Die Lage ist ernst, die Reaktionen auf die Klimakrise nicht ansatzweise ausreichend. Eine Rückschau auf die Entwicklungen im Jahr 2024 lohnt sich trotzdem, findet unsere Kolumnistin – weiter gegen sie kämpfen auch. Früher habe ich es geliebt, am Jahresende entspannt und nostalgisch auf der Couch zu lümmeln und mit Günther Jauch in "Bilder, Menschen, Emotionen" das Jahr Revue passieren zu lassen. Zum Jahreswechsel werde ich oft ein bisschen melancholisch, blicke zurück, persönlich und gesellschaftlich, und mache, wie viele andere, Pläne fürs neue Jahr. Die Dringlichkeit der Klimakrise emotional zu begreifen, hat für mich 2020 fast alles in meinem Leben verändert. Nicht nur, wie ich in die Zukunft schaue, sondern auch, wie ich zurückblicke. Seit mir damals bewusst wurde, wie schnell und umfassend wir Wind- und Solarenergie und öffentliche Verkehrsmittel ausbauen, Häuser dämmen und die Landwirtschaft anpassen müssen, machen mich Jahresrückblicke nicht entspannt und nostalgisch. Sie beunruhigen mich. Weil nicht genug passiert, und gleichzeitig viel zu viel. Die Bilanz kenne ich mittlerweile schon vor dem Rückblick: Die Lage eskaliert und Gesellschaft, Politik und Wirtschaft reagieren nicht mit Notfallprogrammen, sondern meist mit Schönheitskorrekturen und einem ignoranten Weiter-So. Auch der kommende Wahlkampf verspricht bisher nicht, etwas daran zu ändern. Eine Rückschau auf einige Schlaglichter und Entwicklungen des vergangenen Jahres lohnt sich trotzdem. Denn weggucken nützt ja nichts: Wer Klimaschutz will, der muss ihn anpacken . Januar Das Jahr 2024 beginnt aufsehenerregend: mit Hochwasser und teils drastischen Bauernprotesten. Die Klimakrise kennt keine Feiertagspause. Dauerregen führt ab Weihnachten 2023 zu Überflutungen, erst in Thüringen und Sachsen-Anhalt, dann in Teilen Nordrhein-Westfalens und vielen Regionen Niedersachsens. Kurz darauf treibt es Landwirte auf die Straße, nachdem die Regierung angekündigt hatte, die Subventionen für Agrardiesel zu streichen. Wie Rechtsradikale die Klimakrise verharmlosen und Klimaschutzmaßnahmen als Bedrohung ausmachen und warum verschleppte Reformen ihnen dabei helfen, auch Bauern zu mobilisieren, habe ich in meiner zweiten Kolumne für t-online beschrieben. Februar Klimapolitisch startet das Jahr durchaus ambitioniert. Die EU konkretisiert Anfang Februar ihre Klimaschutzziele und schlägt vor, die Emissionen bis 2040 um 90 Prozent zu reduzieren. In der Kolumne schaue ich mir an, was das für den Verkehrssektor und damit den eigenen Verbrenner bedeutet . Kurz darauf meldet das Erdbeobachtungsprogramm Copernicus, dass die Erderhitzung erstmals 12 Monate hintereinander 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau überschritten hat. Ende Februar habe ich zum ersten Mal Frühlingsgefühle in diesem Jahr und frühstücke in der Sonne auf dem Balkon. Für die Kolumne recherchiere ich, ob sich Igel genauso über die Wärme freuen wie ich. März Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung veröffentlicht ihre neuen Empfehlungen. Das Ergebnis wurde lange erwartet und befeuerte Befürchtungen einer "zwangshaften Veganisierung" Deutschlands. Ganz so drastisch fällt die Empfehlung – natürlich – nicht aus. Im Endeffekt bedeutet sie die Rückkehr zum Sonntagsbraten . Mitte März gibt es Anlass zur Hoffnung: Die deutschen Emissionen sind 2023 um 10 Prozent gesunken – so stark wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) prognostiziert sogar: "Wenn wir Kurs halten, erreichen wir unsere Klimaziele 2030." Warum die Rechnung nicht ganz aufgeht und die Zahlen trotzdem Anlass zur Freude bieten, lesen Sie hier . Eine Meldung, die nur Tage später veröffentlicht wird, erregt merkwürdigerweise kaum öffentliches Interesse: Der Sachverständigenrat für Umweltfragen macht klar, dass Deutschland seinen Anteil des CO2-Budgets für 1,5 Grad bereits überschritten hat . April Kurz nach Ostern hält der Sommer Einzug. Am 6. April werden in Ohlsbach in Baden-Württemberg 30,1 Grad gemessen. Es ist der früheste Hitzetag seit Beginn der Wetteraufzeichnung . Die FDP scheint das wenig zu beunruhigen. Sie tut alles, um im Verkehrssektor nur keine Emissionen senken zu müssen: Verkehrsminister Volker Wissig fantasiert etwa Fahrverbote herbei , nur um diese dann den Grünen in die Schuhe zu schieben und später so zu tun, als hätte die FDP das Drohszenario heldenhaft abgeräumt. Mai In der EU werden eigentlich bahnbrechende Fortschritte beim Naturschutz geschreddert . Und der Waldzustandsbericht macht klar: Nur 20 Prozent der Bäume hatten im Jahr 2023 volle und gesunde Kronen . Es ist der niedrigste Wert seit Beginn der Untersuchungen 1984. Am Pfingstwochenende regnet es so viel, dass in Saarbrücken nicht nur die Stadtautobahn unter Wasser steht. Das Saarland, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sind von Überschwemmungen betroffen. Juni Kurze Zeit später besucht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Gummistiefeln das dritte Hochwasser des Jahres , dieses Mal in Bayern. Mit dieser Hochwasserkatastrophe habe niemand rechnen können, sagte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) – und wurde stark dafür kritisiert. Bei der Europawahl verlieren die Grünen unter jungen Wählern massiv, zweitstärkste Partei unter den 16- bis 24-Jährigen wird die AfD . Warum das meiner Meinung nach nicht bedeutet, dass jungen Menschen Klimaschutz nicht mehr wichtig ist, lesen Sie hier . Bei der traditionellen Pilgerfahrt Hadsch in Saudi-Arabien sterben mehr als 1.000 Menschen wegen der Hitze mit Temperaturen von mehr als 50 Grad. In Dortmund muss das Achtelfinale der Fußball-Europameisterschaft zwischen Deutschland und Dänemark wegen Starkregen unterbrochen werden . Juli Im Juli tritt in Deutschland ein neues Klimaanpassungsgesetz in Kraft; EU-weit müssen nun Verschlüsse fest mit PET-Flaschen und Getränkekartons verbunden sein. Das Erdbeobachtungsprogramm Copernicus meldet, dass der 21. Juli 2024 der heißeste Tag ist, der jemals auf der Erde gemessen wurde. Direkt am nächsten Tag wird ein neuer Höchstwert gemessen. Für Aufmerksamkeit sorgt das kaum. Jedenfalls deutlich weniger als neue Aktionen der "Letzten Generation", die im Juli mehrere Flughäfen blockiert . August Bei den Olympischen Spielen in Frankreich werden Athletinnen und Athleten mit Eiswesten und das Publikum mit Sprühnebel heruntergekühlt . Ich mache, wie viele andere, Sommerurlaub, allerdings nicht mehr so entspannt wie früher. Aus Sorge vor Extremwetterereignissen bleibe ich dafür mittlerweile lieber in Deutschland. Bei Hitzewellen sterben in Griechenland in diesem Sommer mehrere Touristen beim Wandern. September In Thüringen, Sachsen und Brandenburg spielt Klima im Wahlkampf kaum eine Rolle . Dabei waren laut einer Umfrage