J. Peirano: Der geheime Code der Liebe: Ich habe den Kopf zu wenig frei für Sex – nun hat mir meine Freundin ein Ultimatum gesetzt
Sex gehört für die meisten Menschen zu einer funktionierenden Beziehung dazu – auch für Svantje. Doch im Alltag fällt es ihr schwerer, so viel Raum dafür zu schaffen, wie ihre Freundin es sich wünschen würde. Jetzt steht die Beziehung deshalb auf der Kippe.
Liebe Frau Peirano
ich (w) bin 34 Jahre alt und seit vier Jahren in einer Beziehung zu einer Frau (24 Jahre). Seit einem Jahr sind wir verlobt und die Familienplanung und die Zukunftspläne waren gedanklich schon geplant. Ich bin seit einigen Jahren in einem festen Job, sie studiert und ist kurz vor Abschluss ihres Bachelors (wobei sie hier bereits seit einem Jahr davon redet). Finanziell liegt vieles bei mir.
Leider stecken wir wieder in einer Krise, denn das Thema Sex kommt leider immer wieder als Problem hoch. Ich bin nicht der Typ, der viel über Sex spricht, geschweige denn jemand, der Sex plant. Ich kann mich tatsächlich schwer soweit fallen lassen, dass es eine harmonische Basis gibt.Peirano: Abtreibungsfolgen 1740
Meine Freundin ist genau das Gegenteil. Wenn Sie sich jetzt fragen, warum das Thema erst nach vier Jahren hoch kommt, kann ich Ihnen mitteilen, dass es leider häufiger als gewollt auftaucht.
Hauptsächlich spricht meine Freundin mich immer auf das Thema an. Im vergangenen Jahr haben wir vielleicht fünfmal Sex gehabt. Die Leidenschaft wie am Anfang unserer Beziehung ist nicht mehr da und der Alltag ist zu schnell eingekehrt.
Ich finde, dass es in einer Beziehung auch auf andere Dinge ankommt, wie Haushalt, Planen von Unternehmungen
und so weiter. Meine Unzufriedenheit bei diesen Themen ist immer größer geworden. Ich konnte meiner Freundin nie erklären, warum ich keine Lust auf Sex habe (ich hab ja Lust, aber nicht unter bestimmten Voraussetzungen). Meine größte Angst beim Sex ist jedoch, sie nicht zufrieden stellen zu können. Es fehlt mir hier schlichtweg an Erfahrungen und Ideen, um unser Sexleben wieder aufleben zu lassen. Natürlich haben wir einiges an Sexspielzeug und haben auch schon über unsere Phantasien geredet. Aber umgesetzt haben wir diese eher weniger.
Sie hat mir einige Mal ein Ultimatum gesetzt und nun ist sie an einem Punkt angekommen, dass sie nicht mehr so weiter machen will. Ich habe in der Vergangenheit ihre Worte nicht ernst genommen und mich auf dem ausgeruht, was wir hatten. Ich habe sie als zu selbstverständlich genommen. Die Quittung habe ich mit einem Kuss zu einer anderen Frau kassiert. Zudem fühlt sie sich sexuell zu der Person hingezogen und sie weiß nicht mehr, ob das was wir seit vier Jahren haben, ausreicht.
Erst jetzt muss ich erkennen, dass ich meine Frau verliere, wenn ich nicht wirklich was an mir ändere. Ist es schon zu spät? Das Vertrauen zwischen uns ist natürlich flöten gegangen. Aber ist es wieder möglich eine vertrauliche Basis nach den Ereignissen in der Vergangenheit zu bekommen?
Ich kann tatsächlich für mich behaupten, dass wir keine platonische Beziehung führen, geführt haben. Ich finde meine Freundin durchaus immer noch attraktiv und sexy. Und ich liebe sie aus tiefstem Herzen. Aber haben wir noch eine Chance für unsere Beziehung? Bin ich in der Lage meine sexuellen Phantasien umsetzen zu können?
Viele liebe Grüße und danke,
Svantje R.
Liebe Svantje R.,
es sieht so aus, als wenn Sie durch die aktuelle Zuspitzung beide wach gerüttelt werden und sich noch einmal genau anschauen können (und müssen), ob Ihre Beziehung eine Chance hat.
Das ist natürlich jetzt schmerzhaft, aber es lohnt sich, diesen Prozess gründlich und geduldig zu durchlaufen. Es bringt Ihnen ja auch nichts, wenn Sie vor den bestehenden Konflikten weiterhin die Augen verschließen und diese Sie dann später einholen.
Sie beschreiben, dass Ihnen (aus meiner Sicht als oberste Spitze des Eisbergs) die Sexualität abhanden gekommen ist, zumindest mehr oder weniger.
