Sozialministerin: Köpping: Gefühl der Unsicherheit ist in Ostdeutschland groß
Vor sieben Jahren hat die sächsische SPD-Politikerin Köpping schon einmal eine Grundsatzrede gehalten. Damals ging es um Ungerechtigkeiten nach der Wende. Das Thema Ostdeutschland lässt sie nicht los.
Die sächsische Sozialministerin Petra Köpping hat angesichts einer schlechten Stimmung in Teilen der Gesellschaft an gemeinsame Werte appelliert. "Der Glaube an etwas Gemeinsames mag uns im Moment manchmal fehlen. Aber die Idee, gemeinsam für etwas einzustehen, hat weiterhin Strahlkraft", sagte die SPD-Politikerin am Freitagabend bei der Veranstaltungsreihe "Bautzener Reden" im Dom St. Petri der ostsächsischen Stadt. Sie hatte ihre Rede unter das Motto "Damit die Wut uns nicht zerreißt: Wer hält unsere Gesellschaft zusammen?" gestellt. Bei Gesprächen erlebe sie Menschen zunehmend erschöpft und verunsichert, vor allem in Ostdeutschland.
"Und warum sind gerade wir hier so sensibel? All diese Krisen und Konflikte sind bei uns hier im Osten besonders durch die Nachwendezeit geprägt: Das Gefühl der Unsicherheit trifft im Osten Deutschlands auf ein Grundgefühl einer entsicherten Gesellschaft", betonte Köpping. Insgesamt stehe man im Osten noch immer auf einem wackeligeren Boden als etwa in West- oder Süddeutschland. "Wenn die Preise steigen, dann trifft das den Osten besonders hart: Denn die Einkommen im Osten sind immer noch geringer als im Westen. Zudem haben die Menschen in Ostdeutschland weniger Vermögen in der Hinterhand. Das fördert die Unsicherheit." Im Osten tue etwa eine hohe Nebenkostenabrechnung besonders weh.
Köpping zufolge ist auch den Fachkräftemangel im Osten besonders ausgeprägt - als direkte Folge der Nachwendezeit, als gerade viele junge Menschen in den Westen gingen, vor allem Frauen. "Vielleicht das erste Mal in den letzten 30 Jahren kam wenigstens im privaten Bereich das Gefühl auf, dass so etwas wie Ruhe und Stabilität bei uns ankommt. Dass man etwas geschafft hat. Dass es besser wird. Und zugleich folgte Krise auf Krise. Und es soll sich wieder alles verändern. Kein Wunder, dass viele im Osten müde von diesem grundlegenden Wandel sind. Sachsen hat gerade etwas aufgebaut. Aber für viele scheint der in letzten 30 Jahren im Osten hart erarbeitete kleinere oder größere Wohlstand in Gefahr."
"In der öffentlichen Debatte wird mit Reizworten um sich gehauen und Provokation gesucht. Das Problem sind die Reizworte oder Triggerpunkte, wie sie der Soziologe Steffen Mau nennt. Wir kennen sie alle: das Lastenfahrrad, der SUV-Fahrer, das Gendersternchen, das vegane Schnitzel. Genau diese Reizworte führen dazu, dass eine sachliche Debatte in eine emotionalisierte Debatte umschlägt", führte die Ministerin aus. Hingegen bekomme die "stille Mitte" mit ihren sehr unterschiedlichen und differenzierten Ansichten wenig Gehör. Sie stimme Steffen Mau zu, dass man diesen moderaten Stimmen viel mehr Raum geben müsse.
Strahlkraft kann nach Meinung von Köpping die Idee einer sozial gerechten Gesellschaft haben. "Es ist eine Idee, die dem Egoismus in Gemeinsamkeit entgegentritt. Deswegen finde ich die neue ostdeutsche Arbeiterbewegung so wichtig, die gerade in immer mehr Betrieben für ihre Rechte und höhere Löhne kämpft: Das bringt vielen ostdeutschen Beschäftigten den Respekt zurück." Deswegen finde sie auch die aktuellen Demos gegen Rechtsextremismus so wichtig. Die Leute erlebten nach Jahren vielfacher Krisen und verbreiteter Ohnmachtsgefühle einen Aufbruch, der aus der Mitte der Gesellschaft kommt.