Im Rollstuhl durch die Eberbacher Innenstadt: Wenn zwei Zentimeter Absatz zum Hindernis werden
Von Martina Birkelbach
Eberbach. Zwei Schlaganfälle, Gehirnblutungen, drei Operationen am Kopf und drei Monate im Koma an einer Herz-Lungen-Maschine: Volker Hempel hat in seinem Leben einiges durchgemacht, musste unter anderem das Sprechen komplett neu lernen. Seit 2006 ist der 59-jährige ehemalige Friseurmeister halbseitig gelähmt und sitzt im Rollstuhl. "Das ist die Feinmotorik in der linken Seite, aber das könnte auch wieder gut werden", blickt er positiv in die Zukunft. Hempel wohnt im Lebensrad und ist fast täglich in Eberbach unterwegs. "Ich habe so viel mitgemacht, heute genieße ich jeden Tag. Es tut mir gut, unterwegs zu sein und immer wieder neue Leute kennenzulernen", sagt er. Doch auf seinen täglichen Touren durch die Stadt gibt es auch allerlei Hindernisse, die er mit dem Rollstuhl zu bewältigen hat. Dabei wären manche davon einfach zu beseitigen.
Hempel hatte früher zwei Friseurgeschäfte, das Hauptgeschäft in Helmstadt und eine Filiale in Bad Rappenau. "1984 hatten wir ein Hochwasser, das hat alles überschwemmt. Ich habe alles verloren, geschäftlich und privat." Er zog nach Bad Rappenau, betrieb dort das Geschäft mit einem Partner weiter. 2006 kam dann der erste Schlaganfall, tags darauf in der Klinik folgte der zweite. Sein Partner löste das Friseurgeschäft auf, Hempel zog nach vielen Klinikaufenthalten und Rehamaßnahmen nach Kortelshütte.
Durch eine Bekannte erfuhr er vom Alten- und Pflegeheim Lebensrad, dort zog er kurz nach der Eröffnung vor sieben Jahren ein. Durch die halbseitige Lähmung braucht er die Pflege. Dass er das Sprechen neu lernen musste, merkt man ihm heute kaum noch an. Die drei Monate im Koma kann er zwar zeitlich nicht genau eingrenzen, aber er erinnert sich bruchstückhaft: "Es war ruhiger als im normalen Leben. Und es saß mal jemand an meinem Bett und betete."
"Wenn das Wetter passt", ist Hempel mit dem elektrischen Rollstuhl in der Stadt unterwegs. Und für ihn scheint das Wetter eigentlich immer zu passen, denn er ist fast täglich auf Tour. "Ich habe viele Kontakte in Eberbach", sagt er. Das bestätigt ein kurzer Rundgang mit ihm durch die Innenstadt. Er grüßt fast jeden dritten Bürger und wird freundlich begrüßt, es gibt kurze und auch längere Gespräche. Es scheint kaum jemanden zu geben, den er nicht kennt. Wenn er mal einen Tag nicht in der Stadt unterwegs ist, machen sich einige Sorgen. Insbesondere Martina Riedinger von "Blumen am Platz" und Jutta Braner vom Sonnenstudio. Sie gehören zum engeren Freundeskreis und werden täglich besucht.
Der Weg vom Lebensrad in die Stadt ist mit dem Rollstuhl aber nicht ohne Hindernisse zu bewältigen. Da die Aufzüge am Bahnhof so oft kaputt sind, lässt Hempel diesen Weg zu seiner eigenen Sicherheit komplett aus: "Ich könnte oben stehen und plötzlich geht kein Aufzug mehr - oder stecken bleiben." Seine tägliche Wegstrecke führt über Schafwiesenweg und Güterbahnhofstraße an den Stadtwerken vorbei, dann an der katholischen Kirche entlang zum Neuen Markt. An der Ecke Odenwaldstraße wird oft wild geparkt. "Wenn die Autos dort halb auf dem Bürgersteig und halb auf der Straße stehen, bin ich gezwungen auf der Straße zu fahren. Das ist gefährlich und ich behindere den Verkehr."
Oft sei auch der Bürgersteig gegenüber der Dach- und Holzbaufirma Müller in der Friedrichsdorfer Landstraße mit Autos zugestellt, die über die Markierungen hinaus parkten. "Das ist nicht nur für mich schwierig, sondern auch für Frauen mit Kinderwagen oder Senioren mit Rollatoren."
