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Апрель
2021

Erbe | Koloniale Kontinuität

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In Ghana wurde ein LGBTI-Zentrum attackiert. Ein Blick auf Hass, Gewalt und homophobe Gesetze der Kolonialzeit

Matthew Blaise, 21, greift sofort zum Telefon, noch bevor die Nachrichten aus Ghana in der nigerianischen LGBTI-Community die Runde machen. Ein guter Freund hat angerufen, es habe einen Angriff auf das frisch eröffnete queere Gemeindezentrum in der Hauptstadt Accra gegeben. „Ich habe die Nachrichten sofort über meine sozialen Netzwerke gestreut“, sagt Blaise. Dem Account „Son of the Rainbow“ folgen auf Instagram 13.000 Menschen, auf Twitter sind es fast genauso viele. In kürzester Zeit solidarisieren sich Tausende auf der ganzen Welt online mit den Betroffenen in Ghana. So sehr die Anteilnahme Blaise bestärkt – die Angst um Freund*innen und das eigene Leben ist mit den Ereignissen aus Ghana gewachsen.

Es sollte das erste queere Gemeindezentrum in Accra werden. Schirme in Regenbogenfarben, Stehtischchen und Luftballons schmücken bei der Eröffnung Anfang März den Hinterhof eines einstöckigen Backsteinhauses. Das Bild, aufgenommen in Vorfreude auf die Eröffnung, ist das erste und vorerst letzte aus dem Zentrum. Am selben Tag stürmt die Polizei die Veranstaltung der Organisation LGBT+Rights Ghana. Der Exekutivsekretär der „National Coalition for Proper Human Sexual Rights and Family Values“, Moses Foh-Amoaning, fordert die Verhaftung der Mitglieder. Es folgt eine Hetzkampagne der Medien, die Bilder der Mitglieder drucken und die Öffentlichkeit zu Gewalttaten anstacheln. Viele fliehen oder müssen sich verstecken.

Homosexualität wird in Ghana mit bis zu drei Jahren Haft bestraft. Nach der Attacke auf das LGBTI-Zentrum forderten Politiker der Oppositionspartei, auch die Solidarisierung und „das Eintreten für Homosexualität in ihrer heutigen und zukünftigen Formen“ unter Strafe zu stellen. In vielen Nachbarländern sieht es ähnlich düster für queere Menschen aus. In 28 der 49 afrikanischen Staaten südlich der Sahara wird Homosexualität kriminalisiert. Im Sudan, in Nord-Nigeria, wo in Teilen Scharia-Recht angewendet wird, in Mauretanien steht die Todesstrafe auf Homosexualität. Im Entsetzen darüber wird in der Berichterstattung westlicher Medien oft ausgelassen, woher diese Gesetze – wie die meisten Verfassungen afrikanischer Länder – kommen: aus Europa.

Was im Geschichtsbuch fehlt

Blaise will auf Social Media das Bewusstsein über die jahrhundertealte afrikanische Geschichte queerer Menschen stärken: „Homophobie und die damit in Afrika eingezogenen Kirchen sind direkte Nachkommen des Kolonialismus. In einer postkolonialen Gesellschaft müssen wir deshalb nicht nur gegen die ökonomischen Folgen der Ausbeutung kämpfen, sondern auch gegen die ideologischen.“ Blaise betont: „Queerness ist kein westliches Konzept. Homophobie ist ein westliches Konzept.“ Im Norden Nigerias, wo heute schwule Männer mit dem Tod bedroht werden, gibt es in der Sprache Haussa den präkolonialen Ausdruck „yan daudu“. Er bezeichnet, verkürzt erklärt, eine soziale Kategorie. Mit dem Terminus werden Crossdressing und gleichgeschlechtliche Beziehungen wertneutral beschrieben. Mehr noch: Yan Dauda erfüllen eine tragende Rolle im spirituellen Kanon der nördlichen Haussa-Kultur.

Historische Quellen beschreiben auch Nzingha Mbande, die als Thronfolgerin des verstorbenen Königs im heutigen Angola die Gebiete Ndongo und Matamba im 17. Jahrhundert übernahm. Zwar heiratete sie einen Mann, doch ließ sie sich in 40 Jahren Herrschaft fortan mit „König“ ansprechen. Gesellschaftlich akzeptiert waren auch Mbandes weitere Ehen mit Frauen sowie ein Harem aus Männern, die Frauenklamotten trugen. Mit der Kolonisation und den europäischen Missionskirchen änderte sich der öffentliche Diskurs. Missionare verbreiten homofeindliche Parolen, Kolonialherren implementieren die homofeindlichen Gesetze der eigenen Länder auf die besetzten Gebiete. Queere Kulturpraktiken werden kriminalisiert, bestraft und unterdrückt. An dieser Schwelle gesellschaftlicher Veränderung steht König Mwanga II. 1899. Mit 16 wurde er zum letzten unabhängigen Thronfolger in Buganda, dem heutigen Uganda. Er zeigte sich offen in seiner Bisexualität, was insbesondere der britischen Kolonialmacht missfiel. Seine Untertan*innen hingegen schienen damit kein Problem zu haben. Er verlor den Machtkampf in der Region und starb im Exil auf den Seychellen.

