Herxheimer "Hitler-Glocke": "Die Glocke ist ein Mahnmal der Erinnerung"
Von Carsten Blaue
Meckenheim/Herxheim am Berg. Am Telefon klingt Birgit Müller angestrengt. Zu oft wird die Glockensachverständige aus dem pfälzischen Meckenheim in diesen Tagen nach der Herxheimer "Hitler-Glocke" gefragt. Dort wartet man mit Spannung auf ihr Gutachten. Der Gemeinderat von Herxheim möchte von ihr Rat, wie es mit dem umstrittenen Geläut in der evangelischen St. Jakob-Kirche weitergehen sollte. Im RNZ-Gespräch verweist Müller darauf, dass die Glocke unter Denkmalschutz steht.
Frau Müller, stimmt es, dass Ihr Gutachten für die Herxheimer "Hitler-Glocke" schon kommende Woche fertig ist?
Das weiß ich nicht genau. Wenn es so weitergeht, dann dauert es noch. Bei mir steht das Telefon ja nicht still. Die Fakten habe ich alle. Ich müsste nur noch schreiben. Dabei werde ich mich kurz und knapp fassen. Alles muss aber verständlich erklärt sein.
Was schlagen Sie vor: abhängen oder im Turm lassen?
Ich will und werde dem Gutachten nicht vorgreifen. Daher nur so viel: Die Glocke steht unter Denkmalschutz. Deswegen kann man auch nicht einfach die Inschrift entfernen. Das Denkmalamt sagt: Würden man sie entsorgen, dann wäre vielleicht ein Stück Schande weg. Andererseits ist die Glocke ein Mahnmal der Erinnerung. Wenn wir alle diese Mahnmale aus der NS-Zeit vernichten, dann können wir nichts lernen.
Was kann man denn von einer Glocke bezüglich der NS-Zeit lernen?
Noch einmal: Sie ist ein Mahnmal der Erinnerung. Um eine Wiederholung vergleichbarer historischer Entwicklungen zu verhindern. Sie kann eine Grundlage der Diskussion sein - so lange sie nicht vom rechten Rand für Propagandazwecke missbraucht wird.
Also sollte man die Herxheimer Glocke hängen lassen?
Von mir aus ja. Aber nur mit einer Tafel, die ihren historischen Hintergrund dokumentiert. Denn ganz abgesehen vom Denkmalschutz: Die Glocke ist jetzt still. Das Geläute nur aus zwei Glocken ist ein Torso. Und das ist auch nichts. Wenn man sie durch eine neue Glocke ersetzt, dann gibt man eigentlich nur viel Geld aus, um danach den gleichen Ton wieder zu haben wie jetzt. Übrigens ist die Herxheimer Glocke auch ein klangliches Denkmal. Denn die Glockengießerei Schilling in Apolda, wo sie gegossen wurde, gibt es heute nicht mehr.
Warum wurde man eigentlich erst dieses Jahr auf die Glocke aufmerksam?
Weil sie von den Medien zum Thema gemacht wurde. In Herxheim selbst weiß man schon immer um die Glocke. Sie steht auch in der Ortschronik und wurde nie versteckt oder verheimlicht. Auch die Konfirmanden werden mit ihr konfrontiert. Daher trifft es den Ort ja auch so hart, was jetzt mit ihm passiert. Die Medienmeute kam, machte ihre Geschichten und war wieder weg. Dass das Dorf eine alte Geschichte hat, den prägenden Weinbau, das alles hat niemanden interessiert. So blieb jetzt ein Ort zurück, in dem die Leute wirklich fertig sind. Ich bin es übrigens auch.
Inzwischen ist bekannt, dass es mehrere Glocken aus der NS-Zeit in Kirchtürmen gibt. Haben Sie von diesen nicht gewusst, als Sie das Herxheimer Geläut eine "Rarität" nannten?
Doch, natürlich. Aber ich wollte diese Gemeinden schützen. Zu meinem Eid als Sachverständige gehört auch Verschwiegenheit. Was meinen Sie, was los gewesen wäre, wenn ich etwas anderes gesagt hätte. Aber glauben Sie mir: Es gibt noch viel mehr dieser Glocken. Herxheim hat eben die prominenteste.
Können Sie diejenigen verstehen, die es nicht ertragen können, wenn eine NS-Glocke zum Gottesdienst ruft oder die Uhrzeit schlägt?
Ja, natürlich. Gerade Angehörige von Opfern der Nationalsozialisten kann ich gut verstehen. Aber diese Menschen werden immer Angehörige der Opfer bleiben. Daran ändert auch die Glocke nichts. Sie kann dagegen ein Impuls sein, sich der Geschichte zu stellen.
Warum wurde die Glocke eigentlich nicht schon vor Jahrzehnten oder direkt nach dem Krieg aus dem Turm entfernt?
Die kleinsten Glocken hat man damals in den Türmen gelassen. Und glauben Sie mir: Die Menschen hatten damals andere Sorgen als die Glocke im Kirchturm. Da ging es auf dem Dorf um Wohnen, Essen und Kleidung. Jeden Tag. Die Glocke hing halt da. Und fertig.
Also bleibt die Glocke hängen?
Das weiß ich nicht. Das ist am Ende die Entscheidung des Gemeinderats. Ich habe meine Meinung gesagt, ohne dem Gutachten vorgreifen zu wollen. Abgesehen davon: Wo wollen Sie eigentlich anfangen und wo aufhören, wenn Sie aus Kirchen alle Zeugnisse der NS-Zeit verbannen wollen? Denken Sie nur an den Kölner Dom, in dem etliche Steine mit Hakenkreuzen verbaut sind. Meinen Sie, da nimmt einer Millionen in die Hand, um die alle abzuklopfen?