Der erste EM-Spieltag hatte es bereits in sich. Die Favoriten haben sich keine Blöße gegeben. Doch der ein oder andere Spieler muss sich deutlich steigern, wenn es ins Finale gehen soll. Aus Düsseldorf berichtet William Laing Kaum hat die Europameisterschaft in Deutschland begonnen, ist der erste Spieltag der Vorrunde bereits wieder Geschichte. Die ersten zwölf Partien lieferten Treffer satt. Ein torloses Remis gab es nirgendwo. In allen Stadien bekamen die Zuschauer Treffer zu sehen. Insgesamt 34-mal schlug der Ball zwischen Freitag und Dienstag im Gehäuse ein, im Schnitt also fast dreimal pro Partie. Im Einsatz waren in dieser Zeit natürlich auch die Teams, die sich berechtigte Hoffnungen darauf machen, am 14. Juli im Berliner Olympiastadion im Endspiel zu stehen. Und tatsächlich: Sie alle erfüllten ihre Pflichtaufgaben zum Turnierstart, holten jeweils drei Punkte und machten damit schon mal den ersten Schritt in Richtung Achtelfinale . Allein die Art und Weise, wie sich die Turnierfavoriten die ersten Zähler im Wettbewerb angelten, war durchaus sehr unterschiedlich. Denn: Während zwei von ihnen ihren Gegner phasenweise an die Wand spielten, hatten zwei andere wiederum deutlich mehr Probleme mit ihren Kontrahenten – und hätten sich nicht beschweren können, wenn es zum Auftakt nur zu einem Punkt gereicht hätte. Schotten chancenlos: Deutschland mit furiosem EM-Start Den Auftakt ins Turnier machte am vergangenen Freitag die deutsche Nationalelf. Das Team von Bundestrainer Julian Nagelsmann legte gegen Schottland direkt einen Galaauftritt hin und ist urplötzlich die Mannschaft der Stunde. Mit 5:1 wurden die "Bravehearts" in München regelrecht auseinander geschossen. Dass Schottland überhaupt traf, lag einzig und allein an einem unglücklichen Eigentor von Abwehrmann Antoni Rüdiger. Abgesehen davon ließ die Defensivreihe der deutschen Elf nichts zu. Rassismus im Fußball: "Wir in Deutschland sind die Meister der Symbolik geworden" Auf der Gegenseite brannte das DFB-Team wiederum ein Offensivfeuerwerk ab. Besonders spielfreudig präsentierten sich die beiden Top-Talente Florian Wirtz von Bayer Leverkusen und Jamal Musiala vom FC Bayern , die auch die ersten beiden Treffer der deutschen Mannschaft beisteuerten. Stürmer Kai Havertz vom Elfmeterpunkt sowie die beiden Einwechselspieler Niclas Füllkrug und Emre Can erzielten ebenfalls jeweils ein Tor und verdeutlichten, mit was für einer Qualität der Kader auch in der Breite ausgestattet ist. Die internationale Presse kam in der Folge gar nicht mehr aus dem Staunen heraus. Auf den Punkt brachte es vor allem die spanische Sportzeitung "As", die schrieb: "Wer dachte, die Gastgeber seien nicht bereit für ihre Europameisterschaft, der irrt sich." Nach sportlich zuletzt schwierigen Jahren ist Deutschland nach Spieltag eins der EM plötzlich einer der heißesten Anwärter auf den Titel. Spanien überrollt Kroatien, Italiens Trainer schäumt trotz Sieg Zu den Titelkandidaten nach einem überzeugenden ersten Auftritt zählt aber mittlerweile auch Spanien. In einer Gruppe mit unter anderem Kroatien und Italien war vor Turnierbeginn nicht endgültig auszumachen, wer in dieser Konstellation am Ende die Oberhand behalten und ins Achtelfinale einziehen würde. Am Samstag machten die Spanier dann aber unmissverständlich klar, dass der Weg in die nächste Runde nur über sie gehen wird. Der Grund: Mit Kroatien, immerhin WM-Finalist 2018 und WM-Halbfinalist 2022, machte "La Furia Roja" in wenigen Minuten kurzen Prozess. Rund eine halbe Stunde wurde in Berlin gespielt, da brachten Kapitän Álvaro Morata und Fabián ihr Team mit einem Doppelschlag in Führung. Champions-League-Sieger Daniel Carvajal von Real Madrid erhöhte noch vor der Pause auf 3:0. Die Verhältnisse waren damit überraschend früh geklärt. Torwart Unai Simón hielt dann im zweiten Abschnitt sogar noch einen Elfmeter. Trainer Luis de la Fuente forderte im Nachgang, Spanien müsse "die Füße auf dem Boden behalten". Denn die nächste Partie ist wohl eines der am meisten erwarteten Spiele der Gruppenphase. Spanien trifft auf Italien, den Titelverteidiger des Wettbewerbs. Die "Squadra Azzurra" hat ihr erstes Spiel ebenfalls für sich entschieden. Wie überzeugend der Auftritt der Italiener war, darüber lässt sich streiten. Beim 2:1-Erfolg gegen Albanien kassierten sie nach 22 Sekunden nämlich das schnellste Tor der EM-Geschichte. Zur Wahrheit gehört aber auch: Den Schock