Sinsheim: Baudezernent Tobias Schutz kündigte überraschend vor Weihnachten
Von Tim Kegel
Sinsheim. Die Nachricht konnte nur zur Unzeit kommen. Weil das Rathaus ohne ihn schwer vorstellbar ist – in guten, wie in schlechten Zeiten. Trotzdem zieht Tobias Schutz den Schlussstrich: Der Baudezernent der Großen Kreisstadt Sinsheim verlässt die Stadtverwaltung. Kurz vor Weihnachten hat der 42-Jährige gekündigt. Aus freien Stücken und für viele völlig überraschend.
Auch das noch: So klingt zurzeit der kleinste gemeinsame Nenner der Reaktionen auf Schutz’ Weggang. Die Verwaltung verliere mit ihm einen ihrer profiliertesten Köpfe, hochkompetent, nicht nur fachlich als Manager, sondern gerade auch menschlich, wie immer wieder gesagt wird.
Auch das Wort "Katastrophe" fällt, weil mit Schutz’ Weggang etwas zu Ende gehe, das "einfach gut" gewesen sei. "Ich lass’ das noch nicht an mich ran", sagt seine Assistentin. Ein gutes halbes Jahr dürfte er noch im Dienst sein.
Ein Mittag im Jahr 2018, auf dem Höhepunkt des boomenden Sinsheim: Schutz räumt seinen Tisch im Nachbarzimmer des Oberbürgermeisters für ein Gespräch frei. Schon lange ist der gebürtige Eschelbacher so etwas wie das Sprachrohr der Verwaltung. Über Verkehrsplanung in ferner Zukunft wird es dieses Mal gehen – Schutz hält Verkehrs-Großprojekte und Klimaschutz nicht für Widersprüche.
23 Wiedervorlage-Ordner aus zwölf Stadtteilen kommen erst mal zur Seite: Kulturquartier und Altes Rathaus, Stadthalle, Burg Steinsberg, diverse Schulen und Kindergärten, Hallen, Feuerwehrhäuser, Neubau- und Sanierungsgebiete. Schutz kennt die Vorgänge bis ins kleinste Detail, bis unter die Dächer und in die letzten Kommastellen. In klaren Worten und einfachen Sätzen formuliert er druckreif und reflektiert kritisch, was ihn bei Journalisten zum beliebten Ansprechpartner, intern zum Stichwortgeber werden ließ.
Dass Schutz auch mit Migräne oder gesundheitlich angeschlagen seinen Mann stand, schildern Leute, die ihn besser kennen. Dies oft zu später Stunde und mit dem Rücken zur Wand. Schutz sagt über sich selbst, dass er ein "gutes Gedächtnis für Sachverhalte" habe. Kritikern den Schneid abkaufen, Gepoltere als Unwissenheit entlarven – lakonisch und mit feinem Witz – das konnte Schutz auch noch dann, wenn er ausgebrannt war. "Sarkasmus", sagt er. Doch der sei ihm am liebsten, wenn er ihn nicht gebrauchen müsse.
50 bis 60 Stunden die Woche hat Schutz meist in diesem großen Büro verbracht, das immer nach Arbeit, nie nach Chaos aussah: Spärliche Kunst an der Wand und ein Zirkelkasten ließen etwas vom privaten Tobias Schutz durchblicken, den der Vater von fünf Kindern mit den Jahren immer weniger sein konnte: "Noch ein letztes Projekt. Die fertige Stadthalle sehen. Noch diese Amtszeit. Die Heimattage noch." So, gesteht der gläubige Christ, hat er sich seit einigen Jahren durchgehangelt.
Die Gratwanderung auf dem Schlussstrich – kaum einer wusste davon. Oder hätte es ahnen können: Als wesentliche Figur und als rechte Hand des Oberbürgermeisters wahrgenommen, leitete Schutz Meilensteine in der Stadtentwicklung ein, prägte alle Projekte der Albrecht-Ära mit, auch als Verhandlungsführer und in der öffentlichen Darstellung. Die Dreierspitze aus dem intuitiven Bauchmenschen Oberbürgermeister Jörg Albrecht, dem vergleichsweise kühlen Finanzdezernenten Ulrich Landwehr und Schutz galt bei Behörden, Gremien und Unternehmen durchaus als Idealbesetzung. "The Brain" – das Gehirn – so wurde Schutz kürzlich in Architektenkreisen genannt, weil er die Praxis kenne, perfekt vorbereitet, ruhig und locker auftrete. Schutz ist selbst Architekt, war vor seiner Sinsheimer Zeit in Stuttgart und bei einem Heidelberger Projektentwickler tätig.
Jetzt hänge Schutz, wie er sagt, "den schönsten Job" an den Nagel. Dies sei "das weinende Auge", mit dem er gehe. Andererseits seien er "und alle Amtsleiterkollegen" mit einem "fast grenzenlosen Anspruchsdenken" konfrontiert; mit dem Zerreden von Projekten und einem Tonfall, der mitunter verletzend sei. Man könne mit Erreichtem "auch einfach einmal zufrieden sein".
Durchaus nachdenklich verlässt Schutz, der kein Beamter ist, den Öffentlichen Dienst. Gute Karten hätte er wohl als Bürgermeister einer Gemeinde, Baugesellschaften dürften sich die Finger nach ihm lecken: Er habe "noch kein konkretes Angebot", sagt er, würde aber "das Letztere deutlich vorziehen": Projektmanagement ist, was Schutz liegt, gern auch weiterhin im Kraichgau.
Der Zeitpunkt zu gehen, ist – anders kann man das nicht sagen – clever gewählt: Oberbürgermeister Jörg Albrecht selbst war es, der beim Amtsantritt 2012 das Dezernenten-Modell einführte und sich Schutz ins Boot holte, seit 2009 Leiter des Amts für Gebäudemanagement. Den Amtsleiterposten behielt Schutz, dem zurzeit rund 300 Mitarbeiter unterstellt sind.
Ob Albrecht für eine dritte Amtszeit zur Verfügung steht, ist unklar. Und mit ihm steht und fällt die Dezernenten-Option. Dass sich künftige Stadtspitzen und Gemeinderäte fürs Modell eines Beigeordneten umentscheiden könnten, liegt ebenso im Bereich des Möglichen, wie dass es in neuen Konstellationen "menschlich nicht mehr klappen" könnte. Dann wäre Schutz allerdings schon 48 und in einem Alter, in dem man sich beruflich ungern neu aufstellt. "Als Kollege ist es sehr schade, traurig und ein großer Verlust", kommentiert Albrecht den Weggang. "Aber als Freund ist es die richtige Entscheidung."