Fridays for Future in Hamburg: 79. Schulstreikwoche: Greta sagt "Moin" in Hamburg und holt noch immer Massen auf die Straße
Es beginnt etwas zäh und trist an diesem Freitagmittag in Hamburg am Rande der Reeperbahn – aber das wird sich im Laufe der nächsten Stunden ändern. Für 12.40 Uhr hatten die Fridays-for-Future-Organisatoren ihre Veranstaltung bei der Polizei angemeldet – von 30.000 Teilnehmern ist im Vorfeld die Rede gewesen, schließlich soll auch Greta Thunberg mitlaufen.
Doch die Massen lassen zunächst noch auf sich warten. Einige hundert Menschen haben sich auf der Straßenkreuzung unter dem grauen Himmel versammelt, zum großen Teil sind es Jugendliche. Dabei ist alles vorbereitet: auf der großen Bühne läuft der Soundcheck, vor einem Zelt treffen sich Sanitäter für die Lagebesprechung, an Infoständen warten Umweltschutzorganisationen mit Flyern, die Kameras der Reporter sind bereit.
Auch von Greta, der Ikone der globalen Jugendbewegung, ist nichts zu sehen. Die Rolle der Idole nehmen solange drei Herren in den Vierzigern ein. König Boris, Dokter Renz und Björn Beton mischen sich unter die jungen Protestler. Sie wollen später neben anderen Künstlern auf der Bühne auftreten. "Wir sind für den Spaß hier", sagen die drei Musiker von "Fettes Brot" in die Mikrofone. Es sei wichtig, dass sich Menschen für mehr Klimaschutz einsetzen, auch sie selbst hätten ihr Verhalten schon angepasst. "Heute sind wir ausnahmsweise nicht mit dem Hubschrauber gekommen, sondern mit dem Fahrrad", erklärt das Hamburg Hip-Hop-Trio ironisch.
Greta Thunberg bei Fridays for Future in Hamburg
Den Organisatoren von Fridays for Future in der Hansestadt ist ihr Anliegen ernst. Zwei Tage, bevor die Hamburger über ihr neues Parlament abstimmen, soll die Demo unter dem Motto "Hamburg wählt Klima" Politiker an den Klimaschutz erinnern und die Wähler zum Nachdenken über ihre Stimmabgabe bringen.
Man sei überparteilich, betont Fridays for Future immer wieder, wolle keine explizite Wahlempfehlung aussprechen. Und tatsächlich: Unter den Logos der 26 Unterstützerorganisationen auf der Bühne ist keines einer Partei zu finden. Stattdessen zum Beispiel das der Gewerkschaft Verdi, das von Greenpeace oder auch vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub.
Doch welche Partei hier besonders engagiert ist, fällt schnell auf und überrascht nicht: Keine fünf Minuten nach der Ankunft am Kundgebungsort wird die erste Broschüre in die Hand gedrückt. "Am 23. Februar Fegebank wählen!" Katharina Fegebank ist die Spitzenkandidatin der Grünen bei der kommenden Bürgerschaftswahl (ein Porträt der Politikerin lesen Sie hier im stern). Dazu halten Dutzende Menschen Regenschirme der Grünen in der Hand, Fahnen der Partei flattern im Wind. Auch Robert Habeck und Annalena Baerbock sind gekommen. Hört man sich unter den Jugendlichen um, wen sie denn wählen würden, wenn sie denn am Sonntag dürften, sind es: "Die Grünen." – "Weil die am meisten für die Umwelt tun", sagt zum Beispiel die 16-jährige Leonie.
Die Partei von Katharina Fegebank regiert seit fünf Jahren mit in der Hansestadt. Auch sie hat das vom Hamburgern Senat vorgelegte Klimapaket zu verantworten, das Fridays for Future als "unvereinbar mit dem völkerrechtlich verbindlichen Pariser Klimaschutzabkommen" bezeichnet.
Die Demonstration der Klimabewegung bedeutet auch eine Menge Arbeit für die Hamburger Polizei. Sie kann sich dieser Tage ohnehin nicht über zu wenig Aufgaben beklagen. Samstag das brisante Zweitliga-Stadtderby zwischen dem HSV und St. Pauli, am Sonntag die Wahl und am Vorabend erst war die Polizei mit einem Großaufgebot im Einsatz, weil Tausende nach dem Anschlag in Hanau mit elf Toten gegen Rassismus demonstrierten.
