Landtagswahlen: Ohne Populisten geht (fast) nichts mehr
In Thüringen siegt die AfD erstmals bei einer Landtagswahl. Die stern-Blitzanalyse zu den Ergebnissen der Wahlen in Thüringen und Sachsen.
Ohne Populisten geht (fast) nichts mehr
In Thüringen ist mit der AfD erstmals in der deutschen Nachkriegsgeschichte eine rechtsextreme Partei die stärkste Kraft geworden. In Sachsen landet die AfD knapp auf Platz zwei. Und in beiden Ländern holt das Bündnis Sahra-Wagenknecht (BSW) satt zweistellige Ergebnisse. Zusammen können die Populisten damit fast die Hälfte der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen.
So weit ist es gekommen.
Mario Voigt bleibt wohl keine andere Wahl: Will der Thüringer CDU-Spitzenkandidat Ministerpräsident werden, muss er mit den Linkspopulisten des BSW koalieren. Laut Hochrechnung reicht es für die CDU nur mit BSW und SPD für eine Mehrheit.
Ohne die Populisten geht in Thüringen nichts mehr. Es gibt keine Mehrheiten ohne BSW oder AfD. Und ob es in Sachsen auch so kommt, hängt am seidenen Faden.
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Dort hätte die bisherige Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen eine Mehrheit – vorausgesetzt, die Linkspartei fliegt aus dem Landtag. Laut Hochrechnung liegt sie knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde. Schafft sie es mithilfe von zwei Direktmandaten doch in den Landtag, hätte Kenia keine Mehrheit mehr. Ministerpräsident Michael Kretschmer bliebe nur noch eine Koalition mit BSW und SPD oder Grünen. Eine Regierung mit der AfD hat auch er ausgeschlossen.
Regieren wird die AfD also nicht. Das war es aber auch mit der guten Nachricht. Denn mit einem Drittel der Sitze können die Rechtsextremen die Wahl von Verfassungsrichtern verhindern, Änderungen der Landesverfassung blockieren. Die Sorge: Damit wäre die Regierung bei wichtigen Entscheidungen auf die Stimmen der AfD angewiesen. Die AfD könnte diese Macht nutzen, um Zugeständnisse zu erpressen.
Olaf Scholz bleibt Kanzler
Das große Unheil, die historische Zäsur ist ausgeblieben: Die Abwahl aus einem Parlament. Olaf Scholz dürfte damit, vorerst, eine unangenehme Frage erspart bleiben: Kann er noch Kanzler bleiben?
Klar, die SPD hat keine glänzenden Ergebnisse eingefahren. Sowohl in Sachsen als auch in Thüringen verharrt sie auf niedrigem, einstelligem Niveau – aber das ist keine Neuigkeit. Viel wichtiger, für Scholz und die Bundespartei: Die SPD bleibt in beiden Landtagen. Aufgrund der komplizierten Mehrheitsverhältnisse dürfte auf die Sozialdemokraten sogar eine Schlüsselrolle bei den Koalitionsverhandlungen zukommen, eine Regierungsbeteiligung ist wahrscheinlich.
Und das, so hart muss man es wohl sagen, trotz der unbeliebten Ampel und ihres ebenso unbeliebten Regierungschefs in Berlin. Scholz geht zwar nicht gestärkt aus diesen Wahlen hervor, aber eine Parteirevolte muss er nicht fürchten. Die Gerupften sind Grüne und FDP, die teils herbe Verluste eingefahren haben. Das dürfte die Arbeit in der Ampel für Scholz nicht leichter machen, aber an einem Bruch können die gebeutelten Koalitionspartner nun erst recht kein Interesse haben.
Friedrich Merz wird Kanzler(kandidat)
Die CDU kann halbwegs aufatmen – der riskante Asylkurs ihres Vorsitzenden Friedrich Merz ist nicht nach hinten losgegangen. In Sachsen dürfte Michael Kretschmer weiterregieren können und wenn es Mario Voigt in Thüringen klug anstellt, könnte bald ein weiterer CDU-Ministerpräsident hinzukommen.
