Für den Bau von Nord Stream 2 gründete die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern eine Stiftung – angeblich auf eigene Initiative. Doch Schwesigs Erzählung lässt sich wohl nicht halten. Es zeichnet sich ein Debakel ab. Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern hat die Öffentlichkeit getäuscht. Das steht nun schon seit mehreren Jahren fest. Die angebliche Klimastiftung, die sie Anfang 2021 mit Millionen aus Russland gründete, war in erster Linie eine Tarnorganisation, um den Bau der deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2 voranzutreiben. Sie sollte die Pipeline weitgehend vor US-Sanktionen schützen und erst in zweiter Linie Klimaschutz betreiben. Das war im Wesentlichen schon durch Recherchen unter anderem durch t-online bekannt geworden, bevor der Untersuchungsausschuss im Schweriner Landtag 2022 seine Arbeit aufnahm. Seither hat der Ausschuss die Beweislage gegen Ministerpräsidentin Manuela Schwesigs Kabinett weiter verdichtet. Die Aussage des Managers Ein zentraler Manager der Stiftung räumte Ende letzten Jahres die Behauptung der Landesregierung final ab, die sie damals dem Landtag zum Stiftungsbeschluss vorlegte: Lediglich vorübergehend würden auch regionale Dienstleister und Zulieferer mit dem Konstrukt vor Sanktionen geschützt. Das sei ein "Missverständnis", von dem er selbst "zu keiner Zeit" ausgegangen sei, sagte der Manager. Vielmehr sei die Stiftung "eine Art Schutz beziehungsweise Risikoreduzierung für Sanktionen gegen Nord Stream 2" gewesen. Er habe den entsprechenden Teil der Stiftung zu diesem Zweck noch selbst für die Nord Stream 2 AG konzipiert. Das berührt, über die damit ad absurdum geführten Behauptungen der Landesregierung hinaus, einen weiteren heiklen Punkt für die Regierung Schwesig. Eine verwegene Verteidigungslinie Denn die ursprüngliche Erzählung, mit der sie dem Landtag die Stiftung schmackhaft gemacht hatte, war schon sehr früh nach Kriegsausbruch kaum noch zu halten. Deshalb hatte sich Schwesigs Regierung schließlich auf eine andere verwegene Verteidigungslinie zurückgezogen: Die Idee zur Landesstiftung mit Gazprom-Geld habe die Landesregierung immerhin selbst gehabt und die Satzung auch selbst konzipiert. Offenbar wollte sie so Vorhaltungen entgegenwirken, der russische Staatskonzern habe umfangreich Einfluss genommen. Das bringt die Landesregierung nun, da der Untersuchungsausschuss in seine heiße Phase eintritt, wiederum in Verlegenheit. Denn seit Monaten zeichnet sich ab: Auch diese Erzählung wird nicht zu halten sein. Sie war offenbar, wie die Stiftung selbst, eine Tarnung, um die tatsächlichen Vorgänge zu verschleiern. Daran kann auch nach der Zeugenaussage des Landesfinanzministers Christian Pegel kein begründeter Zweifel mehr bestehen. Pegels Zeugenaussage Er verantwortete damals als Schwesigs Energieminister die Stiftung. Die Landesregierung behauptete zunächst, er habe sie ersonnen. Am Freitagmorgen bestand er als geladener Zeuge im Ausschuss auch weiter darauf, die Stiftung sei nicht von außen initiiert oder vorbereitet worden. Vielmehr habe sich die Idee im Sommer 2020 im Dialog mit einem leitenden Mitarbeiter der Nord Stream 2 AG herauskristallisiert. Wer sie letztlich ins Spiel brachte, sei ihm nicht erinnerlich. Die Satzung habe er im Dialog mit Nord Stream 2, aber dennoch maßgeblich selbst erstellt. Die "Endfassung" stamme von ihm. Pegels Problem und das seiner Landesregierung: Schon früh sammelte der Ausschuss Indizien dafür, dass Pegels Behauptung, er habe die Stiftungsidee entwickelt, lediglich eine weitere Ausflucht war. Die Beweisaufnahme fiel nicht ganz leicht, da die Nord Stream 2 AG aus Angst vor Überwachung durch Geheimdienste ab Februar 2020 auf eine konspirative