Die Opfer wollten Champions League gucken, eine Pizza holen oder einfach nur plaudern: Dann kam ein rechtsextremer Täter und erschoss neun Menschen. Ein Überlebender macht sich Sorgen um Deutschland. Fünf Jahre nach einem der blutigsten Anschläge, die Deutschland je erlebt hat, hat einer der Überlebenden eine bittere Bilanz gezogen. Es werde fast immer nur über, aber kaum mit Migranten gesprochen, sagte Said Etris Hashemi bei einer Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer des Anschlags vom 19. Februar 2020 in Hanau . Deutschland diskutiere insbesondere während des Wahlkampfes zu wenig darüber, wie Integration gut gelingen kann. Stattdessen werde ständig debattiert, wie sich möglichst viele Menschen abschieben lassen. Statt ums Miteinander gehe es im Deutschland des Jahres 2025 ums Gegeneinander. Dabei sei es so wichtig, sagt Said Etris Hashemi, mehr Begegnungen zu ermöglichen, um Parallelgesellschaften aufzubrechen und gegenseitige Anerkennung zu ermöglichen. Der Täter von Hanau putschte sich mit Höcke auf "Die" gegen "uns" – genau das war die tödliche Ideologie des Attentäters von Hanau. Im Januar 2020 hatte er eine "Botschaft an das gesamte deutsche Volk" im Internet veröffentlicht, darin rief er zur Vernichtung ganzer Menschengruppen auf. Am 18. Februar putschte er sich noch mit einer Rede von Björn Höcke auf, einen Tag später zog er los, um zu töten. Neun Menschen erschoss der rechtsextreme Gewalttäter am 19. Februar 2020 in Hanau – einzig, weil er Menschen mit Migrationshintergrund hasste. Dann fuhr er nach Hause und tötete dort noch seine Mutter und schließlich sich selbst. Die neun rassistischen Morde: Eine Mutter wollte Pizza holen Die Opfer hatten zuvor einen ganz gewöhnlichen Werktag verbracht. Am Abend suchten sie Zerstreuung. Sie trafen sich, um gemeinsam Shisha zu rauchen oder Champions League zu schauen. Eine 35 Jahre alte Mutter wollte eine Pizza für ihren 17-jährigen Sohn und ihre dreijährige Tochter holen und starb im Kugelhagel. Gegen 21 Uhr war der Täter zum Hanauer Heumarkt gefahren. Dort wurde er noch wegen Falschparkens kontrolliert und stellte sein Auto um. Dann griff er seine Pistolen, die er ganz legal besaß. Gegen 21.50 Uhr feuerte er die ersten Schüsse auf die Menschen ab, die er sterben sehen wollte. In der Bar "La Votre" starb der Wirt Kaloyan Velkov, der einen achtjährigen Sohn hinterließ. Fatih Saraçoğlu wurde tödlich getroffen, als er dem Mörder auf der Straße über den Weg lief, und Sedat Gürbüz wurde in der Shisha-Lounge "Midnight" erschossen. 52 Kugeln: Said Etris Hashemi überlebte Um 21.53 Uhr filmte eine Überwachungskamera den Killer, wie er vom Tatort floh. Wenige Minuten später erreichte er mit seinem Auto den zweiten Schauplatz des Verbrechens. Am Kurt-Schumacher-Platz erschoss er auf einem Parkplatz Vili Viorel Păun. Dann stürmte er ins "Arena Bar & Café", ein Lokal mit angeschlossenem Kiosk. Im Kiosk tötete er Gökhan Gültekin, Mercedes Kierpacz und Ferhat Unvar, in der Bar Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović. Insgesamt 52 Kugeln feuerte der 43-jährige Täter ab. Sieben weitere Menschen wurden schwer verletzt. Unter den Verletzten war auch Said Etris Hashemi, der ältere Bruder des in der "Arena Bar" getöteten 21 Jahre alten Maschinenführers Said Nesar. Die beiden waren mit ihren Geschwistern in Hanau aufgewachsen, die Eltern zuvor aus Afghanistan nach Deutschland geflüchtet. Etris trafen mehrere Kugeln, sie durchschlugen Schulter und Hals. Erst zwei Tage nach dem Attentat wachte er im Krankenhaus wieder auf und erfuhr vom Mord an seinem Bruder. "Als wäre die Zeit stehen geblieben" Said Etris Hashemi schrieb im vergangenen Jahr das Buch "Der Tag, an dem ich sterben sollte". "Manchmal", sagte er nach dem Attentat, "fühle ich mich, als wäre die Zeit stehen geblieben, während sie für alle anderen einfach weitergeht." Er hat sein Studium der Wirtschaftsinformatik aufgegeben, sich dafür 2023 für Politikwissenschaften an der Uni in Frankfurt eingeschrieben. Seit Jahren engagiert er sich. Gemeinsam mit anderen Hinterbliebenen und Unterstützern will er erreichen, dass der Anschlag und seine Hintergründe komplett aufgeklärt werden. Und er hofft, dass aus all dem Leid vielleicht doch noch etwas Gutes erwächst. "Wir kämpfen dafür, dass diese Tode nicht sinnlos gewesen sind", erklärte er vor dem fünften Jahrestag. "Die Erinnerung sollte uns auch eine Mahnung sein, wohin Hass und Hetze führen können." "Fünf Jahre danach haben Migranten mehr Angst als je zuvor" Dass die gesellschaftliche Stimmung im Augenblick genau in die andere Richtung weist, betonte am Mittwoch auch die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes. Ferda Ataman prangerte in Berlin mangelnde Anstrengungen gegen Rassismus an. Der Staat habe nach dem Anschlag von Hanau seine Hausaufgaben nicht gemacht: "Die Zahl rechtsextremer Straftaten ist so hoch wie nie, während der Schutz vor Diskriminierung kein bisschen verbessert wurde." Statt das Sicherheitsgefühl von Migranten und ihren Nachkommen zu stärken, würden sie zum Sicherheitsproblem erklärt, erklärte Ataman. Es sei zu beobachten, dass Diskriminierungen zunähmen. Menschen berichteten von rassistischem Mobbing am Arbeitsplatz, von Ärztinnen und Ärzten, die muslimische Patienten als "Messerstecher" ablehnten, und von Lehrkräften, die Schüler als "kleine Terroristen" an die Tafel riefen. "Fünf Jahre nach dem Anschlag in Hanau haben Migranten in Deutschland mehr Angst als je zuvor."