Sinkende Nachfrage, Konkurrenz aus Asien, grüne Transformation: Das Stahlgeschäft ist hart geworden. Bei Thyssenkrupp eskaliert der Streit darüber, wie es weitergeht. Die Aktie liegt am Boden. Muss die Stahlsparte weg? Thyssenkrupp – das war einmal eine Industrie-Ikone und ein Dax-Konzern von internationalem Format. Ein Unternehmen, dessen Name Synonym für den deutschen Industriestandort war. Das von U-Booten über Aufzüge bis zu Yachten alles fertigte. Und Stahl produzierte. Doch seit über einem Jahrzehnt ist der Konzern in der Krise. Und die spitzt sich zu. Nach einem Eklat im Aufsichtsrat der Stahlsparte Ende August wird am heutigen Donnerstag erneut getagt. Arbeitnehmervertreter haben Konzernchef López im Visier. Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Mit einem Kurs von weniger als drei Euro liegt die Aktie fast am Boden. Wie konnte es so weit kommen? Und: Wie geht es weiter? Es ist Krise seit mehr als 15 Jahren Man muss schon ein gutes Stück in die Geschichte zurückschauen, um den Anfang der Krise bei Thyssenkrupp zu finden. Es war die Finanzkrise 2008, der Umsatz brach ein. Zugleich entstanden neue Stahlwerke etwa in Brasilien , die viel teurer wurden als gedacht. Die Hoffnung, die Nachfrage nach Stahl werde schon reichen, damit die Kalkulation aufgeht, platzte. Der Aktienkurs, damals bei unglaublichen 45 Euro, brach um rund drei Viertel ein. Mit neuem Investor und neuen Investitionen erholte er sich, jedoch ohne nachhaltigen Erfolg. Eine Fusion mit Tata Steel scheiterte an den Wettbewerbsaufsehern. Während der Corona-Pandemie litt das Unternehmen unter steigenden Rohstoff- und Energiepreisen bei sinkenden Stahlpreisen. Und die sind auch nach Corona weiter unter Druck: Denn billiger Stahl aus Asien überschwemmt den Weltmarkt. Zugleich sinkt die Nachfrage global. So blieben im vergangenen Geschäftsjahr zwei Milliarden Euro Verlust in der Stahlsparte – und eine Krise ohne Aussicht auf ein baldiges Ende. Ein Milliardär als Retter? Seit Monaten sucht der Konzern nach einer Lösung, um das kriselnde Stahlgeschäft loszuwerden. Das Ziel von Konzernvorstand Miguel López, seit einem Jahr im Amt, ist es offensichtlich, die Stahlsparte zu verkaufen. Doch dies ist in Zeiten, in denen Konjunktur und Nachfrage schwach sind, vorsichtig formuliert, schwierig. Ginge es nach Thyssenkrupp, sollte der Milliardär Daniel Křetínský sich mehr als bislang engagieren. Er hält bereits 20 Prozent an Thyssenkrupp Steel. Doch es kommt offenbar erst dann Bewegung in die Gespräche, wenn die Stahlsparte besser dasteht als derzeit. Und das heißt, dass der Konzern tatsächlich radikal vorgehen müsste. Ein Großteil der Mitarbeiter – im Gespräch sind 10.000 von den aktuell 26.000 Beschäftigten – würde die Arbeit verlieren . Hinzu kämen Abfindungen, Ruhestandsregelungen, womöglich Schließungen. All das kostet Zeit für Verhandlungen und Geld. Eklat in der Führungsetage Ende August dann der Eklat: Der Aufsichtsratschef der Stahltochter, Sigmar Gabriel, warf das Handtuch . Und mit ihm drei weitere Aufseher von Thyssenkrupp Steel. Gescheitert am Streit, wie die Stahlsparte für die Zukunft ausgerichtet und ausgerüstet werden soll. Zurück bleiben ein defizitäres Geschäft, immer noch ohne Lösung, eine verunsicherte Mitarbeiterschaft und verlustgebeutelte Aktionäre. Dabei sind die Herausforderungen auch ohne internen Streit schon groß genug. Stichwort: grüne Transformation. Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein. Energieintensive Unternehmen wie Stahlwerke müssen deshalb ihre Produktion umstellen. Neue wasserstoffbasierte Herstellungsverfahren sollen es ermöglichen, Stahl einerseits sauberer und andererseits unter geringerem Energieaufwand zu produzieren. Milliarden in die grüne Zukunft? Doch grüner Wasserstoff als Hauptenergieträger ist teuer. Drei Milliarden wurden bereits bei Thyssenkrupp Steel in eine wasserstofffähige Anlage investiert. Der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen haben zwei Milliarden zugeschossen. Um die gesamte Produktion umzustellen, wären weitere Milliardeninvestitionen notwendig. Ein mehr als ambitioniertes Unterfangen, wenn man bedenkt, dass diese Transformation selbst mit straffer Führung und genauer Planung mehr als anspruchsvoll ist. Ein beispielloser Kurseinbruch Und die Aktionäre? Um über 90 Prozent sind die Aktien vom Hoch eingebrochen. Der Niedergang erscheint als beispiellos. Allein in diesem Jahr gingen mehr als 50 Prozent des Börsenwerts verloren. Ein hoher Preis für eine jahrelange Misere, deren Ende nicht absehbar ist. Nun wurde das Unternehmen auch noch aus dem Stoxx Europe 600 ausgeschlossen, einem Aktienindex für die 600 größten Unternehmen in Europa. Der Börsenwert ist einfach zu gering. Die Folgen sind enorm. Denn alle Fonds, die den Stoxx Europe 600 nachbilden oder als Referenz verwenden, verkaufen die Aktien zugunsten derer, die neu in den Index aufrücken. Die Aktien von Thyssenkrupp kosten nicht einmal mehr 3 Euro. So wenig wie noch nie. Ein Schnäppchenpreis? Eher nicht: An der Börse wird – und das ist ein alter, aber wahrer Spruch – die Zukunft gehandelt. Bei Thyssenkrupp bleibt die Frage, wie diese Zukunft überhaupt aussehen soll.