Woher kommt die Gewalt?: "Absoluter, negativer Höhepunkt" – Krawallnacht erschüttert Frankfurt am Main
Gegen drei Uhr eskalierte die Gewalt am Opernplatz in Frankfurt am Main nach einer bis dahin weitgehend friedlichen Partynacht: Kriminelle warfen Flaschen auf Polizisten – unter dem Gejohle Umstehender. Die Polizei nahm fast 40 Menschen fest. Nun beginnt die Ursachenforschung.
Von einem "absoluten, negativen Höhepunkt" der vergangenen Wochen sprach Gerhard Bareswill, der Polizeipräsident von Frankfurt am Main, auf einer Pressekonferenz am Sonntagmittag nach den Ereignissen der Samstagnacht auf dem Opernplatz im Zentrum der Bankenmetropole.
Dort ist nach Schilderungen der Polizei ein zunächst friedliches Zusammensein von rund 3000 Menschen eskaliert und in Gewalt umgeschlagen, begonnen habe es gegen 1 Uhr mit "kleineren Streitigkeiten". "Gegen 3 Uhr gab es eine größere Schlägerei von circa 25 bis 30 Personen, die am dortigen Brunnen aufeinander losgegangen sind", schilderte Bareswill den Auslöser der Krawalle. Zu diesem Zeitpunkt seien noch schätzungsweise 500 bis 800 Personen am Opernplatz gewesen.
Festnahmen nach Krawallen in Frankfurt
Etwa zehn Polizeibeamte seien eingeschritten, um den Streit zu schlichten und einem Verletzten zu helfen. "Dann hat sich die Situation verändert – und zwar gegen uns richtend. Die Teilnehmer der Schlägerei wandten sich ganz offen und direkt gegen die einschreitenden Polizeibeamten und bewarfen die Kollegen massiv mit Flaschen", berichtete der Polizeipräsident. Weitere Personen hätten sich angeschlossen und ebenfalls mit Flaschenwürfen gegen die Beamten begonnen – unter dem Gejohle und dem Beifall der umstehenden Personen, unter anderem sei die Parole "ACAB" (All Cops are Bastards) skandiert worden. Mehrere Videos, die in den sozialen Netzwerken verbreitet und vom sternverifiziert wurden, belegen dies. Die Beamten hätten sich unter dem Eindruck der Angriffe zum Eigenschutz zunächst zurückgezogen und Verstärkung angefordert.
Auch diese Einsatzkräfte seien schon bei der Anfahrt auf den Opernplatz mit beworfen worden, es habe einen "Hagel von Flaschenwürfen" gegeben, so Bareswill. Beamte hätten sich mit Schilden schützen müssen. Letztendlich sei es der Polizei jedoch gelungen, die rund 500 Menschen vom Opernplatz abzudrängen und in einer Seitenstraße festzusetzen. Gegen 5.30 Uhr sei Ruhe eingekehrt.
Dort seien 39 Personen festgenommen worden, die als Flaschenwerfer identifziert werden konnten. Bei ihnen handele es sich um "überwiegend junge Männer im Alter von 17 bis 21 Jahren", neun von ihnen wohnten in Frankfurt, die übrigen kämen aus der näheren und weiteren Umgebung, zum Beispiel aus Heidelberg, Hanau oder Offenbach. Ob die Verdächtigen bereits polizeibekannt sind, war am Sonntagmittag noch unklar.
Acht der Festgenommenen befanden sich zunächst weiterhin im Polizeigewahrsam, die Staatsanwaltschaft prüft, ob sie wegen des Vorwurfs des schweren Landfriedensbruchs Haftbefehl gegen sie beantragt. Die übrigen Verdächtigen sind wieder auf freiem Fuß.
PAID Polizei diskriminiert 1450
Die weitere Bilanz des Abends: Laut Bareswill wurden fünf Polizisten durch Schürfwunden und Prellungen verletzt, an mehreren Polizeifahrzeugen entstand ein Sachschaden in vierstelliger Höhe, ein Buswartehäuschen wurde nahezu komplett zerstört.
