Widerstand gegen Gentrifizierung: Wilde Jahre in Hamburg in Bildern
Mit Ernst und Humor hat der Hamburger Fotograf Hinrich Schultze das Leben in seiner Stadt in Bildern dokumentiert. Eine Zeitreise von den 1980er-Jahren bis heute.
Der Fotograf Hinrich Schultze hat sein Lebensmotto zum Beruf gemacht: "Wir arbeiten gegen die Vergänglichkeit an und zwar so, dass es möglichst nett anzusehen ist." In einer kleinen Ausstellung im Hamburger Karoviertel zeigt er eine Woche lang Bilder aus seiner Heimatstadt, die über 40 Jahre hinweg von Protesten gegen Abriss, Menschen aus seinem Viertel und Polizei-Einsätzen erzählen.
Herr Schultze, wann haben Sie Ihre Liebe zur Fotografie entdeckt?
Das muss etwa 1963 gewesen sein.
Wie alt waren Sie da?
Zehn Jahre, ungefähr. Ich hatte mich geärgert, dass so viele Dinge, die ich gerne hatte, verschwunden sind. Die Bäume wurden abgesägt, auf die ich immer geklettert bin, die Freunde mussten wegziehen, weil eine Autobahn gebaut wurde, die Häuser mussten weg, weil eine neue Siedlung gebaut wurde. Und der Bahnhof musste auch weg, weil alles elektrifiziert und modernisiert wurde. Und ich wollte festhalten, was so verschwindet.
Wo sind Sie denn aufgewachsen?
In Bremen. Bremen-Nord. Daher kommt nie einer.
Wann sind Sie hauptberuflich Fotograf geworden?
Etwa 1983. Ich hatte das vorher studiert und hatte auch eine Lehre gemacht.
An welcher Uni haben Sie studiert?
In Kassel. Günter Wallraff brauchte 1983 einen Techniker für sein Projekt "Ganz unten" und ich kenne mich sehr gut in Elektronik aus. Er brauchte jemanden, der ihm eine Geheimkamera für die Dokumentation dessen baut, was er erlebt hat. Als Beweismittel und auch für den späteren Film. Sowas konnte man damals noch nicht kaufen. Heutzutage gibt es das ja aus China oder so, damals noch nicht. Ich musste eine Videoanlage konstruieren. Das Projekt war in Hamburg und deswegen bin ich 1982/83 hierhergezogen.
Wie haben Sie Ihre Leidenschaft für bestimmte Fotothemen entdeckt?
Ich hatte angefangen, Blumen und Landschaften zu fotografieren, weil ich sie gerne mag. Aber dann hatte ich mir überlegt, Blumen und Landschaften wird es hoffentlich auch später noch geben. Ich muss das fotografieren, was irgendwann nicht mehr da ist. Das ist ja der eigentliche Sinn der Fotografie: das festzuhalten, was sonst verschwindet. Das mache ich seitdem. Ich fotografiere, was ich sehe.
Hatten Sie mit der Auswahl Ihrer Motive, wie in dieser Ausstellung, auch politische Aussagen im Sinn?
Als Jugendlicher ist man ja immer so ein bisschen rebellisch. Das war das Rebellentum damals: Startbahn West, Brokdorf, die Hausbesetzungen. Das ist ja nicht nur Spaß, sondern es zeigt sich immer noch, dass das mit den Hausbesetzungen eine wichtige Sache ist. Die Mieten heutzutage und die Gentrifizierung, das betrifft ja alle. Da klagen alle, das ist ja kein Problem von einer kleinen Minderheit, sondern von allen Menschen. Auch die Geschäftsinhaber sind davon betroffen und die Regierung kriegt das nicht in den Griff. Da fragt man sich, wozu ist so ein Staat da? Es gibt keine Lösung.
Können Sie sagen, was Sie an Hamburg am meisten lieben und was Sie am meisten nervt?
Ich wohne in St. Pauli. Und das ist nicht so langweilig da. Das ist eher eine bunte Gegend. Es ist auch so ein Refugium für Menschen, die in anderen Teilen der Bundesrepublik irgendwie nicht klarkommen. Aus sexuellen Gründen oder kriminellen oder kulturellen. Deswegen sind ganz viele früher nach St. Pauli gezogen und das ergibt dann so eine interessante, bunte Mischung.
Und was nervt Sie an Hamburg außer den Mietpreisen?
Muss ich erstmal nachdenken. Fällt mir nicht so viel ein.
Das Wetter?
Nö.
Hamburger nervt das ja auch nicht.
Fotografen eigentlich auch nicht. So richtig knalliger Sonnenschein ist schlecht zum Fotografieren. Aber wenn ich drüber nachdenke: Für mich ist es eher ein massives Problem, dass es hier keine Berge und auch keinen Nordseestrand gibt.
Beim Anblick Ihrer Bilder wird man fast wehmütig. Gab es in den 80ern einen anderen nachbarschaftlichen Zusammenhalt als heute?
Joa, ich glaube schon. Also bei uns im Hof zum Beispiel gab es früher Hoffeste. Und erst jetzt, nach mehreren Jahrzehnten, kommen junge Leute rein und interessieren sich für Nachbarschaft. Es ändert sich wieder ein bisschen. Bei uns gibt es inzwischen wieder die ersten Hoffeste.
Die Ausstellung ist hier zu sehen: Farbwerke M6 Konterkaro Galerie, Marktstraße 6, 20357 Hamburg.
Vom 17. bis 25. Februar täglich von 16 –19 Uhr.