Aline Focken: Ein zweites Abschiedsjahr
Aline Focken: Ein zweites Abschiedsjahr
Als diskutiert wurde, ob die Olympischen Spiele um ein oder gar um zwei Jahre verschoben werden, war ich zunächst einmal extrem geschockt. Nach Tokio 2020 wollte ich eigentlich meine Karriere beenden. Nochmal zwei Jahre weiterzumachen, war für mich aus privaten Gründen unvorstellbar. Umso erleichterter war ich, als die Entscheidung dann auf 2021 fiel. Zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits entschieden, um ein Jahr zu verlängern. Plötzlich konnte ich positive Aspekte in der Verschiebung sehen. Denn jetzt habe ich nochmal länger Zeit, mich vorzubereiten und mich weiterzuentwickeln. Da ich noch nicht so lange in meiner neuen Gewichtsklasse kämpfe, kann ich auch nach 20 Jahren Hochleistungsringen jeden Tag viel dazulernen. Ich habe also die neue Situation relativ schnell als Chance begriffen – und irgendwie finde ich es auch cool, ein zweites Abschiedsjahr zu bekommen.
Ich bin jemand, der noch immer super gerne zum Training geht, ich bin gerne mit meiner Mannschaft zusammen, ich liebe das Reisen. Ringen ist zwar super hart, aber es gibt mir einfach auch so viel. Ich liebe meinen Sport von ganzem Herzen und es wird mir extrem schwerfallen, meine Karriere zu beenden. Gleichzeitig ist es mir aber auch wichtig, das Ende selbst zu bestimmen. Ich will aufhören, solange es mir noch richtig Spaß macht und mich erfüllt. Wenn im nächsten Jahr der Tag X kommt, wird das schon sehr hart für mich sein. Aber auf der anderen Seite warten einfach auch noch andere Dinge im Leben. Das wurde mir auch nochmal in der Coronazeit bewusst. Abende einfach nur zuhause zu sein, war so schön und so besonders, das kenne ich sonst gar nicht.
Deshalb muss ich gestehen, dass ich auch ein bisschen „Angst“ hatte, nach dem Lockdown wieder in den Alltag zurückzukehren. Denn der ist echt stressig. Normalerweise stehe ich morgens um 6 Uhr auf und komme um 23 Uhr abends nach Hause, wo ich direkt ins Bett falle. Eng getaktet zwischen Training, Physio und meinem Job als Gesundheitsmanagerin, ständig mit dem Blick auf die Uhr. Als das wegen Corona ausgesetzt war, merkte ich, wie schön das Leben mit ein bisschen mehr Freizeit sein kann. Aber diese Phase habe ich auch relativ schnell überwunden und jetzt wieder das Ziel vor Augen, die olympische Medaille zu gewinnen, die mir in meiner Sammlung noch fehlt.
Die Entscheidung, ein weiteres Jahr dranzuhängen, ist aber auch von finanziellen Möglichkeiten abhängig. Bislang arbeite ich auf einer 30-Prozentstelle, davon kann man erstmal nicht so gut leben, zumal ich die Stunden in der Olympiavorbereitung auch noch weiter runtergeschraubt habe. Deshalb habe ich nach der Verschiebung auch direkt Kontakt zu meinen Sponsoren und Ausrüstern aufgenommen, da alle Verträge auf den 30. August ausgelegt waren. Das Feedback, das ich bekam, war rundum positiv. Alle sagten mir, obwohl sie aktuell natürlich auch unter der wirtschaftlichen Lage leiden, direkt zu, mich weiter zu unterstützen. Das Wichtigste war aber die Nachricht von der Sporthilfe, weil die Unterstützung über die ElitePlus-Förderung aktuell mein Haupteinkommen ist.
Als klar war, dass ich ein weiteres Jahr finanzieren kann, hatte der Schockzustand ein Ende und ich dachte: Okay, super cool, jetzt kannst Du Dich nochmal ein ganzes Jahr lang darüber freuen, Athletin zu sein.
Quelle: Go!d – Das Magazin der Deutschen Sporthilfe (Ausgabe 02-2020)