Die “Süddeutsche” zeigt, wie man sich besser nicht verhält, wenn man beim Klauen erwischt wird
Eigentlich möchte man gar nichts mehr sagen oder schreiben über so ein schreckliches Attentat wie in Hanau. Trotzdem drei kleine Beobachtungen mit Medien-Bezug dazu:
1. Wie klein von Axel Springer, das “Übermedien”-Video zu wilden “Bild TV”-Spekulationen bei YouTube sperren zu lassen. Die Seite hat das Video freilich nach wie vor auf der eigenen Seite online.
.@axelspringer hat unseren Zusammenschnitt der nächtlichen @Bild-Spekuliererei bei Youtube gesperrt. Etwas Geduld, wir versuchen, es anders zu zeigen. #Hanau pic.twitter.com/hpSHKbclX3
— Übermedien (@uebermedien) February 20, 2020
Der Zusammenschnitt zeigt eindrücklich, warum hektisches Herumspekulieren nach solchen Ereignissen nichts bringt. Ja, es befriedigt noch nicht einmal irgendeine Form von Neugierde, denn jedem dürfte klar sein, dass hier noch keiner irgendwas weiß und alles, was da von Reportern erzählt, geglaubt und spekuliert wird, in wenigen Stunden oder Minuten schon Makulatur sein kann. Da hilft es auch nix, wenn die Reporter selbst in Dauerschleife betonen, dass sie nur spekulieren.
2. Peter Neumann hat als Terror-Experte mittlerweile eine Alles-Erklärer-Rolle in deutschen Medien. U.a. gab er seine Einschätzungen zu Hanau im “heute journal” und im “Morning Briefing”-Podcast ab. Sehr interessant ist dieses – schon ein paar Tage ältere – Interview, das er dem österreichischen Magazin “Falter” gab (“Pratzen weg von der Tastatur!”). Darin sagt Neumann u.a. dass er in den zwei Stunden nach einem Anschlag 200 bis 300 Anrufe von Medien mit der Bitte um Einschätzung bekommt. Wahnsinn. Neumann weiter: “Meiner Erfahrung nach sind gefühlt 80 Prozent der Information, die in der ersten Stunde zirkulieren, besonders in sozialen Medien, falsch.” S.o.
3. Worte werden in Extremsituationen extrem genau bewertet. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fing sich Kritik ein, weil sie in einem Tweet den Anschlag als “Tragödie” bezeichnete.
Ihr Social-Media-Team entschuldigte sich später in ungelenkem Deutsch für den Fauxpas. Ex-Vize-Kanzler Sigmar Gabriel bekam ebenfalls Gegenwind, weil er einen Doppel-Tweet zum Thema Hanau mit einer Kritik an “linken Chaoten” eröffnete, um erst in einem nachgeschobenen Tweet “rechte Brandstifter und ihre Hintermänner” zu kritisieren.
Hier der zweite Tweet von Gabriel zum Thema Hanau:
Doppelt ungeschickt: Erstens ist es bei einem derartig folgenschweren Anschlag mindestens (!) unsensibel mit einer Schelte gegen linke Mülltonnen-Umwerfer zu beginnen. Zweitens hätte er mit einem kurzen “1/2”-Hinweis deutlich machen können, dass hier noch ein Tweet dazugehört. Beide Beispiele verdeutlichen mal wieder gewisse Defizite der politischen Elite im Umgang mit den sozialen Medien.
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Zurück ins Kleinklein der Medien-Animositäten. Das “Katapult”-Magazin hat sich mit originellen und häufig erhellenden Info-Grafiken ein echtes Alleinstellungsmerkmal erarbeitet. Das blieb auch der “Süddeutschen Zeitung” nicht verborgen. Für die Rubrik “Unterm Strich” der Wochenendausgabe ließ sich die “SZ” für einige Ausgaben von der Rubrik “Trock’ne Zahlen” des “Katapult”-Magazin “inspirieren”, wie der zuständige “SZ”-Redakteur “Katapult”-Chefredakteur Benjamin Fredrich auf Nachfrage mitteilte. “Inspirieren” ist gut. “Katapult” wählte die treffendere Formulierung: “Die Süddeutsche klaut systematisch von Katapult“. In mindestens sechs Fällen hat die “SZ” Info-Grafik-Ideen von “Katapult” eins zu eins übernommen. Die “SZ” bot “Katapult” zunächst “großzügig” an, doch auch mal für sie eine Infografik machen zu können. Nachdem der Vorfall in den sozialen Medien hochkochte, entschloss sich die “SZ” dazu, die Rubrik “Unterm Strich” doch lieber einzustampfen. Eine aufrichtige, schnelle Entschuldigung und künftiges Selberdenken hätten es womöglich auch getan. Das Einstellen der Rubrik ist aber natürlich weniger anstrengend.
Beachten Sie bitte folgende Stellungnahme dazu: pic.twitter.com/eAyU2Z4Hmj
— Süddeutsche Zeitung (@SZ) February 17, 2020
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Diese Woche gab es recht interessante Zahlen zum Podcast-Trend vom Hoster Podigee und der Plattform zebra-audio.net. Dabei kam u.a. heraus, dass Spotify als Podcast-Abspielplattform gegenüber dem früher super-dominanten iTunes von Apple mächtig aufgeholt hat. Der Report schaffte es sogar ins tolle NiemanLab. Dort beäugte man vor allem, dass bei Spotify eher Podcasts aus der Kategorie “Comedy” konsumiert werden, während bei Apple “News”-Podcasts die Nase vorn haben. Der NiemanLab-Autor analysiert, dass das daran liegen könne, dass Nutzer bei Spotify sowieso auf Unterhaltung und Zerstreuung eingestellt seien und daher auch die seichtere Podcast-Kost bevorzugen würden. Ich frage mich, ob das nicht ein Denkfehler ist. Die beiden erfolgreichsten deutschen Spotify-Podcasts “Fest & Flauschig” (Böhmermann & Schulz) sowie “Gemischtes Hack” sind beide aus der Kategorie “Comedy”. Die beiden Produktionen gehören sogar zu den meist gehörten Spotify-Podcasts weltweit. Da es sich dabei aber um exklusive Spotify-Produktionen handelt, fließen diese bei einer Betrachtung von Podcasts auf Apples iTunes-Plattform natürlich nicht mit ein. Das macht einen Vergleich der Kategorien von Plattform zu Plattform ziemlich sinnlos.
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Zum Schluss noch was fürs Herz. Relotius-Enthüller Juan Moreno wurde vom “Medium Magazin” als Journalist des Jahres ausgezeichnet, und zwar völlig zu recht. Moreno hielt als Dankesrede ein bemerkenswertes Plädoyer für den Beruf des Journalisten und das “Trotzdem”. Außerdem machte er seiner Frau von der Bühne herunter eine wirklich wunderbare Liebeserklärung.
Schönes Wochenende!
PS: In der aktuellen Ausgabe unseres Podcasts “Die Medien-Woche” diskutiere ich mit meinem Kollegen Christian Meier von der “Welt” den seltsamen Auftritt des Verleger-Ehepaares Friedrich beim “Freitag Salon” in Berlin. Außerdem sprechen wir über die anstehende Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Ich freue mich, wenn Sie reinhören! Die “Medien-Woche” und diese Kolumne pausieren kommende Woche urlaubsbedingt. Wir hören/lesen uns in zwei Wochen wieder. Hoffentlich!