünen erheben zwar jetzt schon den Anspruch, das Bundesfinanzministerium zu führen, um die 500 Milliarden Euro, die ihr Umbau kosten würde, auch durchsetzen zu können. Aber wird das ein CDU-Kanzler mit sich machen lassen, wie einst ein Gerhard Schröder sich seinen Genossen Oskar Lafontaine gefallen ließ? Nein, die CDU hat andere Pläne. Schon in ihrem Programm von 2007 kann man lesen, dass „grundlegende Reformen“ nötig sind, also: mehr Wettbewerb, bessere Verkehrsinfrastruktur, kein Geschwindigkeitslimit auf der Autobahn. Vollbeschäftigung, das „Existenz sichernde Einkommen“. In der politischen Praxis wird dann dafür gesorgt, dass der Mindestlohn nicht zu hoch wird und die Hartz-IV-Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts unterlaufen werden. Schon vor drei Legislaturperioden wollten sie mit „marktwirtschaftlichen Mitteln“ die Klimaverträglichkeit des Luft-, Schiffs- und Kraftfahrzeugverkehrs erhöhen ...

Programmatische Überschneidungen gibt es natürlich trotzdem. Wenn etwa die Grünen gute Zugverbindungen nicht nur zwischen den Hauptstädten, sondern auch in der Fläche wollen, werden sie dem CDU-Wunsch zustimmen, dass die Züge pünktlich ankommen, der „guten Taktung“, den modernen Bahnhöfen, der Elektrifizierung kleinerer Bahnstrecken und vor allem der Digitalisierung, die auf beiden Seiten gleich viel Verzückung hervorruft. Oder wenn die CDU schreibt, Deutschland solle „wieder Standort für eine Batteriezellproduktion werden“. Oder wenn es um die energetische Gebäudesanierung geht. Aber all das steht ohnehin längst in den Programmen der CDU und auch der SPD – wer sich darauf beriefe, würde nur „Weiter so“ sagen. Zu einer grundstürzenden Erneuerung etwa des Zugverkehrs ist es bislang nicht gekommen.

Es wird keinen Übergang zum grünen Kapitalismus geben, gemanagt von Grünen und CDU. Es wird nicht geschehen, dass SPD und Linkspartei das Scheitern dieser Politik beobachten, darauf hinweisen und dann selbst das Heft in die Hand nehmen. Denn was schon da ist, dazu geht man nicht erst über. Wir sind mitten im grünen Kapitalismus.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich eine Koalition bilden wird, wie sie vor erst zweieinhalb Jahren ausgehandelt wurde, als noch die FDP mitwirkte. Worüber stritten da Union und Grüne? Alle bekannten sich zu den Klimazielen, doch darüber, bis wann sie erreicht werden sollen, war man nicht einig. Ein festes Enddatum für den Verbrennungsmotor forderten die Grünen nicht mehr, hätten Autos, die weniger CO₂ ausstoßen, aber gern steuerlich bevorzugt. In der Migrationsfrage forderten sie eine Ausweitung des Familiennachzugs, die Union war dagegen. Und so weiter. Wenn sich das 2021 nicht wiederholen soll, müssen SPD und Linke stark genug werden, um mit den Grünen zusammen die absolute Mehrheit zu erlangen. Dafür spricht wenig.

In der Form sind die Programmentwürfe übrigens sehr verschieden. Die Grünen präsentieren ein Gesprächsangebot, als „To whom it may concern“ deklariert. Eigentlich müsste daraus ein neuer Stil des Wahlkampfs entspringen: öffentliche Foren der Grünen mit Union und FDP, SPD und Linken, bei denen das inhaltsreiche Papier diskutiert würde. Der Entwurf der CDU ist auf andere Art „innovativ“: durch seine Kürze und Unkonkretheit nämlich, die in der Geschichte christdemokratischer Programmdokumente beispiellos sein dürfte.

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.




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