Dieselskandal: Rückgaberecht schließt Schadensersatz nicht aus
Von Anja Semmelroch
Karlsruhe. Der Bundesgerichtshof (BGH) stärkt die Position von Diesel-Klägern, die ihr Auto per Ratenkauf finanziert haben. Ihnen kann auch dann Schadenersatz zustehen, wenn sie von einem Rückgaberecht im Darlehensvertrag keinen Gebrauch gemacht haben, urteilten die Karlsruher Richterinnen und Richter am Donnerstag in einem Audi-Fall. Die zentrale Frage, ob der VW-Tochterkonzern für Abgasmanipulationen an eigenen Motoren grundsätzlich haftet, blieb allerdings vorerst unbeantwortet. (Az. VII ZR 389/21)
Die Entscheidung zum sogenannten verbrieften Rückgaberecht ist auf andere vom Dieselskandal betroffene Automarken übertragbar. Es hält Kunden die Möglichkeit offen, das Auto mit Fälligkeit der Schlussrate zu einem festen Preis an den Händler zurückzuverkaufen.
Der Mann in dem Fall hatte seinen Audi A6 Anfang 2017 gekauft und sich für eine Finanzierung über die Audi Bank entschieden. Ende 2018 beanstandete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) den Motor – ein Modell vom Typ EA897 – wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung und ordnete den Rückruf an. Der Kläger fordert Schadenersatz. Sein Rückgaberecht nutzte er nicht, inzwischen sind alle Raten gezahlt. Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hatte dies für widersprüchlich gehalten. Der Mann hätte das Auto schließlich nicht behalten müssen.
Die obersten Zivilrichter des BGH urteilen jetzt anders: Der Schaden entstehe beim Abschluss des Vertrags und entfalle nicht durch ein Rückgaberecht. Der Senatsvorsitzende Rüdiger Pamp sagte, es könne für den Käufer wirtschaftlich sinnvoller sein, auf Schadenersatz zu setzen. Nur weil jemand vom Rückgaberecht keinen Gebrauch mache, sei das noch keine Bestätigung des Kaufvertrags.
Ob der Kläger tatsächlich Geld bekommt, ist allerdings offen. Sein Fall muss in Celle neu verhandelt werden, denn die OLG-Richter hatten sich wegen ihrer Einschätzung zum Rückgaberecht nicht mit einer möglichen Haftung von Audi auseinandergesetzt. Vor dem BGH konnte diese Frage daher keine Rolle spielen.
Die Karlsruher Richter hatten eigentlich parallel einen zweiten, ähnlichen Fall verhandeln wollen, den der Käufer für sich entschieden hatte. Das OLG Koblenz hatte im Rückgaberecht kein Problem gesehen – und war der Ansicht, dass Audi wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung für den entstandenen Schaden haftet. Vermutlich hätte sich der BGH also auch zu diesem Punkt geäußert. Audi und VW hatten ihre Revision am Mittwoch allerdings kurzfristig zurückgezogen. Man habe sich entschieden, die BGH-Verhandlung "auf ein Verfahren zu konzentrieren", hieß es.
Damit ist das Koblenzer Urteil rechtskräftig. Rechtsanwalt Claus Goldenstein, dessen Kanzlei im Abgasskandal auf Verbraucherseite aktiv ist, teilte mit: "Audi zahlt einem einzigen Kläger Schadensersatz, um ein Grundsatzurteil und eine daraus resultierende Klagewelle zu verhindern." Viele Ansprüche drohten zum Jahreswechsel zu verjähren, weil die Autos bereits 2018 zurückgerufen worden seien.
Audi betonte, der BGH habe sich in seiner Entscheidung "zu einem konkreten Verfahren in einer Sonderkonstellation geäußert". "Das Urteil betrifft damit nicht die Frage der sittenwidrigen Schädigung und lässt keine Rückschlüsse hierauf zu. Aus unserer Sicht ist dem Kläger kein Schaden entstanden."
Nach dem Auffliegen des Abgasskandals um den VW-Motor EA189 im Herbst 2015 waren auch die größeren Audi-Motoren in Verdacht geraten. Im März 2017 nahm die Staatsanwaltschaft Ermittlungen auf. Seit September 2020 stehen Ex-Audi-Chef Rupert Stadler, der frühere Audi-Motorenchef und spätere Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz und zwei leitende Audi-Ingenieure in München vor Gericht. Es geht um den Vorwurf, dass Hunderttausende Dieselmotoren so manipuliert worden sein sollen, dass sie Abgastests bestanden, obwohl sie im Straßenverkehr zu viele Giftstoffe ausstießen.