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Июнь
2021

Arbeit | Riders in ’nem Sturm

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Ein wilder Streik beim Lieferdienst Gorillas demaskiert die hohle Start-up-Rhetorik

Die Gorillas haben die Schnauze voll. An einem heißen Donnerstagvormittag skandieren sie Sprechchöre über die Prenzlauer Allee: „The workers united – will never be defeated.“ Die „vereinten Arbeiter*innen“, die sich niemals besiegen lassen wollen, sind jung, etwa 30 von ihnen stehen auf dem Bürgersteig. Die meisten sind Fahrradkuriere, sogenannte Rider. Zusammen blockieren sie den Eingang der Gorillas-Auslieferstation in Berlin-Prenzlauer Berg.

Es gibt Transparente, gereckte Fäuste in der Luft, „We want Santi back“, dann Applaus und Jubelrufe. Eine fast ebenso große Gruppe von Journalist*innen drängelt sich um die jungen Menschen – das Interesse an der Aktion ist ungewöhnlich groß. Denn Gorillas, das ist jenes Instant-Liefer-Späti-Start-up, dessen Gründer Kağan Sümer zuletzt in vielen Zeitungen seine Marketingsprüche verbreiten durfte: von der Gemeinschaft, die sein „Einhorn“ mit den Ridern bilde. Die proben gerade einen wilden Streik – das gibt es auch im protestverwöhnten Berlin selten.

Schon am Vortag hatte dieser besondere Streik begonnen. Im Auslieferzentrum in der Kreuzberger Charlottenstraße war einem Fahrer namens Santiago, „Santi“, in seiner Probezeit gekündigt worden. Wegen einmaligen Zuspätkommens und ohne Vorwarnung, sagen die Streikenden. Das Management wird später von „grobem Fehlverhalten“ sprechen, ohne die Vorwürfe zu beweisen. Unmittelbar nach der Kündigung legen zuerst Gorillas-Beschäftigte in der Charlottenstraße die Arbeit nieder, andere kommen hinzu. Als das Management die Polizei ruft, ziehen die Fahrer*innen weiter in die Torstraße nach Berlin-Mitte und setzen sich vor den Eingang des dortigen Auslieferzentrums, das daraufhin den Betrieb einstellen muss.

Insgesamt 14 solcher Auslieferzentren von Gorillas gibt es in Berlin – Tendenz steigend. Sie sind essenziell für das Geschäftsmodell des Lieferdienstes. In den Zentren lagern die Waren des täglichen Gebrauchs, die Kund*innen über die Gorillas-App ordern können. Sogenannte Picker sammeln in kürzester Zeit die bestellten Waren ein und übergeben die Einkaufstüten den Ridern. Diese bringen sie zu den Kund*innen: innerhalb von zehn Minuten, das ist das Versprechen von Gorillas. Ohne Auslieferzentren an verschiedenen Standorten in der Stadt würde es nicht funktionieren. Für die Streikenden ist das von Vorteil: So lässt sich die am ersten Tag erprobte Blockade in der Torstraße einfach auf andere Orte ausweiten.

Der Streik hat indes eine Vorgeschichte: Schon im Februar hatten Fahrer*innen für kurze Zeit die Arbeit niedergelegt, weil eisige Temperaturen und verschneite Straßen die Auslieferung unzumutbar machten. Das Unternehmen versuchte, den Eindruck zu erwecken, es habe den Betrieb aus Sicherheitsgründen selbst eingestellt, doch die Fahrer*innen widersprachen. Seitdem organisieren sie sich im Gorillas Workers Collective, einer Art Basisgewerkschaft. Nur wenige Tage vor dem wilden Streik wurde die erste Hürde für die Wahl eines vom Workers Collective angestrebten Betriebsrates genommen – auch hier hatte es Stress mit dem Management gegeben.

Dabei ist den Arbeiter*innen die heikle Lage, in die sie ihr Kampf bringt, durchaus bewusst. Anders als Gorillas-Gründer Kağan Sümer behauptet, ist die Position der Beschäftigten bei Gorillas prekär. Sie sind zwar nicht zur Scheinselbstständigkeit gezwungen wie viele andere in der wachsenden Gig-Economy. Doch es bleibt bei niedrigen Löhnen von 10,50 Euro die Stunde, undurchsichtigen Boni, Überstunden, unzureichender Ausrüstung und häufigen willkürlichen Kündigungen. Da Gorillas erst im Mai 2020 gegründet wurde und zuletzt stark wuchs, sind die meisten Angestellten, auch die meisten Streikenden, noch in der Probezeit, in der es kaum Kündigungsschutz gibt – was offenbar auch ihrem gefeuerten Kollegen zur Falle wurde. Dazu kommt, dass viele keinen sicheren Aufenthaltsstatus und kaum andere Jobperspektiven haben, auch wegen Corona. Trotzdem beteiligen sie sich an einem nach deutschem Streikrecht irregulären Ausstand.

