Torsten Rexin über die deutsch-russische Freundschaft
Herr Rexin, sind Sie als Stellvertreter des Vorsitzenden der Gesellschaft für deutsch-russische Freundschaft ein häufiger Gast in Russland?
Dreimal im Jahr würde ich schon als häufig bezeichnen. Normalerweise fahre ich nach Wolgograd zum 2. Februar und zum 9. Mai und wegen der organisatorischen Fragen nochmal im November. Die Gesellschaft für die deutsch-russische Freundschaft bereitet gemeinsame Aktivitäten im kommenden Jahr vor. Das sind die Gründe meines Aufenthalts. In Wolgograd ist es so, dass wir dort relativ gute Beziehungen zur Verwaltung haben. Am Tisch sitzt immer auch jemand von der Administration Wolgograds. Mit diesen Mitarbeitern der Administration können wir die Möglichkeiten gleich ausloten und prüfen, was geht und was nicht. Das ist eine sehr praktische Zusammenarbeit, die wir in Kaliningrad eben noch nicht hatten.
Welche gemeinsamen Projekte entwickelt der Verein in Russland?
Das erste Projekt sind die regelmäßigen Besuche aus Anlass des 9. Mai, dem Tag des Sieges. Die Menschen finden es derzeit tatsächlich sehr schwer, sich nach Russland zu bewegen. Und sie zweifeln an den Möglichkeiten, ob es überhaupt geht. Das zweite Projekt ergibt sich aus der Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung in Wolgograd. Sie erarbeitet mit uns gemeinsam ein Rahmenprogramm. Das sind Museumsbesuche, die Teilnahme an der Parade und verschiedene Gesprächsrunden. Wir sind daran interessiert, dass junge Menschen auch unter den gegenwärtigen Bedingungen die Möglichkeit finden, Russland kennenzulernen. Es gibt einen Staatsvertrag zum Jugendaustausch, den Deutschland komplett ausgesetzt hat.
Funktioniert das nur Richtung Russland oder kommen auch russische Jugendliche nach Deutschland?
Es geht derzeit nur einseitig. Deutsche können aufgrund der Freundlichkeit des russischen Staates nach Russland kommen. Mit dem elektronischen Visum wurde die Visa-Schwelle herabgesenkt. Umgedreht gibt es diese Freundlichkeit nicht. Also Touristenvisa werden von Deutschland so gut wie nicht erteilt.
Welche Projekte unterstützt Ihre Organisation noch?
In der Gorki-Bibliothek in Wolgograd unterstützen wir so einen Sprachclub. Einmal in der Woche, sonnabends oder sonntags. Ich habe die ersten drei Male dort teilgenommen, aber ich kann nicht immer da sein. Allerdings übernehmen die Deutschen in Wolgograd diese Aufgabe mit großer Freude. Das hat nämlich aus der Sicht der Deutschen, die dort leben, einen außerordentlich positiven Effekt. Sie kommen so mit der normalen, einfachen Gesellschaft in Kontakt. Denn dieser Sprachclub wird von Krankenschwestern, Studenten, ehemaligen Lehrern und Rentnern besucht. Das ist eine komplette Diagonale durch die Gesellschaft. Das kann man auch auf Moskau übertragen.
Hat es noch nicht geklappt?
Nein, noch nicht. Da müssen wir eben die Deutschen dort motivieren: Sprecht mit den Russen in den Interessengruppen über Themen, die uns gemeinsam bewegen. Auf Deutsch. Das wäre vielleicht eine Bitte an die „Moskauer Deutsche Zeitung“, dass wir dort quasi das annoncieren. Denn die Muttersprachler lesen Ihre Zeitung.
Sie setzen also auf eine Kleingruppen-Strategie, solange große Veranstaltungen unvorstellbar sind. Aber reicht das aus? Ist es nicht ein bisschen oberflächlich?
Ja, ja. Der Eindruck entsteht. Aber verfolgen Sie folgenden Gedanken. Ich selbst war Mitglied der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) in der DDR. Diejenigen, die einmal in der Sowjetunion waren, erzählen ihr ganzes Leben davon. Über die russischen Menschen spricht man derzeit in Deutschland gar nicht. Weder positiv noch negativ. Man spricht nur über den Staat und Herrn Putin. Und ich habe das selbst beobachtet, wie Menschen, die keinen Kontakt zur russischen Gesellschaft hatten, das erste Mal auf sie zugehen. Diese Emotionen nehmen sie mit nach Hause. Insofern ist das keine kleine Sache. Diese Leute sind hier Multiplikatoren. Sie erfüllen die Aufgabe des Journalismus, der Volksdiplomatie.
Ihre Organisation ist der Nachfolger des Vereins aus den Sowjet- und DDR-Zeiten. Damals waren solche internationalen Kontakte meistens „von oben“ organisiert. Wie groß ist eigentlich derzeit die Nachfrage „von unten“?