Kommunikation mit der Landesregierung bestand, wie t-online berichtete . Wichtige Informationen sollten nicht mehr schriftlich, sondern nur noch mündlich übermittelt werden. Und diese Gespräche fanden keinen Weg in die Akten. Außerdem löschte Pegel fortwährend E-Mails und SMS. Der Ausschuss musste sich bei der Wahrheitssuche deswegen weitgehend auf zum Teil mühsame Zeugenvernehmungen verlegen. Versteckspiel um die Gründung Zwar zog sich das Führungspersonal von Nord Stream 2 im Landtag fast durchgehend auf Erinnerungslücken zurück – die Genese der Stiftungsidee konnten sich die Gas-Manager aber zumindest noch ungefähr ins Gedächtnis rufen. Zum Beispiel Matthias Warnig, der Geschäftsführer der Nord Stream 2 AG, in seiner Befragung im Januar: "In meiner Wahrnehmung kam der erste Gedanke einer Stiftung aus unserer Rechtsabteilung" (Matthias Warnig, CEO Nord Stream 2 AG) Die Rechtsabteilung von Nord Stream 2 habe erkannt, dass staatliche Stellen und Institutionen mit einem Staatsbezug nicht unter die US-Sanktionen fallen könnten. "Das war der Ausgangspunkt", sagte Warnig im Ausschuss. Und erinnerte sich auch an den weiteren Verlauf: "Man hat erst mal unseren Gedanken von unserer Rechtsabteilung Herrn Pegel vorgetragen und dann Gespräche aufgenommen, ob das eine Option wäre, die wir weiterverfolgen können" (Matthias Warnig, CEO Nord Stream2 AG) Diese Darstellung wurde im Verlauf des Untersuchungsausschusses von einem weiteren Zeugen gestützt, der gleichzeitig Pegels öffentlicher Behauptung widersprach, er habe den ersten Satzungsentwurf für die Stiftung selbst erarbeitet und dafür ein Standarddokument aus dem Internet heruntergeladen. Die Metadaten des Dokuments hatten bereits auf die Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer als Urheber hingewiesen. Der damals leitende Mitarbeiter der Nord Stream 2 AG, Reinhard Ontyd, der laut Pegel sein Gesprächspartner in den Plänen war, sagte dazu aus: "Wir hatten für den ersten Grobentwurf einer Satzung [die Anwaltskanzlei] Freshfields beauftragt" (Reinhard Ontyd, Leitender Mitarbeiter Nord Stream 2 AG) Uneinigkeit herrschte bei den Zeugen allerdings über den Zeitraum, in dem sich Nord Stream 2 mit der Landesregierung zur Stiftungsgründung beriet. Der ist deswegen von Interesse, weil er Aufschluss darüber geben könnte, wie tief Ministerpräsidentin Schwesig in die Planungen einbezogen war und welche Kenntnis sie von der konkreten Zuarbeit der Gazprom-Tochter hatte. Die Staatskanzlei hatte zunächst erklärt, Schwesig habe erst am 5. November 2020 von der Stiftungsidee erfahren. Also gut zwei Monate vor Gründung. An diesem Tag sei sie von Minister Pegel und Nord-Stream-2-Manager Warnig in der Staatskanzlei über die Pläne informiert worden. Die Vorbereitungsgespräche habe Pegel geführt. Schwesig selbst räumte nach Einsetzung des Untersuchungsausschusses schließlich in einem Interview mit der "Zeit" ein, Pegel habe sie schon am 15. September 2020 über die Stiftungsidee in Kenntnis gesetzt. Das Blumenstrauß-Treffen im August Es gibt aber noch andere Darstellungen. Beispielsweise die des ehemaligen Kommunikationsberaters von Nord Stream 2, Steffen Ebert, der sich im Ausschuss noch recht genau an ein Treffen von Warnig, Pegel und Schwesig am 11. August 2020 in der Staatskanzlei zu erinnern meinte, bei dem medienwirksam ein Blumenstrauß überreicht wurde: "Ja, es wurde die Idee zu der Stiftung in dieser Runde geäußert. (...) Der Termin war der Anlass, die Ministerpräsidentin in dieses Thema einzuweihen." (Steffen Ebert, Kommunikationsberater Nord Stream 2 AG) Weiter habe er davon gehört, dass es im Vorfeld Gespräche dazu zwischen Pegel und Nord Stream 2 gegeben habe. Die Staatskanzlei dementierte die Behauptung im NDR umgehend. Pegel