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Июнь
2024

Skandalpriester Edmund Dillinger: Missbrauchsfall abgeschlossen

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Jahrzehntelanger Missbrauch durch einen Priester betrifft auch den Cartellverband, Europas größten Akademikerverband. Kehrt nach den Enthüllungen um das einstige Aushängeschild jetzt Ruhe ein? Der Tod von Edmund Dillinger im November 2022 löste in seiner Heimat, dem Bistum Trier , ein Beben aus: Jahrzehntelang hatte der Priester fast ohne Konsequenzen Minderjährige missbrauchen können. Vertreter der Kirche hatten weggeschaut, es wurde vertuscht und Dillinger 1977 sogar mit Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Was mit seinem Nachlass ans Licht kam, schlug auch Wellen bis hin zum Jahrestreffen von Europas größter Akademikerorganisation, dem Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen (CV): Jahrelang stand die verbandsnahe Hilfsorganisation CV-Afrika-Hilfe unter Dillingers Leitung, für das Engagement hatte ihn der CV für das Verdienstkreuz vorgeschlagen. Doch wie sehr belastet der Fall Dillinger den CV weiterhin? Bei einem internen Treffen Ende Mai ging es jetzt um die Frage: Was sagen die Verbindungsbrüder zu einem umstrittenen Papier aus den eigenen Reihen? Können sich erzkatholische Kreise mit ihrer Position durchsetzen, die nach dem Skandal massenhaften, vertuschten Missbrauch verharmlost? Für die Afrika-Hilfe oft auf den Kontinent gereist Steffen Dillinger, Neffe des Priesters, sagt, es sei "irre" gewesen, als er im Frühjahr 2023 das Haus seines wenige Wochen zuvor verstorbenen Onkels durchstöberte. In einer Kiste fand er zahlreiche Kleinbildfilme, die leicht bekleidete Jugendliche und junge Männer zeigten, teilweise in pornografischen Posen. "Ich habe mir zwei Filme angesehen und dachte, das darf doch nicht wahr sein." Es seien Nacktbilder gewesen, Posing-Aufnahmen. Steffen Dillinger erkannte abgebildete Personen. Mehr als 4.000 Aufnahmen befanden sich im Haus des verstorbenen Priesters, davon zig Aufnahmen aus Afrika. In den 70er- und 80er-Jahren hatte er als Vorsitzender der CV-Afrika-Hilfe zahlreiche Reisen auf den Kontinent unternommen. Dillinger war auch Ehrenvorsitzender des Hilfswerks CV-Afrika-Hilfe, bis diese Ehrung nach Aufdeckung des jahrzehntelangen Missbrauchs aufgehoben wurde. Der Priester hatte die Hilfsorganisation 1971 gegründet. Er war auch von 1970 bis 1982 Bundesseelsorger des Cartellverbands. Über seine Tätigkeit im Akademikerverband CV und die CV-Afrika-Hilfe sei Dillinger im Vatikan bekannt gewesen – mit dem ehemaligen Papst und damaligen Kardinal Ratzinger soll er befreundet gewesen sein. Die Tür nach Rom habe ihm der CV geöffnet, so der Neffe des Skandal-Priesters. Der CV gilt als CDU-nahes Netzwerk, in dem man sich unterstützt, und die konservativ-christliche Grundhaltung der Mitglieder schätzt. Zu den etwa 25.000 Mitgliedern zählen unter anderem auch Friedrich Merz , Armin Laschet oder Paul Ziemiak. Vom ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss ist als Kommentar zu Personalentscheidungen das Zitat überliefert: "Zufall schreibt man offenbar mit CV." Wurde in diesen Kreisen im Falle Edmund Dillingers weggeschaut? Nachrichten und Aussagen, die t-online vorliegen, legen nahe, dass Hinweise auf das Fehlverhalten des Geistlichen im Cartellverband bekannt waren. "Auftreten in eklatantem Widerspruch zum Handeln" Steffen Dillinger beschreibt seinen Onkel als eloquenten, gebildeten und lustigen Mann: "Er war ein Menschenfänger. Der konnte einen, wenn er wollte, mit Charme und Witz in seinen Bann ziehen. Er war aber auch ein Sprachrohr von radikalem, konservativem, katholischem Gedankengut." Der Vorsitzende im CV-Rat, dem