Mannheim: Kletternder Klima-Aktivist für Nadel in Hosentasche verurteilt (Update)
Von Annegret Ries
Mannheim. Fünf Klimaaktivisten sind in der Nacht zum 8. August 2020 auf ein Kohleförderband im Großkraftwerk Mannheim (GKM) geklettert. Zwar nahm die Polizei die zwei Männer und drei Frauen fest, konnte aber nur einen 21-Jährigen identifizieren. Der wurde am Montag am Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 325 Euro verurteilt. Damit muss "Locke", wie der 21-Jährige aus Freiburg genannt wird, weniger zahlen, als die 485 Euro, die die Staatsanwaltschaft in einem Strafbefehl von ihm gefordert hatte.
Gegen den Strafbefehl hatte sein Rechtsanwalt Gregor Urbanczyk Widerspruch eingelegt. Hausfriedensbruch, Verstoß gegen das Vermummungsverbot und versuchte gefährliche Körperverletzung warf die Vertreterin der Staatsanwaltschaft dem 21-Jährigen vor. Wie die Aktivisten auf das eingezäunte und mit Videokameras überwachte Gelände gekommen sind, hat die Polizei nicht herausgefunden. Zu der Aktion, die unter dem Motto "Aufstand mit Abstand" gestanden habe, habe eine Gruppe mit dem Namen "Zucker in den Tank" aufgerufen, so die Staatsanwältin. Die fünf Aktivisten seien vermummt und ihre Gesichter bemalt gewesen. Der Angeklagte habe eine schwarze Sturmhaube sowie einen lila Schal getragen, sein Gesicht sei grün angemalt gewesen.
Nach Aussagen von Polizeibeamten habe man versucht, mit den Aktivisten zu "verhandeln", ohne Erfolg. Ein Sondereinsatzkommando Höhenintervention habe sie im Lauf des Vormittags von dem Kohlenförderband geholt. Bei der Durchsuchung des 21-Jährigen habe ein Polizist eine Nadel im Hosenbund entdeckt, so die Staatsanwältin. Der Polizist hätte sich daran verletzen können, begründete sie den Anklagepunkt versuchte gefährliche Körperverletzung.
Trotz zahlreicher Bemühungen sei bei vier der Aktivisten die Identifizierung gescheitert, mussten Kripobeamte eingestehen. Alle fünf hatten keine Papiere dabei und auf ihren Fingerkuppen sowie Handflächen sei Sekundenkleber und Bastelglitter gewesen. Dadurch konnten keine Fingerabdrücke genommen werden, so die Polizisten. Die Identifizierung des 21-Jährigen sei gelungen, weil er zwei Vorstrafen hat und sein Foto gespeichert ist. Ein Gesichtserkennungsprogramm habe eine weitgehende Übereinstimmung mit dem gespeicherten Foto ergeben. Ab 4.45 Uhr sei das Kohleförderband abgeschaltet gewesen, sagte der Prokurist des GKM. Er vermutet, dass die Aktivisten das Band abschalteten. Zwar wurde wegen der Reduzierung der Kohlezufuhr die Stromproduktion gedrosselt, ein Schaden entstand aber nicht.
Die Aktion sei legitim gewesen, führte der 21-Jährige aus. Er begründete dies mit Paragraf 34 des Strafgesetzbuches. Danach kann eigentlich strafbares Verhalten nicht bestraft werden, wenn es sich um "rechtfertigenden Notstand" handelt, man also mit seinem Verhalten eine Gefahr abwendet. Das GKM trage massiv zur Klimakrise bei, so "Locke". Es habe sich gezeigt, dass es der Politik nicht gelinge, die Klimakrise zu stoppen, deshalb seien solche Aktionen gerechtfertigt. Urbanczyk forderte einen Freispruch. Er unterstützte die Argumentation, dass für das Verhalten seines Mandanten "rechtfertigender Notstand" gelte. Zudem habe der 21-Jährige aus Gewissensgründen zivilen Ungehorsam geleistet, deshalb handle es sich nicht um Hausfriedensbruch. Mit der Nadel habe er niemanden verletzen wollen.
Das sahen die Staatsanwältin und Richterin Myriam Daunno anders: Zwar habe der Angeklagte aufgrund seiner Überzeugung und aus ehrenwerten Motiven gehandelt. Doch falle dies nicht unter "rechtfertigenden Notstand". Der gelte nur, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, eine Gefahr abzuwenden, das sei bei der Klimakrise nicht der Fall. Darüber hinaus wurde der 21-Jährige nur wegen versuchter Körperverletzung und nicht wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Mit einer Nähnadel könne man niemanden erheblich verletzen, so Daunno. Begleitet wurde der Prozess von einer Kundgebung von Klimaaktivisten vor dem Gericht.
