Südwest: Abellio hat Finanzprobleme
Von Theo Westermann, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Beim Nahverkehrsunternehmen Abellio, das in Baden-Württemberg mehrere Bahnlinien im Regionalverkehr betreibt und in weiteren Bundesländern engagiert ist, läuft es nicht mehr rund. Dem Unternehmen, das zum niederländischen Staatskonzern Nederlandse Spoorwegen gehört, laufen die Kosten davon. Der niederländische Finanzminister hat einen Brandbrief an die Ministerpräsidenten der betroffenen Bundesländer geschrieben und erwartet finanzielle Hilfen. Auch in Baden-Württemberg stellt man sich auf Gespräche und mögliche Szenarien ein. Ein Überblick.
Womit drohen die Niederlande, beziehungsweise die niederländische Staatsbahn?
"Nederlandse Spoorwegen informierte mich, dass sich das Unternehmen bei Ausbleiben einer zeitnahen Lösung gezwungen sieht, sein weiteres Engagement in den einzelnen Regionen zu überdenken", schrieb der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra. Die Antwort des baden-württembergischen Verkehrsministers Winfried Hermann (Grüne) darauf ist deutlich: "Als Verkehrsminister (....) muss ich ein solches Agieren mit ultimativen Forderungen und uneinlösbaren Fristsetzungen entschieden zurückweisen. Rechtlich und tatsächlich sind Korrekturen der Verträge im Nachhinein, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt möglich." Er betont allerdings ausdrücklich Gesprächsbereitschaft. Beide Schreiben liegen unserer Zeitung vor.
Welche Linien betreibt Abellio im Land?
Abellio hat 2016 den Zuschlag für zwei Stuttgarter Netze bekommen, die vorher von der DB-Regio betrieben wurden. Die DB-Tochter hat die Netze verloren wegen eines Formfehlers, nicht weil Abellio ein Dumpingangebot gemacht hätte. Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren sein Netz aufgebaut. Es betreibt inzwischen Züge von Stuttgart aus nach Heilbronn, Tübingen, Mannheim, Osterburken, Mühlacker, Pforzheim, Bretten, Karlsruhe, Bruchsal und Heidelberg. In Pforzheim baute Abellio einen größeren Bahnbetriebshof.
In den vergangenen Jahren gab es ein Bündel von Problemen. Welche waren gravierend?
Über Jahre konnte der Zughersteller Bombardier bestellte Züge nicht liefern. Abellio musste Ersatzzüge mieten, das kostete einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag. In einem Rechtsstreit konnte Abellio aber erreichen, dass Bombardier 90 Prozent der dadurch entstandenen Kosten ersetzen musste. Zahlreiche Baustellen auf den bedienten Strecken führten zudem zu Verspätungen und damit zu Strafzahlungen laut Verkehrsvertrag.
Welche Rolle bei den Defiziten spielen die Tarifverträge?
Ganz generell betrachtet müssen Verkehrsgesellschaften um ihr Personal kämpfen. Vor allem Lokführer können sich die Angebote aussuchen. Die steigenden Lohnkosten spielen eine zentrale Rolle bei den aktuellen Schwierigkeiten. Die Eisenbahnergewerkschaften haben in der Vergangenheit Tarifverträge verhandelt, die weniger auf Lohnsteigerungen, sondern auf Freizeitausgleich setzten – was aber die Lohnkosten durch weiteres Personal deutlich steigen lässt. Die Verkehrsverträge sehen einen Ausgleich von Tariflohnsteigerungen vor, aber nicht Kostensteigerungen durch Freizeitausgleich. Dieses Problem trifft aber auch andere Verkehrsgesellschaften.
Es steht die Drohung aus den Niederlanden mit der Insolvenz im Raum. Was wäre die Folge?
Konkret geht es um ein mögliches Schutzschirmverfahren, eine Insolvenz in Eigenregie. Die finanzielle Situation in Nordrhein-Westfalen und in den östlichen Bundesländern für Abellio soll aber dramatischer sein, in Baden-Württemberg soll es um ein einstelliges Millionendefizit gehen. Auch mit Baden-Württemberg werden Gespräche über ein Schutzschirmverfahren geführt.
Müssen sich Bahnkunden Sorgen machen, dass von einem Tag auf den anderen die Züge des Unternehmens Abellio still stehen?
Nein, es muss niemand befürchten, dass der Verkehr im Fall der Fälle sofort eingestellt wird. Da gibt es Vorkehrungen und Zusicherungen, dass der Betrieb – wenn der Insolvenzfall einträte – für einen längeren Übergangszeitraum gesichert ist, bestätigt Edgar Neumann, Sprecher des Verkehrsministeriums. Hinzu kommt, dass die Fahrzeuge dem Land gehören. Sie werden durch die Schienenfahrzeugfinanzierungsgesellschaft erworben und nur an die Verkehrsunternehmen vermietet – diese können allerdings bei der Bestellung den Lieferanten aussuchen.