höchsten Gremium des Akademikerverbands, Claus-Michael Lommer, fasste die Personalie Ende Mai so zusammen: "Erscheinungsbild nach außen und seine zur Schau getragene hohe moralische Integrität" hätten "in einem eklatanten Widerspruch zum Handeln" gestanden. Es war sein Fazit, nachdem die Unabhängige Untersuchungskommission des Bistums Trier einen vorläufigen Abschlussbericht zu dem Priester aus dem Saarland vorgelegt hatte. Auf über 90 Seiten skizzieren die vom Bistum eingesetzten Sonderermittler das Leben, Handeln des Geistlichen und die von ihm begangenen Missbrauchsfälle. Die ersten Übergriffe Dillingers gehen auf das Jahr 1961 zurück, im Bistum erstmals aktenkundig wurde der damalige Kaplan 1964. Vorwürfe, er habe Kinder unangemessen berührt, blieben folgenlos. Mehr als 50 Jahre lang konnte Dillinger als Geistlicher in Schulen und Pfarreien weiterarbeiten. Während einer Wallfahrt nach Rom 1970 verübte Dillinger schweren sexuellen Missbrauch an einem 15-jährigen Jungen und fertigte Bilder an. Neffe ließ sich zunächst noch täuschen Mehr als 40 Jahre später, im Jahr 2012, fallen Fotos in seiner Akte bei der Kirche auf. Sie zeigen einen Jugendlichen in Badehose, der augenscheinlich betrunken auf einem Bett liegt. Dillinger wurde konfrontiert, ihm wurde das Recht entzogen, Messen zu lesen, und ihm wurde ein Kontaktverbot mit Kindern und Jugendlichen erteilt . Sein Neffe, der an dem Gespräch teilnahm, ließ sich damals noch täuschen: "Mir gegenüber stellte er den Vorfall als Hetzkampagne dar. Man hätte ihn im Generalvikariat auf dem Kieker, weil er anders denkt." Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Trier wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern wird nach kurzer Zeit eingestellt – die Straftaten waren verjährt. Die Untersuchungskommission des Bistums kommt zu dem Schluss, dass Dillinger in der Zeit von 1961 bis 2018 mindestens 19 Menschen sexuell missbraucht hat, zahlreiche weitere seien von seinen Berührungen und Annäherungsversuchen betroffen. Darunter fällt auch die Zeit, in der Dillinger als Bundesseelsorger und Vorsitzender der CV-Afrika-Hilfe zahlreiche Reisen in Deutschland, Europa und auf dem afrikanischen Kontinent unternahm. t-online liegen Nachrichten und Aussagen mehrerer Personen vor, die nahelegen, dass der CV-Rat bereits in der Vergangenheit Informationen über Vorwürfe gegen Dillinger hatte. So heißt es in einer Nachricht einer CV-internen Facebook-Gruppe, der Cartellverband "habe das schon seit den 90ern gewusst". Auch im Abschlussbericht der Untersuchungskommission ist festgehalten, es habe "bereits in der Vergangenheit innerhalb des CV Gerüchte zu Dillingers Umgang mit jungen Männern" gegeben. Es sei gemunkelt worden, dass er auf "kleine Jungs" stehe. Der aktuelle CV-Ratsvorsitzende Claus-Michel Lommer erklärt auf Anfrage von t-online, der amtierende CV-Rat habe erst durch die aktuelle Berichterstattung nach dem Tod Dillingers von den Missbrauchsvorwürfen gegen den ehemaligen CV-Seelsorger erfahren. An der Aufklärung habe man mitwirken wollen, aber nichts beitragen können. Die CV-Afrika-Hilfe, in der Dillinger seit spätestens seit 2006 keine Rolle mehr spielte, unterstützte die Aufarbeitung. Nachforschungen gestalteten sich jedoch schwierig, da die Staatsanwaltschaft Saarbrücken voreilig Beweismittel, darunter Dillingers Terminkalender von 1967 bis 2021, zur Vernichtung freigegeben hatte. Auch Nachfragen bei Zeitzeugen hätten "keine Erkenntnisse über Kenntnisse von Missbrauchsvorwürfen" ergeben. In den 90ern Warnungen vor dem Priester Ein Cartellbruder, der anonym bleiben will, hat allerdings große Zweifel, ob die Vorwürfe damals wirklich unbemerkt geblieben sind. Im Gespräch mit t-online sagt er, schon 