Der Protest ist illegal? – Egal

Liegt es daran, dass ein großer Teil der meist jungen Rider und Picker aus Italien, Spanien, Chile, der Türkei und anderen Ländern stammt und eine Sprache spricht, die selbst Gewerkschafter*innen und Linke in Deutschland oftmals scheuen? Damit ist nicht das Englisch gemeint, in dem sie in der Regel miteinander kommunizieren. Sie bezeichnen sich selbstverständlich als Arbeiter*innen, treten selbstbewusst und unversöhnlich auf. „Gorillas kann einen Rider feuern, oder zwei oder drei, aber nicht 50. Wir sind die Basis für ihr Wertversprechen. Ohne uns kann Gorillas keine Geschäfte machen“, sagt der Fahrer Hueseyin am Donnerstag auf der Prenzlauer Alle in die Kamera von Labournet TV. „Wir sind diejenigen, die das überhaupt möglich machen. Wir werden nicht verlieren.“

Viele der Rider leben noch nicht lange in Deutschland und haben die durchregulierten deutschen Arbeitskampfbeziehungen noch nicht verinnerlicht. Manche bringen Erfahrungen mit politischem oder gewerkschaftlichem Widerstand aus anderen Teilen der Welt mit. Dass in Deutschland Streiks, zu denen keine „tariffähige“ Gewerkschaft aufruft, nicht legal sein sollen, leuchtet ihnen nicht ein. „Ich verstehe nicht, warum spontane Streiks hier so selten sein sollen“, sagt ein Fahrer am Rande einer Blockade. „Es ist doch eigentlich nicht so schwer.“

Groß ist auch der Kontrast zur Start-up-Rhetorik, die das Gorillas-Management bemüht. In dieser Sprache sind alle Rider und Picker eine „Familie“, eine „Community“ und Teil einer „Bewegung“. Eine Kostprobe davon bietet Kağan Sümer zwei Tage nach Ausbruch des Streiks während eines Zoom-Meetings, zu dem er alle Gorillas-Mitarbeiter*innen zuvor per Mail eingeladen hatte. Er stehe zu der Kündigung, lässt der 33-Jährige dort wissen, sei aber „superoffen“ für konstruktive Kritik am Prozess oder an der Kommunikation. Im selben Atemzug stellt er klar, dass er die Aktionen der vergangenen Tage nicht als „konstruktive“ Kritik begreift: 65 Prozent der Mitarbeiter*innen seien zufrieden, der Konflikt werde von „außenstehenden Interessengruppen“ befeuert. Er werde Ende Juni zu einer Fahrradtour zu allen Gorillas-Standorten in Deutschland aufbrechen, um mit seinen Angestellten ins Gespräch kommen. Fragen oder Diskussion nach seiner Rede im Zoom gestattet er nicht.

Die Streikenden macht Sümer damit nur noch wütender. Wenige Stunden nach dem Meeting blockieren sie erneut ein Auslieferzentrum, diesmal in der Muskauer Straße in Kreuzberg. „Er sagt, 65 Prozent bei Gorillas seien zufrieden, aber was ist mit den anderen 35 Prozent?“, fragt Zeynep, die zum harten Kern der Streikenden gehört und bereits am Vortag vielen Journalist*innen geduldig das Anliegen des Workers Collective erklärt hat. Der Forderungskatalog ist inzwischen gewachsen: Neben der Wiedereinstellung von Santiago fordern die Streikenden ein Ende von aus ihrer Sicht willkürlichen Kündigungen. „Wenn unsere Probleme nicht gelöst werden, dann machen wir weiter“, sagt Zeynep. Ob mit weiteren Streiks oder anderen Aktionen, ist noch offen.

Sie und ihre Kolleg*innen wissen, dass die Angst des Managements vor einem Imageschaden ihnen in die Hände spielt. Gorillas befindet sich im Stadium aggressiven Wachstums, wie das für ein Unicorn, also ein Start-up mit einer Marktbewertung von mehr als einer Milliarde Dollar, üblich ist. Wie andere Start-ups wirft Gorillas aber keinen Profit ab, es ist noch bloß ein Versprechen auf die Zukunft, veredelt mit Unsummen an Risikokapital und ausgerichtet auf die Mission, immer weiter zu wachsen und alle Mitbewerber vom Markt zu verdrängen. Die schießen gerade wie Pilze aus dem Boden: Das gleiche Geschäftsmodell wie Gorillas verfolgen etwa Flink und Getir, die auch in Berlin expandieren.

Die Rider und Picker haben also einerseits große Macht: Streiks, Organisierung und die öffentliche Skandalisierung der Arbeitsbedingungen können Investor*innen und Kund*innen abschrecken. Die Protestaktionen bei Gorillas werden aufmerksam beobachtet. In unternehmernahen Medien versucht man etwa, die Ursachen für die „große Wut“ der Fahrer*innen zu ergründen. „Aber ganz offensichtlich ist: Das Fass ist bei Gorillas massiv übergelaufen“, schreibt das Portal Gründerszene. Der Autor, ein Arbeitsrechtler, rät dem Unternehmen, mit den Arbeiter*innen ins Gespräch zu kommen, statt sie zu kündigen, sonst laufe es Gefahr, keine für die Expansion benötigten neuen Rider zu finden.

Andererseits ist der unmittelbare ökonomische Schaden des Streiks und der Blockaden begrenzt: Wo keine Profite gemacht werden, kann man sie nicht schmälern. Gorillas wird also vermutlich versuchen, den Konflikt auszusitzen, und hoffen, dass das öffentliche Interesse schnell nachlässt. Diese Strategie ist jedoch wie das ganze Geschäftsmodell: eine riskante Wette auf die Zukunft.

Die Wette der Streikenden lautet Solidarität und Zusammenhalt. Auch ihr Einsatz ist hoch: Schon jetzt haftet ihrem Kampf etwas Vorbildhaftes für die gesamte Branche an. Für jene wachsende Armee an bunten Ridern, die auf den Straßen der Hauptstadt Essenboxen ausfahren, kühles Bier oder Zahnpasta wie die Gorillas: Hier werden die Weichen für ihre Zukunft gestellt.

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.




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