sei bei dem August-Termin in der Staatskanzlei auch gar nicht anwesend gewesen. Trog Ebert also seine Erinnerung, die sich mit der an das gemeinsame Treffen am 5. November vermischt haben könnte? Für Eberts Darstellung spricht jedenfalls eine Aussage des damals stellvertretenden Ministerpräsidenten Lorenz Caffier (CDU): Schwesig habe ihn bereits im Spätsommer 2020 über Stiftungspläne informiert. Das wiederum gleicht einer internen E-Mail, die Pegel einst verschickte und die dem Untersuchungsausschuss vorliegt. Darin heißt es, er habe Schwesig im "Hochsommer" 2020 informiert. Auch Caffier belastete Schwesig Dass Pegel nun selbst einräumte, die Idee sei bereits im Sommer 2020 entstanden, macht diese Version der Ereignisse durchaus wahrscheinlicher. Sie wird bestärkt durch die Aussage eines weiteren Nord-Stream-2-Beraters: Er habe ab September 2020 für die Nord Stream 2 AG Alternativen entwickelt, wenn sich Arbeiten durch den Ausfall von Lieferanten oder Dienstleistern verzögerten, zum Beispiel aufgrund von Sanktionen. Und damals stellte sich ihm die Situation bereits so dar: "Als ich mit den Aufgaben betraut worden bin von Nord Stream 2, gab es bereits diese Idee einer Stiftung" (Steffen Petersen, Berater der Nord Stream 2 AG und CEO des Wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs Der Klimastiftung) Schon der September 2020 sei Teil der "Anbahnungsphase" für die Gründung gewesen, führte Steffen Petersen in seinen einführenden Worten im Ausschuss aus. Ab Oktober 2020 sei er anschließend selbst konkret damit befasst gewesen, den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb der Stiftung für Nord Stream 2 zu erarbeiten. Die Aussage ist nicht zu unterschätzen: Bei Petersen handelt es sich zum einen um jenen Stiftungsmanager, der mit seiner Aussage auch die Behauptung der Landesregierung abwickelte, die Stiftung habe regionale Zulieferer schützen sollen. Zum anderen konzipierte er den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb der Landesstiftung im Auftrag von Nord Stream 2 nicht nur – ab Anfang 2021 übernahm er auch dessen Leitung. Schwesigs Treffen mit Warnig und Schröder Sollte die Ministerpräsidentin also doch in einem frühen Stadium Kenntnis von der Stiftungsidee gehabt haben? Bereits vor dem 15. September 2020? Und hätte sie dann nicht auch Kenntnis davon haben müssen, wie groß der Einfluss der Nord Stream 2 AG auf die Pläne war? Schließlich trafen sie und ihre Minister in diesem Zeitraum regelmäßig Unternehmensvertreter, wie t-online berichtete . Schon lange hatte nicht nur das Blumenstrauß-Treffen im August 2020, sondern auch ein hochrangiges Treffen am Rande eines Konzerts in Usedom im September 2020 Argwohn geweckt. Es fand statt, drei Tage bevor Pegel seine Ministerpräsidentin angeblich erstmals informierte: Damals aß Schwesig mit Warnig zu Abend – in Begleitung des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder , der den Verwaltungsrat der Nord Stream 2 AG leitete. Beim Konzert habe man auch über die Pipeline gesprochen, räumte Warnig bei seiner Befragung ein. Schriftliches existiert dazu wieder einmal nicht, ebenso wenig wie für ein Treffen von Warnig, Pegel und dem damaligen Staatskanzleichef Heiko Geue drei Monate zuvor, bei dem die Sanktionsdrohungen gegen Nord Stream 2 bereits erörtert wurden. Der Auftritt Minister Pegels im Ausschuss hat all diese Vermutungen nicht zerstreuen können. Im Gegenteil: In zentralen Fragen berief er sich auf Erinnerungslücken. Seine Aussage war aber nicht der letzte Termin des Untersuchungsausschusses. Als letzte Zeugin soll kommende Woche Ministerpräsidentin Schwesig vernommen werden. Dann wird sich zeigen, ob ihre Erinnerung besser ist. Auch sie wird dann der Wahrheitspflicht unterliegen.