des Umweltbundesamts in den vergangenen 10 Jahren fast 80 Prozent der Kommunen bereits von Extremwettern betroffen. Die Ampelparteien verlieren bei den Landtagswahlen deutlich, AfD und BSW räumen ab. Über dem rekordwarmen Mittelmeer entwickelt sich Mitte September ein Tief, das das vierte Hochwasser in diesem Jahr nach Deutschland bringt. Besonders schwer davon betroffen sind jedoch Österreich , Polen und Tschechien . Mindestens 28 Menschen sterben. Oktober Hurrikan "Helene" tötet in den USA mehr als 230 Menschen, der Sturm wird als historisch bezeichnet. Wenige Tage später müssen sich die Amerikaner auf den nächsten Hurrikan einstellen. Millionen Menschen werden wegen "Milton" zur Evakuierung aufgerufen. Studien belegen, dass der menschengemachte Klimawandel die Intensität der Hurrikane verstärkt und ihre Zerstörungskraft erhöht hat. Bei historischen Unwettern in Spanien sterben mehr als 200 Menschen. Laut dem Wetterdienst Aemet sind dort stellenweise mehr als 500 Liter Regen pro Quadratmeter gefallen, vor allem die Region Valencia ist stark betroffen . November In Calí, Kolumbien, endet die Weltbiodiversitätskonferenz nach kleineren Durchbrüchen ohne Ergebnis. In den USA wird Donald Trump als US-Präsident wiedergewählt. Bereits in seiner ersten Amtszeit waren die USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ausgestiegen. Am Tag nach der Wahl meldet das Erdbeobachtungsprogramm der EU, Copernicus, dass 2024 so gut wie sicher das erste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn sein wird, in dem die Erde durchschnittlich 1,5 Grad wärmer ist als vor der Industrialisierung . Es ist damit das wärmste Jahr seit Beginn der Messungen. In Deutschland zerbricht die Ampelregierung und kreist in Zeiten großer internationaler Probleme vor allem um sich selbst. In Berlin führen Kürzungen im Haushalt dazu, dass die Stadt ihre eigenen Klimaziele faktisch nicht mehr erreichen kann. In Baku, Aserbaidschan, endet die Weltklimakonferenz enttäuschend. In Busan, Südkorea, scheitert der Plastikgipfel der Vereinten Nationen . Warum von Bürgern und Gemeinden aktuell mehr Potenzial für Veränderung ausgeht als von internationalen Politgipfeln, argumentiere ich hier . Dezember Das im Koalitionsvertrag vereinbarte Klimageld ist bis heute nicht umgesetzt . Es würde nicht nur Haushalte von steigenden Kosten entlasten, sondern vor allem zur Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen beitragen. Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte das immer wieder verhindert. Das Ausmaß der Zerstörung, die der tropische Wirbelsturm "Chido" auf der französischen Inselgruppe Mayotte im Indischen Ozean und in Mosambik angerichtet hat, ist noch gar nicht ganz erfasst. Doch bereits jetzt zeigen erste Studien, dass die menschengemachte Erderhitzung den Zyklon verstärkt hat. Aber tatsächlich ist nicht alles schlecht: Die Emissionen der EU sind 2023 um mehr als 8 Prozent gesunken, die Anzahl der Förderanträge für Wärmepumpen steigt aktuell (bevor es die Mittel unter der kommenden Regierung vielleicht nicht mehr geben wird) und der Ausbau der Windkraft kommt endlich in Gang. Da komme ich dann doch kurz ins Träumen. Was wäre wohl alles möglich, wenn eine neue Regierung Klimaschutz und Anpassung ernsthaft priorisieren würde? Und nicht weiter torpedieren ? Hach, die Zukunft, sie könnte – trotz Klimakrise – so schön sein.