In der DDR-Zeit, da hatten Sie völlig recht, ist diese Organisation mit sechs Millionen Mitgliedern „von oben“ gekommen. Nach 1990 wurde sie aufgelöst, und es haben sich in den damaligen Bezirken und Bundesländern Nachfolgevereine gegründet. Neben anderen entstand auch unser Verein „Berliner Freunde der Völker Russlands“. Aber im Verlauf der letzten 30 Jahre haben viele von ihnen ihre Arbeit eingestellt, weil die von Ihnen erwähnte Nachfrage scheinbar nicht so groß war. Vielleicht haben sie auch taktische Fehler gemacht. Diese Vereine achteten wenig darauf, sich zu verjüngen. Derzeit gibt es in Thüringen die Freundschaftsgesellschaft, in Dresden das Kulturinstitut, geleitet von Dr. Schälike, sowie die Schweriner und die Sächsische Nachfolgeorganisation. Die beiden letztgenannten planen die Auflösung.
Dieser Alterungsprozess hat uns auch im Vorstand überlegen lassen, was wir tun können. Und mit unserer Umbenennung haben wir offensichtlich den Nerv getroffen.
Die Umbenennung im Oktober dieses Jahres, oder?
Ja. Wir haben unsere Satzung modernisiert und den Namen geändert. Und allein das hat schon gereicht, um den Leuten zu signalisieren: Das sind die, die die Freundschaft retten wollen. Noch zum Thema „von oben“. Die Vereine in Deutschland gründen sich alle selbst, sammeln krampfhaft irgendwelche Mittel zusammen. Da mache ich mir keine Illusion, dass unser Thema der deutsch-russischen Beziehungen unter einem gewissen Förderungsvorbehalt in Deutschland steht. Ich formuliere das sehr freundlich. Dieser Förderungsvorbehalt kann umgangen werden, wenn man staatliche Interessen verfolgt. Sie sind dokumentiert und formuliert in der Förderrichtlinie des Auswärtigen Amtes. Und wenn Sie die lesen, dann können Sie also als deutsch-russische Freundschaftsgesellschaft Ihre Arbeit einstellen, falls Sie Geld nehmen würden. Das tun wir ganz bewusst nicht. Weil wir da im Prinzip versuchen müssten, die russische Gesellschaft zu unterwandern. Dies ist nicht unser Ziel. Also leben wir von Eigenwerbemitteln.
Dass Ihre Organisation der Förderrichtlinie nicht entspricht, habe ich sofort verstanden, als ich Ihre Webseite besuchte. Da hängt eine russische Landkarte mit der Krim.
Es steht in unserer Satzung, dass wir den russischen Staat als Organisationsstruktur so akzeptieren, wie er ist. Wir haben nicht den Auftrag, politische Bewertungen abzugeben. Wir haben im Prinzip die Volksdiplomatie im Sinn. Die Beziehung zwischen den Völkern ist existenziell für Russland, Deutschland und ganz Europa. Also diskutieren wir gar nicht über diese Frage und verhalten uns sowohl in Deutschland als auch in Russland gesetzeskonform. Und wenn die Struktur so ist, wie sie juristisch vom russischen Staat festgeschrieben ist, gehört die Krim knallhart dazu.
Wer sind Mitglieder in Ihrer Organisation?
Ich fange mal in würdevoller Weise mit den Älteren an. Es sind natürlich Mitglieder, die auch ehemals in der DSF Funktionäre waren. Zum Beispiel ist der letzte Chefübersetzer der DSF Eugen Neuber bei der Gesellschaft für die deutsch-russische Freundschaft im Vorstand nach wie vor Mitglied. Dann haben wir die Leute mittleren Alters, wozu ich mich zähle, also ich sage mal die Gruppe zwischen 40 und 70. Sie sind da, die noch in der DDR geboren sind und sich eine enge Verbindung zwischen den beiden Ländern wünschen und sie anstreben. Außerdem sind Russlanddeutsche bei der Gesellschaft für Deutsch-Russische Freundschaft Mitglieder. Zu uns kommen auch junge Leute, aber da haben wir echt Nachholbedarf. Wir dürfen die letzte Gruppe nicht vergessen, die russischen Unternehmer in Deutschland.
Es gibt in Russland so eine Vorstellung, dass die Mehrheit der deutschen Freunde Russlands eher rechts ist, und zwar Anhänger der AfD. Was sagen Sie dazu?
Ja, ich sage etwas dazu. Die Einordnung mit der Sitzordnung im Parlament, rechts oder links, halte ich ohnehin für eine sehr problematische Bezeichnung für jede Partei. Denn es gibt Auswüchse bei den sogenannten linken Parteien, die man mit Unterdrückung bezeichnen kann. Es gibt Auswüchse bei den sogenannten rechten Parteien, die mit Völkerverständigung zu tun haben. Das ist nicht unbedingt ein Kennzeichnen einer faschistischen Organisation oder einer rechten Struktur. Wir können mit diesen Begriffen nicht arbeiten. Man versucht, uns in diese Ecke zu bringen. Die Tatsache ist wie folgt: Wir haben in der Gesellschaft für deutsch-russische Freundschaft alte Kommunisten, wenn man sie als solche bezeichnen kann, wir haben alte Sozialisten, wir haben Mitglieder der AfD, und wir haben auch liberale Zeitgenossen. Das heißt, das Thema der Völkerverständigung scheint irgendwie ein Bindemittel zu sein. Das bewegt die Leute, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen. So können sie über praktische Fragen des Zusammenlebens reden, unabhängig von irgendwelcher politischer Ausrichtung.
Das Gespräch führte Igor Beresin.
Запись Torsten Rexin über die deutsch-russische Freundschaft впервые появилась Moskauer Deutsche Zeitung.