In der Innenstadt kommt Hempel "relativ" problemlos durch. Vorbildlich zum Fahren mit dem Rollstuhl seien die Eingänge mit Rampen, etwa beim Polizeirevier oder der gerade umgezogenen Parfümerie Werner in der Bahnhofstraße. Einfach einfahren - da ohne Schwelle - kann Hempel beispielsweise beim gerade in die Passage am Neuen Markt umgezogenen Barbershop oder in die neue Bäckerei Brockenhof in der Bahnhofstraße. Unter anderem sind auch Hirsch- und Bahnhof-Apotheke, Tchibo, Modehaus Müller oder der dm-Markt einfach zu befahren.
Bei einigen Geschäften kann er die Türen allerdings nur schwer öffnen, da er nur eine Hand benutzen kann. Wenn er aber an die Schaufensterscheibe klopft, kommt immer ein freundlicher Mitarbeiter heraus.
Viel zu knapp bemessen sei die Rampe beim Café Viktoria. Bei Brankos Snackbar werde der Eingang zum Lokal oft mit den eigenen Autos zugeparkt. "Wenn ich im Krabbenstein essen will, muss ich immer jemanden bitten, am Hintereingang Bescheid zu sagen - der Vordereingang ist für den Rollstuhl zu verwinkelt. Der neue Italiener in der Hauptstraße will noch eine Rampe bauen. Und die Eisdiele am Neuen Markt baut gerade komplett um, dort sollen dann auch die sanitären Anlagen für Rollstuhlfahrer neu gestaltet werden."
Ganz einfach bekommt Hempel Zutritt in die kleine Filiale der Volksbank Neckartal am Neuen Markt: "Außen den Knopf drücken und die Tür öffnet sich automatisch."
Wenn Volker Hempel in der Stadt unterwegs ist, muss auch er mal ein stilles Örtchen aufsuchen. Meist nutzt er die Toilette in der Eberbacher Stadthalle. Für die öffentlichen Behindertentoiletten besitzt er einen Schlüssel, den er über das Versorgungsamt Darmstadt bekommen hat - der funktioniert bundesweit. Da in der Stadthalle allerdings montags der Haupteingang geschlossen ist, muss er an diesem Tag immer auf die Toilette im Rathaus ausweichen. Dort sei die Haupteingangstür mit nur einer Hand aber sehr schwer zu öffnen. "Ohne einen zufällig vorbeilaufenden Bürger, der hilft, schaffe ich das nicht." Die öffentlichen Toiletten in der Dr.-Weiß-Schule bezeichnet Hempel als "Katastrophe". Und im Eberbacher Bahnhof müsste er eine Treppe runter. "Das ist unmöglich. Dort ist dringend eine leicht zugängliche Behindertentoilette erforderlich. Nicht nur für mich, sondern auch für andere Rollstuhlfahrer."
Schwierig wird es für Hempel, wenn er bei der Ampel in der Friedrichstraße über die Straße will. Vom Bürgersteig zur Straße ist nur ein kleiner Absatz von etwa zwei bis drei Zentimetern, aber diese Kante muss er mit dem elektrischen Rollstuhl ganz vorsichtig und langsam angehen. "Mit einem normalen Rollstuhl muss man dort zur Sicherheit rückwärtsfahren."
Auch wenn es für Hempel einige Hindernisse in Eberbach gibt, er fühlt sich wohl in der Stadt. Und vor allem "sind die Menschen alle freundlich und hilfsbereit". Ab und zu, erzählt der frühere Friseurmeister, zieht es ihn doch mal raus aus der Stadt, um mit einer Bekannten durch Mannheim zu bummeln.
Zwei Schlaganfälle, Gehirnblutungen, drei Operationen am Kopf und drei Monate im Koma an einer Herz-Lungen-Maschine: Trotz seiner halbseitigen Lähmung genießt Volker Hempel jeden Tag in seinem Leben. Und einige Hindernisse ließen sich vielleicht ganz einfach beseitigen. Es würde nicht nur den Alltag von Volker Hempel erleichtern, sondern von vielen anderen auch.