1995 habe ihn der damalige, heute bereits verstorbene CV-Ratsvorsitzende vor Dillinger gewarnt. Der damalige Vorsitzende habe geäußert, "man solle sich mit Jugendlichen von ihm [Anm. d. Red.: Dillinger] fernhalten." Die Thematik sei also im CV zumindest "auf Verbandsführungsebene" schon damals bekannt gewesen. Im Verband denkt mancher mit Unbehagen zurück an diese Zeit. "Jeder Cartellbruder, der für die CV-Afrikahilfe gespendet hat, [muss] das Gefühl haben (...), mit der Spende sexuellen Missbrauch gefördert zu haben", heißt es in einem Schreiben der Göttinger Studentenverbindung KDStV Sugambria. Konkrete Beweise gibt es nicht, dass Missbrauchstaten aus Mitteln der CV-Afrika-Hilfe finanziert wurden. Ein weiterer Vorstoß der Sugambria im Vorfeld der Cartellversammlung am vorvergangenen Wochenende zielte darauf, dass Cartellbrüder, die "wegen Missbrauchs oder Vertuschung von Missbrauchsfällen" angeklagt sind, ihre Mitgliedsrechte nicht ausüben dürfen. Die KDStV Sugambria forderte dennoch: "Der CV muss sich fragen, inwieweit er eine Mitverantwortung hat". Intern und öffentlich müssten Konsequenzen aus der MIssbrauchsproblematik deutlich werden. Der Cartellverband selbst verweist darauf, dass er die Taten Dillingers sofort nach Bekanntwerden verurteilt habe. Man habe sich auch den Empfehlungen der Bischofskonferenz zum Umgang mit sexuellem Missbrauch angeschlossen. Von diesem Ansinnen findet sich nichts in den internen Protokollen zur Versammlung. Dafür diskutierten die Cartellbrüder ausführlich ein Papier, das im Vorfeld Fragen zum Aufklärungswillen aufgeworfen hatte. Mitten in den Nachforschungen zum Fall Dillinger hatte der CV-Vorort Berlin , Ausrichter der jüngsten Cartellversammlung, im August letzten Jahres das umstrittene "Memorandum Romanum"veröffentlicht. Kurz vor der Versammlung war das Papier durch die "Autonome Antifa Freiburg" an die Öffentlichkeit gelangt, eine Gruppe mit guten Kontakten in die Szene der Studentenverbindungen. In der erzkatholischen "Denkschrift", die sich mit Kirche und Glaube im Cartellverband auseinandersetzt, ist die Rede von einer "Glaubenskatastrophe im christlichen Abendland". Papier: Zölibatär lebende Kleriker nicht das Problem Ausführliche Kritik findet sich in dem Memorandum am Umgang mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs innerhalb der katholischen Kirche. Es sei so, dass sich "eben nicht zölibatär lebende Kleriker" an Kindern oder Schutzbefohlenen vergehen würden, "sondern zum größten Teil verheiratete Menschen, ganz überwiegend Männer, im häuslichen, familiären Bereich" so die "Denkschrift". Der Fall Dillinger wird mit keinem Wort erwähnt, dafür ist vom "Missbrauch mit dem Missbrauch" die Rede. Innerhalb der Studentenverbindungen wird das Schreiben scharf kritisiert. Mehrere Alte Herren der KDStV Borusso-Saxonia Berlin sahen darin eine "Relativierung des massenhaften und vertuschten Missbrauchs innerhalb der katholischen Kirche", wie aus einer verbindungsinternen Rundmail hervorgeht. Es sei das "Erschreckendste an dem Machwerk". Nach Ende der internen Debatte wurde von der Cartellversammlung entschieden: Das fragliche Papier stelle "weder als Ganzes noch in seinen einzelnen Abschnitten die offizielle Meinung des Cartellverbandes noch der Mehrheit seiner Verbindungen dar". In der Unabhängigen Untersuchungskommission des Bistums Trier dürfte man über diese Entscheidung erfreut sein. Dort hofft man, dass sich noch weitere Betroffene von Dillingers Taten melden und die noch ausstehenden Recherchen in Afrika neue Erkenntnisse bringen. Das umstrittene "Memorandum Romanum" und die damit verbundene Aufmerksamkeit könnten dann dazu beigetragen haben.



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