Update: Montag, 12. April 2021, 19.57 Uhr
Klimaschützer für Besetzung des Großkraftwerk zu Geldstrafe verurteilt
Mannheim. (dpa/lsw) Ein Klimaschützer ist für eine Protestaktion auf dem Gelände des kohlebetriebenen Großkraftwerks Mannheim (GKM) zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Das Amtsgericht Mannheim sah es am Montag als erwiesen an, dass der 21-Jährige im August des vergangenen Jahres auf das Dach eines Kohleförderbands geklettert ist und damit Hausfriedensbruch begangen hat. Dafür und wegen versuchter Körperverletzung und Verstoß gegen das Vermummungsverbot muss der Physikstudent 65 Tagessätze von 5 Euro sowie die Gerichtskosten zahlen. Er kann dagegen aber noch Rechtsmittel einlegen. Sein Verteidiger hatte auf Freispruch plädiert, die Staatsanwaltschaft auf 100 Tagessätze.
Der junge Mann aus Freiburg hatte für die Aktion mit insgesamt fünf Teilnehmern den rechtfertigenden Notstand geltend gemacht. Es sei demnach rechtens, sich als Bürger der Klimazerstörung durch die Gewinnung und Nutzung von Kohle entgegen zu stellen.
Update: Montag, 12. April 2021, 17.40 Uhr
So verteidigen Klimaschützer die Besetzung des Großkraftwerks
Mannheim. (dpa) Fünf Aktivisten kletterten aus Protest gegen Kohlestrom auf das Dach eines Förderbandes des Großkraftwerks Mannheim (GKM). Nun muss sich einer davon vor Gericht verantworten. Begleitet von einem Dutzend Unterstützer vor dem Mannheimer Amtsgericht bestritt der 21-Jährige am Montag die Anklagepunkte nicht, darunter Landfriedensbruch. Vielmehr machte der Physikstudent den rechtfertigenden Notstand geltend.
Er verwies auf den entsprechenden Artikel des Strafgesetzbuchs: Nach diesem kann unter gewissen Bedingungen eine Tat nicht rechtswidrig sein, wenn sie eine Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre und Eigentum abwenden soll. Es sei deshalb rechtens, sich als Bürger in der Klimazerstörung entgegenzustellen, so der Student, auch in Form von Blockadeaktionen wie der Besetzung des GKM im August 2020.
In einem langen Vortrag beschrieb der Kapitalismuskritiker verheerende Umweltschäden, Ausbeutung und Ströme von Klimaflüchtlingen als Folge der Kohlegewinnung. Das GKM sei mit 0,2 Prozent am globalen Treibhausgasausstoß beteiligt (2017). "Für mich bleibt nur der Weg des zivilen Ungehorsams", resümierte der Angeklagte.
Das GKM sieht sich hingegen dank moderner Technologie als Partner der Energiewende, auf den für die Versorgungssicherheit nicht verzichtet werden könne.
Dem Aktivisten wird überdies versuchte gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Er habe eine Nähnadel so an seinem Hosenbund angebracht, dass sie bei einer Durchsuchung einen Polizisten hätte verletzen können. Der Student gab an, er habe die Nadel mitgenommen, um die Haut seiner Fingerkuppen zu zerstören und damit einen Fingerabdruck zu vereiteln. Zudem ist er auch angeklagt, weil er mit Schal, bemaltem Gesicht und Sturmhaube gegen das Vermummungsverbot verstoßen habe.
Der Betreiber schaltete das Förderband während der Protestaktion ab. Spezialkräfte nahmen die Aktivisten nach etwa fünf Stunden fest. Die zwei Männer und drei Frauen hatten ihre Finger und Handflächen mit Sekundenkleber präpariert, so dass vier aus dem Gewahrsam entlassen wurden, ohne dass sie identifiziert wurden. Bei dem Freiburger Studenten brachte eine Aufnahme seiner Hände im Abgleich mit Daten des Landeskriminalamtes einen Treffer. Bei seinen vier Mitstreitern sind die Verfahren eingestellt worden.
Update: Montag, 12. April 2021, 14.06 Uhr
Aktivisten nehmen Stellung zum Prozess zur Kraftwerks-Blockade - Kundgebung geplant
Mannheim. (RNZ/ppf) In einer Pressemitteilung der Initiative "GKM abschaffen" melden sich auch die Aktivisten und Aktivistinnen zu Wort.