Alkohol und "Vorwurfslagen" als Ursachen?
Erst Stuttgart, nun Frankfurt – und wieder steht die Frage im Raum, warum die Stimmung derart umgeschlagen ist. Seit Wochen beobachte die Polizei in Frankfurt an vielen Orten der Stadt Open-Air-Partys, berichtete Bareswill. In der Nacht zum Sonntag hätten sich an verschiedenen Plätzen bis zu 6000 Menschen versammelt – "friedlich, ohne Probleme, mit guter Grundstimmung". Ausnahme: der Opernplatz.
Dort machte der Polizeipräsident zweierlei als Ursache für die Gewalt aus: Zum einen "alkoholbedingte Enthemmungen", zum anderen befeuerten die "aufgeheizten undifferenzierten Vorwurfslagen" gegenüber der Polizei die Eskalation, sagte Bareswill und meinte damit die Diskussionen der vergangenen Wochen über Rassismus, Rechtsextremismus und Gewaltausübung in und durch die Sicherheitsbehörden. Belege für einen solchen Zusammenhang lieferte der Polizeipräsident am Sonntag jedoch nicht.
Auch die Frankfurter Polizei muss sich in diesen Fragen schon seit längerem Kritik gefallen lassen. Immer wieder gibt es Berichte über verdachtsunabhängige Kontrollen, die sich angeblich vorwiegend gegen vermeintlich fremd aussehende Menschen richten (sogenanntes Racial Profiling), unter anderem im Bahnhofsviertel. Auch ist die Rolle von hessischen Polizeibeamten im NSU-2.0-Drohschreibenskandal noch weitgehend ungeklärt. In den vergangenen Jahren gingen zahlreiche offenkundig rechtsextremistisch motivierte Drohschreiben bei Personen des öffentlichen Lebens ein, nachdem einige derer Adressen zuvor von Polizeicomputern in Frankfurt und Wiesbaden abgerufen wurden.
"Das Verhalten der Randalierer ist absolut inakzeptabel"
Der Bielefelder Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer sagte zu den Krawallen in Stuttgart kürzlich dem stern: "Man muss diese Gewalt und die Abwertung gegenüber der Polizei sehr ernst nehmen. Aber zugleich ist der geforderte Respekt gegenüber der Polizei keine Einbahnstraße, er muss gegenseitig sein. Wir wissen, dass es auch in Deutschland verbotenes 'Racial Profiling' gibt." – "Diffuse Legitimationen, nach dem Motto, die deutsche Polizei ist rassistisch, per toto das ist natürlich Unsinn", ergänzte er. Es gehe um komplexe Gruppendynamiken. Wie solche Exzesse zu verhindern seien, sei jedoch "eine Hunderttausend-Dollarfrage".
Studie zu "Racial Profiling" bei Polizei kommt doch nicht 18.04hGenau mit dieser Frage wollen sich am Montagvormittag Polizei und Stadtverwaltung in Frankfurt befassen. Sie kommen im Römer zu einer Sicherheitskonferenz zusammen. Oberbürgermeister Peter Feldmann kündigte bereits erste Schritte an: "Die Beteiligten müssen umgehend zur Rechenschaft gezogen werden. Auch müssen wir die Polizeipräsenz an solchen Hotspots erhöhen." Feldmann äußerte sich bestürzt zu den Ereignissen der Nacht. "Ich verurteile die Angriffe auf unsere Beamtinnen und Beamten aufs Schärfste. Das Verhalten der Randalierer ist absolut inakzeptabel."
Erst Stuttgart, nun Frankfurt – es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich die Debatte der kommenden Tage vorzustellen. Einfache Antworten werden nicht reichen, um das Geschehene zu ergründen.
Die Frankfurter Polizei sucht zur Aufklärung des Ereignisse in der Nacht zu Sonntag Zeugen. Sie werden gebeten, sich an den Kriminaldauerdienst unter der Telefonnummer (069) 75553110 zu werden. Zum Upload von Foto- oder Videoaufnahmen von den Ausschreitungen hat die Polizei ein Hinweisportal freigeschaltet.