Es liegt nicht daran, dass Sie Ihre Freundin nicht mehr attraktiv finden - das ist schon einmal gut. Anscheinend liegen die Ursachen für Ihre Lustlosigkeit woanders. Sie haben offenbar in Ihrer Beziehung die "unsexy" Rolle der Planerin, Versorgerin und Macherin eingenommen, während Ihre Freundin "das Gegenteil" ist. Was heißt denn das genau? Lässt sie sich sorglos treiben, nimmt sie sich Zeit, vermeidet sie es, Verantwortung zu übernehmen?
Kann es sein, dass dieses Ungleichgewicht bei Ihnen auch zu Groll und und Ärger führt? Es wäre sicher für Ihre Beziehung förderlich, wenn Sie hier offen darüber sprechen, wer welche Aufgaben bisher übernommen hat und welche Erwartungen und Wünsche Sie diesbezüglich haben. Oft ist es auch so, dass die Rollen sich im Laufe der Zeit unangenehm verstärken: Einer macht so viel, weil der andere so wenig macht. Und der andere macht noch weniger, weil der andere ja schon alles macht (und er oder sie es eh der oder dem anderen nicht Recht machen kann).
Dazu kommt, dass Sie anscheinend eine sehr verantwortungsbewusste und auch leistungsorientierte Persönlichkeit haben. Das hat sehr viele Vorteile (ein geordnetes Leben, das Erreichen von Zielen), aber auch gewissen Nachteile. In der Sexualität haben Sie auch den Anspruch, Ihre Freundin zufrieden zu stellen und auch Angst, dass Ihnen das nicht gelingt. Es wäre bestimmt hilfreich, wenn Sie sich mehr um Ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse kümmern würden und auch lernen, loszulassen und sich auch gehen zu lassen. Können Sie Situationen genießen und sich Zeit lassen, diese intensiv zu spüren und auch etwas laufen zu lassen? Oder haben Sie immer den Wunsch, alles unter Kontrolle zu haben?Bio Julia Peirano
Hier könnten Sie viel von Ihrer Freundin lernen, und Ihre Freundin könnte eventuell auch von Ihnen lernen, wie man sich Aufgaben fair teilt.
Sie sprechen von sexuellen Phantasien, die Sie miteinander teilen. Es wäre bestimmt interessant, sich diese Phantasien noch einmal hervor zu holen und sich zu fragen: Worum geht es da eigentlich? Geht es um Kontrolle, oder darum, Kontrolle aufzugeben? Geht es um Macht? Um Leistung? Um Abwechslung oder darum, Grenzen auszuweiten? Diese Themen können Ihnen zeigen, wohin Sie sich entwickeln können, wenn Ihre Beziehung in ein neues Gleichgewicht kommen soll.
Wie sieht es eigentlich bei Ihnen beiden mit Nähe aus (Zärtlichkeit, Gespräche, gemeinsame Unternehmungen, gleiche Vorstellungen und Werte)? Haben Sie sich vor der jetzigen Krise einander nah gefühlt - und wenn ja, wie haben Sie diese Nähe gelebt? Und wenn Sie nicht genügend Nähe empfunden haben: Was haben Sie besonders vermisst, und was hat Ihre Freundin vermisst?
Ihre Freundin fühlt sich zu einer anderen Frau hingezogen. Auch wenn es schmerzhaft ist, würde es sich lohnen, genauer hinzuschauen, was sie dort sucht. Wahrscheinlich ist es genau das, was Ihrer Beziehung gerade fehlt.
Übrigens ist ein Ultimatum in einigen Situationen angebracht und kann Veränderungen bewirken. Zum Beispiel ist es bei Suchtverhalten oft der einzige Weg, zu sagen: "Wenn du weiter trinkst, bin ich weg." Aber in der Sexualität bewirken Ultimaten genau das Gegenteil von dem, was sie bezwecken sollen. Sie leiden schon genug darunter, dass Sie wenig Lust haben oder sich nur selten so locker machen können, dass Sie der Lust Platz einräumen. Ein Ultimatum bewirkt da noch mehr Zwang und Leistungsdruck, und davon haben Sie anscheinend schon genug.
Ich würde Ihnen raten, mit Ihrer Freundin jetzt ganz viel zu reden, und zwar über die Themen, die ich angeschnitten habe, über Ihre Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Reden Sie, lassen Sie auch die unbequemen und unangenehmen Themen ans Licht kommen - und mit der Zeit wird sich hoffentlich herauskristallisieren, ob Sie eine gemeinsam Zukunft haben.
Ich wünsche Ihnen viel Kraft und noch mehr Erkenntnisse dabei!
Herzliche Grüße
Julia Peirano