Das Problem: Die Koalitionsbildungen werden schwierig. Voigt wird das Kunststück gelingen müssen, nicht nur die SPD vom Mitregieren zu überzeugen, sondern auch seine eigene Partei davon, das Bündnis von Sahra Wagenknecht mit an Bord zu nehmen. Ohne das BSW geht nichts, jedenfalls, wenn man die AfD außen vor lassen will.
Wie eine frühere Marxistin zu den Bürgerlichen passen soll, können sich viele in der CDU noch nicht recht vorstellen. Aber aus Merz‘ Sicht zählt vor allem, dass seine Partei es jetzt selbst in der Hand hat, ohne die AfD in die Staatskanzlei einzuziehen, und eine Debatte über eine Zusammenarbeit mit den extrem Rechten damit unwahrscheinlicher geworden ist. Seine Chancen auf die Kanzlerkandidatur dürften damit eher gestiegen sein als gefallen.
Robert Habeck wird eher Bundespräsident
In Thüringen fliegen die Grünen aus dem Landtag, in Sachsen retten sie sich wohl gerade so über die 5-Prozent-Hürde. Trotzdem ist es kein mittelguter Tag für die Grünen, sondern ein schlechter. Natürlich hatte es die Partei hier immer schwerer als, sagen wir, in Niedersachsen. Aber wo haben es die Grünen gerade leicht? Überall bläst ihnen eisiger Wind entgegen, nicht selten und nicht nur im Osten ist es oft blanker Hass.
Der Niedergang der einstigen Polit-Darlings setzt sich fort. Langsam wird es immer schwerer für Robert Habeck zu erklären, woher eigentlich die Stimmen kommen sollen, die ihm in einem Jahr den Weg ins Kanzleramt ebnen.
Heutige Prognose: Es ist wahrscheinlicher, dass der nächste Bundespräsident Habeck heißt als der nächste Kanzler. Reden kann der Vizekanzler jedenfalls besser als beide Amtsinhaber zusammen.
Es gibt einen kleinen Hoffnungsschimmer. Vielleicht ziehen die anderen Parteien aus den letzten Wahlkämpfen zumindest diese eine Lehre: Man sollte nicht zu heftig auf den demokratischen Mitbewerber eindreschen. Am Ende braucht man ihn als Mehrheitsbeschaffer gegen die Populisten.
FDP jetzt nur noch "Sonstige"
Die FDP spielt keine Rolle mehr in Thüringen und Sachsen, mal abgesehen von der Rolle der Lachnummer. Dass es zu einer Regierungsbildung nicht reichen würde, das war klar. Dass die Liberalen es schwer haben würden, überhaupt in eines der Parlamente einzuziehen, war zu erwarten. Aber dass die FDP in den ersten Umfragen nicht etwa knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde, sondern nur noch knapp über der Null-Marke landen würde – das muss selbst für die leidgeprüften Liberalen in der Berliner Parteizentrale ein Schock sein.
Die FDP hat nichts mehr, was sie für die Wähler in Sachsen und Thüringen interessant macht. Sie wird fürs Regieren in der Ampel nicht belohnt. Sie vermag aber auch als Oppositionspartei in den Ländern von unzufriedenen Wählern nicht zu profitieren. Die FDP gehört jetzt nur noch zu den sonstigen Parteien, so wie die Tierschutzpartei.
Zwei Niederlagen seien eingepreist, hieß es schon vor dem Wahltag in der FDP. Aber gilt das auch für zwei Desaster? Muss Parteichef Christian Lindner nun doch reagieren, ehe seine Partei einfach verpufft?
Sein Generalsekretär Bijan Djir-Sarai spricht am Sonntagabend von einem "vorübergehenden Rückschlag". Christian Lindner schweigt.