Weniger Ausbildungsplätze: Droht die "Generation Corona"?
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Wiesbaden/Mannheim. (dpa/RNZ) Auf dem deutschen Arbeitsmarkt verliert die duale Ausbildung weiter an Anziehungskraft. Ähnlich wie die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 droht auch in der Corona-Rezession eine weitere Verschärfung der Situation. Nach jüngsten Zahlen der Arbeitsagentur gab es Ende Juli gut acht Prozent weniger neue Ausbildungsplätze (499.000) sowie in ähnlicher Größenordnung auch weniger Bewerber (knapp 440.000) für eine Lehrstelle. Um eine "Generation Corona" und einen anschließenden Fachkräftemangel zu verhindern, versuchen Betriebe, Gewerkschaften und Agentur mit einem Ausbildungspakt gegenzusteuern.
Der Ökonom und IAB-Direktor Bernd Fitzenberger zieht den Krisenvergleich und warnt: "Im Jahr 2009 sank die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge um acht Prozent gegenüber dem Vorjahr, und zwischen 2008 und 2010 ging die Anzahl der ausbildenden Betriebe um fünf Prozent zurück. Dieser Rückgang wurde danach nie wieder aufgeholt."
Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Rhein-Neckar hat bis Ende Juli 2722 neue Ausbildungsverträge eingetragen. Das sind 16,6 Prozent weniger als im Vorjahr, also sogar mehr als im Bundesschnitt. Der Rückgang ist laut IHK hauptsächlich auf die Corona-Krise zurückzuführen. "Sie hat Auswahlverfahren erschwert oder unmöglich gemacht. Daher holen viele Unternehmen Einstellungen nach. Die IHK rechnet daher damit, dass bis in den Herbst hinein noch etliche Ausbildungsverträge abgeschlossen werden", teilte die Kammer in Mannheim mit.
Bei der Bewerberauswahl setzten viele Unternehmen nach wie vor auf den persönlichen Eindruck. "Während des Lockdown war es aber nicht wie sonst möglich, Vorstellungsgespräche zu führen. Auch die Jugendlichen sind in ihrer Berufswahlentscheidung beeinträchtigt, da Beratungsgespräche, Ausbildungsmessen und Speed-Datings größtenteils ausgefallen sind. Viele Ausbildungsplätze konnten daher noch nicht besetzt werden", beschreibt Jürgen Mohrhardt, Bereichsleiter gewerblich-technische Berufsausbildung bei der IHK Rhein-Neckar, die Situation.
Das Statistische Bundesamt bemerkt am Mittwoch zur Vorstellung der Ausbildungsstatistik 2019: "In vielen Betrieben fehlte der Nachwuchs schon vor der Krise." Vor allem in der Gastronomie sind die Zahlen der neuen Ausbildungsverträge seit Jahren auch ohne Corona rückläufig, immer weniger junge Menschen wollten beispielsweise Koch oder Fachfrau für Systemgastronomie werden. Diese beiden Berufe verzeichnen seit 2010 einen Rückgang bei den Anfängerzahlen um 45,3 Prozent beziehungsweise 40,8 Prozent.
Dass die Gastro-Branche gemeinsam mit dem Handel am härtesten vom Corona-Schock getroffen wird, macht die Aussichten für junge Menschen in diesen Berufen nicht besser. DGB-Chef Reiner Hoffmann sieht zusätzliche Gründe für Nachwuchsprobleme: "Junge Frauen und Männer machen offensichtlich einen großen Bogen um die Branchen, die für ihre schlechte Ausbildungsqualität bekannt sind. Hohe Abbrecherquoten, ein raues Arbeitsklima und dürftige Perspektiven nach der Ausbildung – wer so was bietet, darf sich über zunehmende Probleme, Fachkräfte zu finden, nicht wundern", betonte der Gewerkschafter in Berlin.
Nach einem kleinen Zwischenhoch ist im vergangenen Jahr auch die Gesamtzahl der Ausbildungsanfänger wieder gesunken. Mit 513.300 Menschen ging die Zahl im Vergleich zu 2018 um 1,6 Prozent zurück, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Weniger waren es nur 2016 mit knapp 510.000.