Klimawandel: Außergewöhnlich warme Temperaturen: Was ist in den Weltmeeren los?
Die Meere sind wärmer als sonst, und das seit mehr als einem Jahr. Besonders im Nordatlantik sind die Temperaturen hoch. Klimaforscher suchen noch nach Erklärungen. Die Folgen lassen sich erahnen.
Im März vergangenen Jahres stieg die Kurve der Temperaturen an, jeder Tag war ein neuer Wärmerekord im Nordatlantik. Seine mittlere Oberflächentemperatur war auf dem höchsten Stand seit Messbeginn vor rund 40 Jahren – meist sogar mit großem Abstand zum bisherigen Tagesrekord. Das geht aus Daten der Plattform "Climate Reanalyzer" der University of Maine hervor, die sich unter anderem auf Satellitenmessungen stützt. Eine Woche später, am 14. März, begannen auch die Tagesrekordtemperaturen in den Weltmeeren zu steigen.
"Wenn man sich anguckt, wie die Temperaturentwicklung in den Ozeanen der anderen 40 Jahre war, kann man sehen, dass die derzeitige Erwärmung wirklich weit außerhalb der natürlichen Schwankungen liegt", sagte Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung der Nachrichtenagentur DPA. "Sie ist auch außerhalb dessen, was wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten an Erwärmung beobachtet haben." Zusätzlich zu der stetigen menschengemachten Erwärmung müsse es daher noch andere dynamische Effekte geben, erklärte Levermann. "Wie viele davon tatsächlich selbst von der globalen Erwärmung verursacht oder verstärkt werden, ist derzeit noch nicht sicher." So pumpe etwa das Klimaphänomen El Niño derzeit Wärme aus den Meerestiefen im Pazifik nach oben.
"Die Hauptursache dafür, dass die Ozeane so warm sind, ist natürlich der Mensch"
Auch Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel geht davon aus, dass El Niño die Erwärmung verstärkt hat – vorher habe das gegensätzliche Phänomen La Niña die Erwärmung eher gedämpft. Beide betonen aber den Effekt des menschengemachten Klimawandels: "Die Hauptursache dafür, dass die Ozeane so warm sind, ist natürlich der Mensch. Das darf man nicht vergessen", sagte Latif.
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Latif ist wenig überrascht von den Rekorden. "Ozeane sind ein verdammt guter Indikator für die Klimaerwärmung", sagte er der dpa. Die Ozeane nähmen über 90 Prozent der Wärme auf, die durch den Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre verbleibe. "Es ist völlig klar, dass sich die Meere erwärmen, wenn sich die Erde weiter erwärmt."
Abnehmende Schiffsemissionen könnten eine Rolle spielen
"Das, was momentan für eine gewisse Verwunderung sorgt, ist dieser besonders warme Atlantik", erklärte Helge Gößling, Klimaphysiker am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. "Übrigens ist ja auch der Südatlantik jetzt dazugekommen. Auch der ist seit ungefähr Dezember ungewöhnlich warm." Das müsse noch genauer untersucht werden.
Interessant werde der künftige Verlauf der Temperaturkurve, sagte Gößling der DPA. "Die Vorhersagen gehen eigentlich alle davon aus, dass im Laufe des Frühlings El Niño verschwindet und sich wahrscheinlich dann später sogar zu seinem Gegenstück La Niña umkehrt." Ab Juli oder August sei La Niña der wahrscheinlichste Zustand. Die Weltwetterorganisation (WMO) hat bereits eine Abschwächung von El Niño registriert. Die Auswirkungen auf das globale Klima seien aber weiter zu spüren.
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Für die Erwärmung des Nordatlantiks gibt es laut Gößling verschiedene Erklärungsansätze. Die Schiffsemissionen unterliegen seit 2020 strengeren Vorschriften. "Das heißt, die Schwefelverbindungen, die dabei emittiert werden, sind jetzt reduziert worden." Die Verbindungen haben einen kühlenden Effekt auf das Klima. Allerdings sei es unwahrscheinlich, dass man damit die ganze Anomalie im Atlantik erklären kann. Auch schwache Passatwinde im Frühjahr 2023, die für seine Erwärmung verantwortlich gemacht wurden, scheiden laut Gößling als Erklärung aus: Diese Entwicklung hätte im Laufe des Winters abklingen müssen, was nicht geschehen sei.
Mal bricht ein Unterwasservulkan aus, mal strahlt die Sonne stärker
"Also diese Anomalie, die wir jetzt global sehen, und die wir vor allen Dingen auch im Nordatlantik sehen, da habe ich noch keine Idee, wie wir die wirklich erklären können", betonte Levermann. "Das ist in der Tat außergewöhnlich."
Laut Gößling gibt es neben den hohen Werten der Meere noch weitere Faktoren, die sich aktuell auf die globale Lufttemperatur auswirken: Anfang 2022 sei ein Unterwasservulkan ausgebrochen, der große Mengen Wasserdampf in die Stratosphäre befördert habe. Grob geschätzt trage dies zu einem zwanzigstel Grad Erwärmung bei. Zudem schwanke die Strahlung der Sonne in einem Zyklus von elf Jahren. Da sie gerade auf dem Weg zu einer starken Phase sei, könne grob ein weiteres zwanzigstel Grad hinzukommen. "Ich rede über kleine Effekte, aber die können sich läppern."
Fest steht jedoch auch für ihn, dass "der durch menschengemachte Treibhausgase bedingte Klimawandel langfristig die Hauptursache ist". Die Konzentrationen der Haupttreibhausgase Kohlendioxid, Methan und Lachgas in der Atmosphäre erreichten 2022 laut Weltwetterorganisation Rekordwerte seit Aufzeichnungsbeginn. Meeresdaten zeigen laut Gößling klar eine relativ kontinuierliche Zunahme der Wärmemenge, die von den Ozeanen aufgenommen worden ist.
Erwärmung der Ozeane bringt Nahrungsketten und -netzwerke durcheinander
"Wir haben 1,2 Grad Erwärmung im globalen Mittel beobachtet und die Kontinente haben sich im Schnitt bereits um mehr als zwei Grad erwärmt", sagte Levermann. Mit der Erwärmung der Meere dehnt sich das Wasser darin aus. Zusammen mit der Eisschmelze lasse das den Meeresspiegel immer rascher steigen, so Levermann: "Am Anfang des letzten Jahrhunderts hatten wir rund einen Zentimeter pro Jahrzehnt Meeresspiegelanstieg, am Anfang dieses Jahrhunderts rund drei und jetzt mittlerweile schon etwa fünf."
Auch für die Ökosysteme im Meer habe die Erwärmung fatale Folgen, betonte der Experte. Die Erwärmung der Ozeane bringe unzählige Nahrungsketten und -netzwerke durcheinander. "Das hat Folgen nicht nur für die Meereslebewesen, sondern auch auf die Fischerei und damit auch die Ernährung der Menschen." Außerdem ist mit mehr zerstörerischeren Extremwetterereignissen zu rechnen: Ozeanforscher Latif wies darauf hin, dass Starkregen häufiger werden könnte, weil mehr Wasser verdunstet und wärmere Luft mehr Wasserdampf halten kann, der irgendwann als Niederschlag herunterkommt.