Geschichtsbücher im heutigen Nigeria würden diese historischen Details aussparen, beklagt Blaise. Mehr noch, sie würden bestritten und revidiert: „Viele afrikanische Menschen kennen ihre eigene Geschichte nicht, sie glauben, was die Kirchen predigen.“ Auch den Kirchen hat Blaise den Kampf angesagt: „Die Kirchen mit ihren homophoben und transphoben Predigten sind das sichtbarste Überbleibsel des Kolonialismus. Und das gefährlichste.“ Heute leben in Subsahara-Afrika 470 Millionen Christ*innen, ein Fünftel der Christ*innen weltweit. Deutsche Missionar*innen begannen ab dem 19. Jahrhundert, Menschen in Afrika ihren Glauben aufzuzwingen. Viel später als in anderen Kolonialgebieten, aber nicht weniger gewaltvoll. Dennoch gewinnen die Kirchen insbesondere in Staaten mit schwachem bis gar keinem Sozialsystem noch heute konstant Mitglieder.

Matthew Blaise hätte damit kein Problem – wäre sein Leben dadurch nicht permanent in Gefahr. Blaise definiert sich als queer/femme, kleidet sich feminin, trägt gelegentlich Schmuck und Make-up. Im Internet wird Blaise dafür gefeiert, ist ein Vorbild, das Blaise selbst in der Jugend fehlte. Doch in der Öffentlichkeit, auf der Straße, ist die Stimmung eine andere. „Mein Look ist Teil meiner Identität, ich lasse mir das nicht nehmen“, sagt Blaise. „Auch wenn es ausreicht, mich zur Zielscheibe zu machen.“ Voriges Jahr wurde Blaise von der nigerianischen Sondereinheit SARS (Special Anti-Robbery Squad) auf dem Nachhauseweg festgenommen, verhöhnt und verprügelt. „Ich habe gesagt, dass ich für eine Menschenrechtsorganisation arbeite, weil ich wusste, dass sie Angst haben vor Anwält*innen und Aktivist*innen. Ich dachte, dass sie mich umbringen werden.“

Tatsächlich gehen zahlreiche Morde, Vergewaltigungen und Überfälle auf das Konto der SARS-Einheit. Blaise wurde schließlich freigelassen und schilderte der Online-Community sein Erlebnis. Tausende solidarisierten sich, der Post brachte Hunderte neue Follower*innen und den #EndSARS-Protesten in Nigeria neuen Aufwind. „Ich hatte Glück“, sagt Blaise „weil ich in meiner Identität gefestigt und durch meinen Aktivismus in meinem Umfeld bereits geoutet bin.“ Oft sei eine Strategie der Polizist*innen auch, queere Menschen zu erpressen, sie öffentlich zu outen. Blackmailing sei eine weitverbreitete Strategie, LGBTI-Personen unter Druck zu setzen, sagt Blaise. Und es gibt noch weitere, wie nach der Räumung des LGBTI-Zentrums in Ghana: Mitglieder wurden auf offener Straße angegriffen, erhielten Morddrohungen und wurden verhaftet.

Doch Blaise hat eigene Strategien entwickelt, die Hoffnung machen: „Social Media ist mächtiger als jede Zeitung in Nigeria. Du erreichst jeden damit. Unsere Diskussionen bleiben nicht im Internet. Sie sickern von dort in die Gesellschaft. Social Media ist in Westafrika der Anfang jeder sozialen Bewegung, und genau da sehe ich viel Potenzial für ein Umdenken.“ Dass es möglich ist, haben afrikanische Länder gezeigt: In Botswana kippte das oberste Gericht 2019 den Gesetzestext, der Homosexualität unter Strafe stellt, mit der Begründung, er sei ein „Relikt aus der viktorianischen Zeit“. Angola schaffte einen ähnlichen Paragrafen Anfang 2021 ab. Werden weitere Länder nachziehen? Blaise ist entschlossen: „Die kolonialen Gesetze müssen für die Menschen angepasst werden, die wir heute sind. Ich sehe es als meine Pflicht, so lange hierfür einzustehen, bis das passiert.“

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.




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