FDP-Chef Lindner kritisiert SPD: "Mut zur Veränderung statt Politik auf Pump"
Die SPD verspricht in ihrem Wahlprogramm eine Aufweichung der Schuldenbremse. Im Gastbeitrag erklärt FDP-Chef Christian Lindner, aus welchen drei Gründen das eine fatale Idee ist. Sozialdemokraten und Grüne haben die Schuldenbremse zum Feindbild erklärt. Sie soll weitgehend entkernt werden, um die Ausdehnung des Staats in Deutschland zu finanzieren. Als Finanzminister habe ich mich dagegen gewehrt. Mit den jetzt bekannt gewordenen Wahlprogrammen und den Entwicklungen zum Beispiel in Frankreich sind meine Argumente noch besser geworden. Die SPD geht in ihrem Wahlprogramm mit einem Vorschlag für eine signifikante Schwächung der Schuldenbremse in den Wahlkampf. Dabei sollen insbesondere die Obergrenze für die strukturelle Neuverschuldung der Schuldenbremse angehoben, die Verschuldungsmöglichkeiten durch eine Veränderung der Berechnung der Konjunkturkomponente erhöht und Investitionsausgaben nicht mehr bei der Kreditobergrenze eingerechnet werden. Drei Gründe sprechen gegen die SPD-Idee Der SPD-Vorschlag würde erstens zu mehr Schulden und damit höheren Zinsausgaben und weniger Spielraum für künftige Generationen führen. Erst seit der Einführung der Schuldenbremse sinkt im Trend die Schuldenquote in Deutschland. Auch vor ihrer Geltung gab es in Deutschland aber eine Regel für die Neuverschuldung im Grundgesetz. Diese war der jetzt ins Gespräch gebrachten Ausnahme von Investitionsausgaben sehr ähnlich. Mit ihr stieg die Schuldenquote allerdings von 20 Prozent des BIP in den 1970er-Jahren bis zum Inkrafttreten der Schuldenbremse im Jahr 2011 auf über 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Erst danach ist die Schuldenquote signifikant gesunken. Ganz offenbar werden Ausgaben mit Konsumcharakter zu oft zu Investitionen umdeklariert. Eine höhere Verschuldung führt allerdings zu höheren Zinsausgaben. Selbst mit der veränderten periodengerechten Verbuchung der Zinsausgaben machen diese bereits 6 Prozent der Ausgaben des Haushaltsentwurfs für 2025 aus. Rund 30 Mrd. Euro, die stattdessen etwa für mehr Investitionen, mehr Bildung und eine Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eingesetzt werden könnten. Mit steigenden Schuldenquoten steigt der Anteil am Bundeshaushalt, der für Zinsausgaben und nicht für andere produktive Ausgaben verwendet werden kann. Sowohl eine höhere Verschuldung als auch höhere Zinsausgaben schränken die Handlungsmöglichkeiten der künftigen Generationen ein. Künftige Generationen werden vor ihren eigenen Krisen und eigenen Herausforderungen stehen, die heute noch nicht absehbar sind. Mit höherer Verschuldung und höheren Zinsausgaben könnten sie jedoch in ähnlichen Krisen, wie denen in den vergangenen Jahren, fiskalisch nicht mehr aus dem Vollen schöpfen und ihnen bliebe von den laufenden Steuereinnahmen ein kleinerer Teil, um ihre Prioritäten zu finanzieren. Gefahr einer neuen Staatsschuldenkrise Der SPD-Vorschlag würde zweitens vorsätzlich die europäischen Regeln nicht einhalten und damit eine Staatsschuldenkrise in Europa riskieren. Die großen EU-Mitgliedstaaten Italien , Frankreich und Spanien haben Schuldenquoten (teilweise weit) über 100 Prozent des BIP und stehen vor großen fiskalpolitischen Herausforderungen. In Frankreich zerbrachen die letzten Regierungen an dem Versuch, eine Lösung für die Haushaltskrise zu finden. Für das