Schweigeminute für Opfer von Hanau
Die Tat ist auch Thema bei Fridays for Future. "Es wird mit uns keine Rückkehr zur Normalität geben", bekräftigten die Organisatoren. Ein Vertreter des kurdischen Dachverbandes Nav-Dem spricht auf der Demonstration. "Wir sind traurig, wir sind wütend", sagt Yavuz Feroglu, es gibt eine Schweigeminute für die Opfer. Die Polizei hat vor dem Hintergrund der Morde in Hanau ihre Präsenz "vorsorglich" hochgefahren, so Innensenator Andy Grote vorab, wegen der "erhöhten Gefahr rechtsterroristischer Anschläge". "Gerade in diesen Zeiten: Versammlungsgrundrecht nutzen und schützen!", schreibt der SPD-Politiker. Tatsächlich stehen rund um den Versammlungsort Dutzende Mannschafts- und Streifenwagen, um das Geschehen abzusichern – einer sogar mit Elektroantrieb.
Kurz nach 14 Uhr, der Beginn wurde letztlich um deutlich mehr als eine Stunde verschoben, startet dann die Kundgebung. Es ist voller geworden. Aus den wenigen hundert Teilnehmern sind einige tausend geworden.
Und dann ist sie da. Gegen 15.30 Uhr setzt sich der Demonstrationszug in Bewegung. Vorneweg, fast versteckt hinter einem Banner ("Save the Climate, save Hamburg"), Greta Thunberg mit weißer Strickmütze, umringt von Hamburger Fridays-for-Future-Aktivisten, darunter auch das Gesicht der Bewegung in Deutschland, Luisa Neubauer (lesen Sie hier im stern die jüngste Kolumne Neubauers).
20.000 Teilnehmer zählt die Polizei, die Veranstalter sprechen sogar von 60.000 in der Spitze. Sie ziehen einmal durch die Hamburger Innenstadt, vorbei an Rathaus und Alster. Mit unzähligen Plakaten ("Euch gehen die Argumente aus – uns die Zeit", "Darf es etwas weniger sein?" oder "Aufstand oder Aussterben") und Sprechchören ("What do we want? – Climate justice! When do we want it? Now!, "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Zukunft klaut!") machen die Demonstranten auf ihre Ziele aufmerksam. Kurios am Rande: In Rufweite der Fridays-for-Future-Veranstaltung hat es sogar eine Gegendemonstration gegeben – mitbekommen hat die niemand. "Nach Polizeiangaben war lediglich der Anmelder der Kundgebung aufgetaucht", notiert die "Hamburger Morgenpost".
Nach rund zwei Stunden sind die Klimaprotestler zurück an der Straßenkreuzung am Rande der Reeperbahn – werden empfangen von Musiker Mal Élevé. Aus den Boxen dröhnt "Wir haben keinen Planet!". Die Sonne geht unter und es kommt noch einmal so etwas wie Festivalstimmung auf und sorgt dafür, dass eine 17-Jährige wie ein Popstar empfangen wird, als sie die Bühne betritt. "Moin", sagt Greta ins Mikrofon und die Menge jubelt ihr zu. Rund zehn Minuten erzählt die Schwedin, wie glücklich sie ist, dass mit ihr so viele auf die Straße gehen, "in meiner 79. Schulstreikwoche". Sie kling gewohnt kämpferisch. "Wir sind es leid, außen vor gelassen zu werden, wir haben genug von leeren Phrasen" und: "Wie können die Mächtigen ihren Kindern noch in die Augen schauen, während sie deren Zukunft zerstören?" Doch: "Ihr seid die Hoffnung", ruft sie ihren Zuhörern entgegen und dann verschwindet sie auch schon. Ihr zweiter Auftritt bei einer Klimademo in Hamburg ist vorbei.
Und auch die ersten Teilnehmer machen sich nun auf den Weg nach Hause, die Kälte ist vielen über die Stunden in die Glieder gekrochen. Fridays for Future kann sich über ein Signal vor der Wahl in einer der Hochburgen der deutschen Klimabewegungen freuen: "Hamburg, du bist einzigartig." Nichts ist mehr zäh und trist am Rande der Reeperbahn – um 18 Uhr am Sonntag zeigt sich dann, was es gebracht hat.