Neidenstein: Ungewisse Perspektive trotz Ausbildung
Von Berthold Jürriens
Neidenstein. Harjit Singh lächelt oft. Sei es, wenn man ihm und seiner Familie im Burgdorf begegnet oder wenn er seiner Arbeit im Waibstadter Johanniter-Haus nachgeht. Und auch beim Gespräch mit der RNZ in seinem Zuhause.
"Wir fühlen uns sehr wohl hier. Alle sind freundlich und grüßen uns", erzählt er in gutem Deutsch. Die Teilnahme an Sprachkursen, zeitweise selbst bezahlt, und einen Job zu haben, seien für ihn als Flüchtling wichtige Voraussetzungen gewesen, um in einem fremden Land Fuß zu fassen. Ein Laptop und Fachbücher liegen auf dem Tisch. "Homeschooling" war wegen Corona auch bei Singh angesagt, der die Albert-Schweitzer-Schule besucht und eine Ausbildung zum Altenpfleger absolviert. Wasser und Tee werden angeboten. Gastfreundschaft von einer Familie, die schon längst hierher gehört, deren Kinder Vater und Mutter auf Deutsch begrüßen, eine lächelnde Frau, deren Tapferkeit man nach ihren Fluchterlebnissen in schwangerem Zustand aus Indien nur bewundern kann.
Dabei sind Singh, seine Ehefrau Kaur Sanam Preet und seine zwei in Deutschland geborenen Kinder eigentlich Gestrandete, gefangen in einer Grauzone. Als "Geduldete" mit einer "Bescheinigung für die Aussetzung einer Abschiebung" sollen sie nicht ankommen, aber müssen auch nicht gehen. Doch die Angst, eines Tages in das Land zurückkehren zu müssen, in dem sie Folter und unmenschliche Behandlungen erfahren haben, ist ihr ständiger Begleiter.
Die zehnseitige Begründung zur Ablehnung der Asylanträge ist auch für Anke Eigenmann schwer nachvollziehbar. "Die Sachbearbeiter der Behörde haben falsche Vorstellungen, wenn sie dem Ehepaar vorwerfen, dass sie innerhalb Indiens in ein anderes indisches Bundesland hätten fliehen können." Die Neidensteinerin begleitet als Patin seit fünf Jahren die Familie und hat sich von Beginn an für viele Flüchtlinge in der Region engagiert.
Laut Ablehnungsbescheid drohe der Familie "in ihrem Heimatland keine individuelle Gefahr für Leib und Leben." Dabei seien alle vorgebrachten Argumente widerlegt und auch die Beweise, Fotos und der Polizeibericht als nicht relevant bezeichnet worden, ist Eigenmann verwundert.
Dabei hört sich das Lob für "Mr. Singh", wie ihn einige Bewohnerinnen und Bewohner des Johanniter-Hauses gerne ansprechen, durch den Mund der Pflegedienstleitung Ute Leder viel schöner an: "Harjit ist ein echter Glücksfall für uns." Sie kennt Details seiner dramatischen Familiengeschichte, die mit Gefangenschaft, Folter, Flucht und ständigem Verstecken im nordindischen Bundesstaat Punjab vor einigen Jahren begann. "Im Januar 2017 hat er hier ein Praktikum und anschließend eine Ausbildung als Altenpflegehelfer absolviert." Sie prophezeit dem "empathischen und herzlichen" 38-Jährigen eine Zukunft als "exzellente Fachkraft", wenn er sich 2022 Altenpfleger nennen darf und bei den Johannitern weiterhin tätig sein dürfte, denn in der Pflege werden geeignete Leute dringend gesucht.
Doch trotz dieser guten Aussichten für Singh schwebt die "Duldung" wie ein Damokles-Schwert über den Köpfen der Familie. "Ich habe eine Ausbildungsduldung bekommen, aber meine Frau und die Kinder haben nur eine einfache Duldung erhalten." Während er mindestens bis zum Ende seiner Ausbildung bleiben kann und nach erfolgreichem Abschluss weitere zwei Jahre in seinem Beruf in Deutschland arbeiten darf, muss der Rest der Familie alle drei Monate seine Duldung verlängern lassen. "Es bleibt immer eine Ungewissheit", sorgt sich Singh, der 2016 nach Neidenstein kam und dort mithilfe von Eigenmann eine erste eigene kleine Wohnung mieten konnte.
"Anke und ihr Mann sind so etwas wie Familie geworden. Ohne sie würde ich hier nicht so leben und arbeiten." Sie leihen ihm sogar ein Auto, weil er zwar einen Führerschein hat, aber aufgrund des fehlenden Ausweisdokumentes keine Zulassung beantragen kann.
Geflüchtete haben eine Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung ihrer Papiere. Doch trotz großer Eigeninitiative des Ehepaares mit Recherchen in Indien und Thailand, wo Singh eine Ausbildung als Hotelfachmann absolviert hatte, konnte kein entsprechendes Dokument gefunden werden, erzählt Eigenmann. Die Mitwirkungspflicht sei wichtig, denn wenn ein Geduldeter seine Identität unverschuldet nicht klären kann, liege es im Ermessen der Behörde eine Ausbildungsduldung zu erteilen. Besonders fehlen Singh seine Eltern, die ihre Enkel noch nie in den Arm nehmen konnten und auch unter Verfolgung im eigenen Land leiden mussten. "Wir telefonieren, aber ein Wiedersehen ist mein größter Wunsch", sagt er mit einem hoffnungsvollen Lächeln.