Funktionieren der Währungsunion und die Unabhängigkeit der EZB muss die öffentliche Verschuldung jedoch nachhaltig und begrenzt sein. In einer Währungsunion sind Fiskalregeln unumgänglich, die von den Mitgliedstaaten eingehalten werden und die Schuldenquoten nachhaltig senken. Ohne strikte Regeln besteht die Gefahr, dass die Finanzmärkte abrupt auf die zu hohe Verschuldung reagieren und es zu einer Staatsschuldenkrise wie 2010-2012 kommt. Um eine Krise noch zu verhindern, kann sich die EZB gezwungen so stark einzugreifen, dass die Gefahr besteht, dass die Inflation aus dem Ruder läuft und die Finanzstabilität gefährdet ist. Risiken für den Euro-Währungsraum Mit seinen aktuellen wirtschaftlichen und demografischen Daten, sowie der Defizite außerhalb der Schuldenbremse, etwa der Sondervermögen, muss Deutschland bereits heute weitere Maßnahmen ergreifen, um die europäischen Fiskalregeln einhalten zu können. Die jüngsten Prognosen zeigen trotz Einhaltung der Regelgrenze der Schuldenbremse ein Anstieg der Schuldenquote für Deutschland. Der SPD-Vorschlag würde jedes Jahr eine noch höhere Neuverschuldung zulassen und wäre damit mit den europäischen Regeln erst recht nicht vereinbar. Wenn der größte Mitgliedstaat die europäischen Regeln missachtet, dürfte wenig Hoffnung bestehen, dass die Regeln eine starke Bindungswirkung entfalten und die Schuldenquoten der anderen Mitgliedstaaten sinken. Das wäre hochriskant für den Währungsraum. Uferlose Staatsverschuldung würde das Fundament der Währungsunion unterspülen. Die Stabilität des Euro sollte indessen politische Priorität haben. Es braucht Mut zur Entscheidung Mit dem SPD-Vorschlag sollen vor allem drittens konsumtive Ausgaben, Sozialausgaben und vermeintliche Wahlgeschenke mit zusätzlicher Verschuldung finanziert werden. Die Schuldenbremse zwingt dazu eine Abwägung zu treffen, welche Ausgaben prioritär sind und damit aus dem aktuellen Haushalt finanziert werden können. Diese Abwägung muss getroffen werden – die fiskalischen Mittel eines Staates sind mit und ohne Schuldenbremse begrenzt. Wer suggeriert es gäbe keine Zielkonflikte – kein "entweder-oder" – und es könne alles – "sowohl-als-auch" – finanziert werden, versucht absichtlich die Wählerinnen und Wähler zu täuschen. Es ist die Führungsaufgabe der Politik, wichtige von weniger wichtigen Ausgaben zu trennen. Die Schuldenbremse verhindert auch keine Investitionen. Das kann etwa an den starken Anstiegen in den vergangenen Jahren beobachtet werden. In dem SPD-Vorschlag geht es aber offensichtlich auch gar nicht darum, zusätzliche Verschuldung lediglich etwa für Investitionen zuzulassen. Es sollen die Möglichkeiten zur Verschuldung ganz allgemein ausgeweitet werden. Das Ziel ist, konsumtive Ausgaben, wie etwa die aus dem Ruder laufenden Sozialleistungen oder teure Wahlgeschenke wie eine Mehrwertsteuersenkung für Lebensmittel, über zusätzliche Schulden zu finanzieren. Anders als im Wahlprogramm beschrieben wäre das das Gegenteil von Generationengerechtigkeit. Die jungen Generationen müssten über Schulden und Zinsen auch noch für den Konsum in unserer Gegenwart bezahlen. Es führt kein Weg am Realismus vorbei: Für die Modernisierung unseres Landes und für einen neuen Aufschwung werden wir uns nicht in die vermeintlich leichtere Politik auf Pump fliehen können. Niemand entlastet uns vom Mut zur Entscheidung. Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.