Sie schreiben:"Am Samstag, den 08.08.2020, blockierten fünf Klimaaktivist:innen das Großkraftwerk Mannheim (GKM). Im Rahmen der anschließenden Ingewahrsamnahme verweigerten die Aktivist:innen die Herausgabe ihrer Identität. Trotzdem konnte die Identität des Aktivisten Locke festgestellt werden. Ihm werden Hausfriedensbruch, Verstoß gegen das Vermummungsverbot und versuchte gefährliche Körperverletzung, wegen des Mitführens einer Nadel, vorgeworfen. Die Aktivist:innen verstehen ihre Aktion jedoch als explizit gewaltfrei."
Dazu äußert sich der Aktivist, der am Montag vor Gericht steht, selbst: "Durch Klimakrise und Steinkohleabbau im globalen Süden sterben bereits heute Menschen. Mit dem Klimaabkommen von 2014 in Paris hat sich Deutschland verpflichtet, der Klimakrise Einhalt zu gebieten - praktisch passiert aber weiterhin nichts. Wenn die Politik versagt, müssen wir den Wandel selbst in die Hand nehmen. Die Besetzung des GKM war daher wichtig und richtig. Durch abstruse Vorwürfe wie den der versuchten Körperverletzung wird unser legitimes Engagement kriminalisiert. Dabei sollte eher das Versagen der Politik thematisiert werden."
"Erneut auf Anliegen der Menschen aufmerksam machen"
Und weiter lautet die Pressemitteilung: "Die Aktivist:innen wollen am Beispiel von Baden-Württembergs größter CO2-Quelle erneut auf die Anliegen der Menschen im globalen Süden aufmerksam machen. Sie werden versuchen dem Gericht zu beweisen, dass die Steinkohle-Verstromung des GKM einen direkten Anteil an der Erderwärmung hat und die Folgen dessen in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen, Fluchtursachen und Rassismus inhaltlich darstellen."
Die Aktivisten informieren über mehrere Solidaritätskundgebungen, die begleitend zum Prozess stattfinden sollen. Zum Start des Prozesses beginnt um 10 Uhr eine Kundgebung in Solidarität mit dem Angeklagten vor dem Amtsgericht Mannheim. Am Abend des Prozesstages wird eine Solidaritätsdemonstration um 18 Uhr ebenfalls vor dem Amtsgericht starten. Bei dieser wird es Redebeiträge solidarischer Gruppen über die Problematik des Steinkohleabbaus, das GKM und den Prozess geben.
Update: Montag, 12. April 2021, 08.58 Uhr
Klimaaktivist wegen Hausfriedensbruch am Großkraftwerk vor Gericht
Mannheim. (RNZ/dpa) Für eine Protestaktion am Mannheimer Großkraftwerk im vergangenen Sommer wird ein Mann am Montag (10.30 Uhr) vor dem Amtsgericht zur Rechenschaft gezogen. Er muss sich unter anderem wegen Hausfriedensbruchs verantworten. Ferner legt die Staatsanwaltschaft ihm nach Gerichtsangaben zur Last, eine Nähnadel absichtlich mit der Spitze nach außen in seinen Hosenbund gesteckt zu haben, um einen Polizisten bei einer Durchsuchung zu verletzen.
Der 22-Jährige soll an einem Samstagmorgen Anfang August 2020 mit vier weiteren Klimaschützern maskiert in das umzäunte Gelände des Steinkohlekraftwerks eingedrungen und auf das etwa 20 Meter hohe Dach eines Kohleförderbandes geklettert sein. Die Aktivisten hatten damals mitgeteilt, auf die "desaströsen Folgen" der Steinkohle-Verstromung aufmerksam machen zu wollen. Das Kraftwerk trage dazu bei, Lebens- und Einkommensgrundlage von Menschen in Kolumbien und Russland zu gefährden. Aktivisten hatten den Betrieb des Meilers immer wieder kritisiert und das Großkraftwerk als "Klimakiller" bezeichnet.
Der Betreiber schaltete das Förderband während der Protestaktion ab. Spezialkräfte nahmen die Aktivisten nach etwa fünf Stunden fest. Dass nur ein Mann angeklagt ist, liegt laut einem Gerichtssprecher daran, dass die anderen Vier bislang nicht ermittelt worden seien. Die Staatsanwaltschaft erläuterte, dass sie unter anderem ihre Finger mit Klebstoff so präpariert gehabt hätten, dass keine Fingerabdrücke genommen werden konnten. Untersuchungshaft sei aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht verhängt worden, sodass die Verfahren eingestellt wurden. "Eine Wiederaufnahme ist aber jederzeit möglich."