Heidelberg-Bergheim: SPD-Landeschef hilft zwei Stunden beim Imbiss "Neckar" aus
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Von Timo Frahm
Heidelberg. Das erlebt der Bergheimer sicherlich nicht alle Tage: Beim Besuch seines Lieblings-Döner-Imbisses um die Ecke konnte es ihm am Dienstag passieren, dass er vom ehemaligen baden-württembergischen Kultusminister Andreas Stoch bedient wird. Denn der SPD-Landeschef half im Rahmen seiner Groß-Aktion "Stoch packt’s an" im Restaurant "Neckar" direkt gegenüber vom Campus Bergheim ordentlich mit.
"Ich mache diese Aktionen bereits seit über einem Jahr", erklärt der 50-jährige Stoch. "Angefangen habe ich mit Berufen, die eine aktuelle politische Brisanz haben. Zum Beispiel Altenpflege." Aber dabei blieb es nicht. Im Laufe des letzten Jahres war er unter anderem schon Bademeister, Schornsteinfeger und Bodenseefischer. Der ehemalige Rechtsanwalt wolle dadurch die Lebensrealitäten und Arbeitsbedingungen in diesen Berufen kennenlernen.
Auf den Döner-Imbiss "Neckar" kam Stoch durch einen Zufall: Das Parteibüro der Heidelberger SPD liegt ein paar Meter die Straße runter. "Der Bundestagsabgeordnete Lothar Binding und seine Mitarbeitern sind hier Stammgäste", berichtet Mustafa Göksungur, Inhaber des Restaurants. "Eines Tages fragte mich einer der Mitarbeitenden, ob Herr Stoch hier mal zwei Stunden arbeiten darf." Und Stoch durfte – und machte es sehr gerne. "Als Politiker trifft man so viele Entscheidungen über die Leben anderer Menschen, die man nicht einmal kennt", erklärt Stoch, der seit über einem Jahrzehnt im Landtag sitzt. "Ich habe bei politischen Entscheidungen einfach ein besseres Gefühl, wenn ich weiß, wie sich diese Entscheidungen ganz konkret auf den Alltag von arbeitenden Menschen auswirken."
Er wolle keine Themen verdrängen, nur weil er von ihnen selbst nicht betroffen sei. Damit adressiert er ein lange bestehendes Problem in Deutschland: die mangelnde Repräsentation von Nicht-Akademikern. Viele Abgeordnete im baden-württembergischen Landtag haben studiert – ihr Anteil im Landesparlament ist höher als in der Gesellschaft. "Die politischen Entscheidungsebenen sollten aber die Gesellschaft widerspiegeln", beklagt Stoch, selbst studierter Jurist. "Der Weg in die Parlamente führt nun mal durch die Parteien. Da haben theoretisch alle – egal, ob Akademiker oder nicht – die gleichen Chancen. Aber praktisch sieht es offensichtlich anders aus."
Auch deshalb bemühe er sich um einen Perspektivwechsel und besuche bewusst Menschen in nicht-akademischen Berufen. "Ich spüre ihre Arbeitsbedingungen am eigenen Leib und lerne dabei sehr viel – heute zum Beispiel, wie man das Fleisch vom Dönerspieß runterkriegt", sagt Stoch schmunzelnd. "Aber natürlich nicht nur das. Inhaber Göksungur erzählte mir auch von seinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Corona-Krise."
Die waren laut Göksungur sehr drastisch. "Ich hatte einmal acht Mitarbeitende. Heute habe ich drei." Der gebürtige Türke, der seit 30 Jahren in Deutschland lebt, berichtet von seinen Problemen bei der Kreditaufnahme und dem Einhalten der Hygienevorschriften: "Es ist der reinste Zirkus. Aber das Geld reicht trotzdem vorne und hinten nicht. Alle meine sonstigen Stammkunden – von der umliegenden Universität, der Polizeibehörde und den Stadtwerken – sind jetzt im Home Office."
Auch um Göksungurs sehr unmittelbaren Existenzsorgen zuzuhören, kam Andreas Stoch nach Heidelberg. "An Politiker wird oft die Erwartung gestellt, dass sie Fachmänner für alles sind. Das ist zwar leider unrealistisch, aber man sollte niemals den Ehrgeiz verlieren, etwas dazuzulernen." Stoch genießt seinen Döner übrigens am liebsten mit allem und scharf.