Kanzlerkandidat im Interview: Das große Laschet-Geplauder – und der demaskierende Einstieg
Armin Laschet im Gespräch am Montagabend: ein zielloser Galopp vom 70er-Jahre-Schlager über Gendersternchen bis zum Antisemitismus-Vorwurf gegenüber Hans-Georg Maaßen. Zu seinem CDU-Kollegen positioniert sich der Kanzlerkandidat eindeutig – bei anderen Fragen legt er sich weniger fest.
Armin Laschet hat ein Faible für Fußballwetten. Samstags geht's zum Büdchen, dort wird getippt. Auf Unentschieden. Das hat System. So macht er's immer. Ein Mann, der Sympathie hat für eine Welt, in der es keine Gewinner gibt und keine Verlierer, in der man halt einfach so da ist; ein bisschen 70er-Jahre-Schlager hören, ist doch alles in Ordnung so. Eine Hobbit-Identität. Was aber, wenn Sauron, äh Söder seine Pfade bedrohlich kreuzt? "Ich habe kein Messer in der Tasche", sagt der einstige Grundschulrabauke – denn ja, es stimmt, er habe als 6- oder 7-Jähriger seine spätere Frau verprügelt. Dann hilft also nur noch Beten? Sie sind Christ. Sie haben doch heute gebetet, Herr Laschet? "Nein."
Kanzlerkandidatenbefragung am Montagabend. Das Format heißt "ProSieben spezial". Die Interviewer sind Linda Zervakis und Louis Klamroth. Man könnte auch sagen: Arwen und Gimli. Also von der Mentalität her. Denn Schlachten sollen nicht geschlagen werden, Köpfe nicht rollen. Es soll menscheln. Man will plaudern. Und falls sich doch irgendwer vorgenommen haben sollte, Mensch, den Laschet, den nehmen wir aber mal so richtig in die Mangel, dann müsste man überlegen, warum Idee und Ausführung voneinander differieren. Klamroth setzt zwar auf die unbewährte Lanz-Taktik, wenn ich einmal frage und keine Antwort bekomme, dann frage ich halt noch ein zweites, ein drittes, ein viertes Mal. Etwa, als es darum geht, "ob die CDU Probleme habe mit Macht und Geld". Die jüngsten Beispiele: Maskenaffäre, Aserbaidschan-Affäre. "Es gibt in allen Parteien Skandale, das ist kein Unionsproblem", macht Laschet deutlich. Viermal hintereinander dazu befragt, sagt er: "Und ich gebe zum vierten Mal die Antwort."
Ein demaskierender Einstieg – nicht nur für Armin Laschet
Das mit den kritischen Fragen ist halt so eine Sache. Klamroth überlässt gleich zu Beginn Laschet das Feld: "Wenn Sie den Kanzlerkandidaten der Union kritisch interviewen müssten, welche Themen würden sie ansprechen?" Laschet scheint sich zu wundern, als gehöre das nun wirklich nicht hierher: "Kritisch?" – "Ja, muss ja, oder?" - "Ja." Ein demaskierender Einstieg, nicht nur für Laschet. Der einigt sich mit sich selbst auf Selbstreflexionsverweigerung: "Es ist schwer, sich selbst kritisch zu befragen." Pause. "Dazu fällt mir jetzt gar nichts ein." Es sind gerade mal eineinhalb Minuten vergangen, da kündigt Zervakis bereits "Auflockerungsübungen" an, als stünde sie vor einer völlig verkrampften Cluburlauber-Truppe. Später übrigens wird die Selbstreflexion nachgereicht. Welche Fehler gab es in der Pandemie? Wofür würden Sie sich gerne entschuldigen? "Im März/April 2020 haben wir Menschen alleine sterben lassen in den Krankenhäusern und Pflegeheimen, das kann man nie wieder gutmachen", sagt Laschet nachdenklich. Seine Betroffenheit ist zu spüren.
Nun aber weiter. Die Moderatoren wollen voran. Welchen Signature Move haben Sie sich überlegt? Angela Merkel hat ja die Raute, und Sie? "Nichts." Was mögen Sie an Annalena Baerbock? "Sie hat eine sehr herzliche Art". Und an Olaf Scholz? "Er hält seine Versprechen." Ehe für alle? "Ist in Ordnung." Gendersternchen? "Kann man machen." CO2-Budget? "Nennen wir nicht." Wann werden Verbrennermotoren verboten? "Wir setzen kein Ausstiegsdatum fest." Kurzstreckenflüge abschaffen? "Was sind Kurzstrecken?" Nochmal: Kurzstreckenflüge abschaffen? "Nein." Bundeseinheitliches Tempolimit von 130? "Nein."
PAID STERN 2020_21 Der Kann’s! 6.15hZwischendurch die nächsten Auflockerungsübungen gefällig? Und dann, wie wäre es mit einem Gebet für Hans-Georg Maaßen? Was ist eigentlich dran am jüngsten Antisemitismusvorwurf? "Für so einen harten Vorwurf braucht man andere Belege als linguistische", macht Laschet klar. Aber Maaßen benutze doch antisemitische Codes wie "Globalist", so Klamroth. Laschet wehrt ab, er mag diese Zuordnungen nicht, und auch nicht die Gleichsetzung, dass der, der antisemitische Codes verwende, wenn es denn welche seien, automatisch Antisemit sei. Klamroth verweist auf Experten, die das anders sehen. Interessiert Laschet nicht. Klamroth setzt noch mal an: "Es gibt Experten…" Laschet besteht darauf: "Maaßen ist nicht rechtsradikal und kein Antisemit. Wäre er es, müsste er die Partei verlassen." Thema abgehackt. Ernsthaft?
Aber, ja, wir haben doch keine Zeit. Und genau das ist das Problem des Formats: man galoppiert in 45 Minuten umher vom Büdchen zum Beten, vom Gendersternchen zu Olaf Scholz, vom 70-er-Jahre-Schlager zum Antisemitismus-Vorwurf. Das liest sich nicht nur schaurig – das ist schaurig. Als könnte eins eben mal so neben dem anderen stehen. Gleichrangig. Allein: Was ist damit gewonnen? Für die "richtige Mischung" braucht's schließlich noch ein paar Tränen. Ja, er habe geweint, sagt Laschet, beispielsweise beim Steinkohle-Abschied in NRW. Und ja, er habe Sehnsüchte. Nach dem Ende der Pandemie wolle er die Menschen wieder umarmen. Nun. Es wird sich zeigen, inwiefern ihn auch die Wähler umarmen wollen.