verdaute die Mannschaft klasse. Nach 16 Minuten hatte sie das Ergebnis bereits gedreht. Trainer Luciano Spalletti äußerte jedoch harsche Kritik an seiner Elf: "Manchmal gefallen wir uns zu sehr. Wir haben gedacht, dass wir besser sind, als wir in einigen Situationen wirklich waren." Italien hat offenbar in den kommenden Spielen noch deutlich Luft nach oben – zumindest, wenn es nach dem eigenen Trainer geht und der Traum von der Titelverteidigung wahr werden soll. England-Star: "Wir können uns noch deutlich steigern" Ebenfalls ausbaufähig waren am ersten Spieltag die Leistungen von zwei Teams, die wohl die beiden stärksten Kader im ganzen Turnier stellen: England und Frankreich. Beide Top-Favoriten lösten ihre Aufgaben zum Turnierstart zwar. Doch bei beiden Mannschaften muss nach ihrem jeweiligen Auftaktmatch das Fazit gezogen werden: Überzeugend sieht anders aus. England hatte es am Sonntag in Gelsenkirchen mit Serbien zu tun bekommen – und musste sich gegen die Osteuropäer auf die individuelle Klasse von Real-Star Jude Bellingham verlassen. Der ehemalige Dortmunder traf zum goldenen 1:0. "Der Sieg ist sehr wichtig. Wir haben uns offensichtlich gut geschlagen", gab Defensivspezialist Kieran Trippier nach Abpfiff in den Katakomben des Stadions zu Protokoll. "Wir können uns natürlich noch deutlich steigern." Er sei aber stolz darauf, wie gut das Team vor allem zum Schluss verteidigt habe. Womit auch die Problematik des englischen Auftritts gefunden wäre. Der Kader, in dem in der Offensive neben Jude Bellingham absolute Weltstars wie Bayerns Harry Kane, Manchester Citys Phil Foden oder Arsenals Bukayo Saka stehen, blieb im Angriffsdrittel meilenweit hinter den Erwartungen zurück. Denn: Das Potenzial, ein Offensivfeuerwerk wie Deutschland gegen Schottland abzufackeln, besitzt das englische Team ohne Wenn und Aber. Gegen Serbien rief es dieses aber nicht im Ansatz ab, erspielte sich kaum Chancen und hatte Glück, dass der Gegner bei seinen immer häufiger zunehmenden Vorstößen die letzte Konsequenz vermissen ließ. Frankreich fahrlässig und in Sorge Ähnlich lief die Partie der Franzosen ab. Auch die Mannschaft um Starspieler Kylian Mbappé mühte sich zu einem 1:0-Sieg, wobei sie aber zumindest in Teilen der Partie deutlich gefälliger als die Engländer gegen Serbien auftrat. Gegen Österreich musste am Ende trotzdem ein Eigentor herhalten, um die drei Punkte zu sichern. Das lag zum einen daran, dass Frankreich sich nicht wirklich viele Chancen erspielte, zum anderen daran, dass die wenigen Möglichkeiten, die sich boten, fahrlässig vergeben wurden. Die dickste Chance ließ ausgerechnet Mbappé liegen, der frei vor dem Tor daneben schoss. Hinten hatten die Franzosen wiederum Glück, dass Österreich wie Serbien die letzte Durchschlagskraft vermissen ließ und vor dem entscheidenden 0:1 selbst eine Top-Chance zur Führung nicht im Tor der "Équipe Tricolore" unterbrachte. Auch Frankreich muss sich also noch deutlich steigern, will das Team in den kommenden Wochen Richtung Finale stürmen. Ansonsten droht ein früheres EM-Aus, als im Vorfeld für möglich gehalten wurde. Gegen die Niederlande wird es im nächsten Spiel definitiv einen besseren Auftritt brauchen. Möglicherweise muss dieses Unterfangen ohne den Top-Star angegangen werden. Kylian Mbappé hat sich die Nase gebrochen, droht auszufallen. "Was nun seine Teilnahme am restlichen Turnier angeht, ist es etwas verfrüht, einen Zeitplan anzugeben", sagte Frankreichs Verbandspräsident Philippe Diallo am Dienstag. Niederlande erfrischt Apropos Niederlande: Auch die "Elftal" hat ihren EM-Auftakt gewonnen, Polen mit 2:1 niedergerungen. Dabei steckte das Team einen unerwarteten Rückstand weg, bog die Partie kurz vor Schluss doch Bundesligastürmer Wout Weghorst in einen Sieg um. Auch so wusste "Oranje" zu überzeugen, spielte vor allem im ersten Abschnitt einen erfrischenden Offensivfußball, der Polen förmlich überrumpelte. In der Verfassung scheint auch Frankreich für die Niederlande durchaus schlagbar. Portugal startete wiederum als letztes der Top-Teams ins Turnier und musste gegen Tschechien ebenfalls plötzlich einem Rückstand hinterherlaufen. Doch der Europameister von 2016 steckte nicht auf, glich aus und erzwang in der Nachspielzeit noch das 2:1. Den Auftritt der Mannschaft um Cristiano Ronaldo trotz Überlegenheit als souverän zu bezeichnen, wäre aber falsch. Dafür war auch bei den Portugiesen zu viel Glück im Spiel.