Weinheim: Gegendemonstranten fordern "mitdenken statt Querdenken"
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Von Philipp Weber
Weinheim. Räumlich trennt die beiden Kundgebungen nur ein Stück Wiese. Inhaltlich könnten die Protestaktionen kaum weiter voneinander entfernt sein. Es ist Sonntagnachmittag, 15.15 Uhr. Nach Polizeiangaben haben sich rund 120 Menschen auf dem Rasen vor dem früheren Schlossparkrestaurant versammelt. Einige tragen Schilder. Darauf steht zu lesen: "Mitdenken statt Querdenken" oder "Populismus tötet, Solidarität schützt". Die Empörung ist groß.
"Weinheim ist eine geile Stadt mit geilen Leuten, aber die ,Querdenker’ sind leider überhaupt nicht geil", spricht Elias Furlan ins Mikrofon. Es ist der Beginn eines couragierten Auftritts. Der junge Mann vertritt den Weinheimer Jugendgemeinderat, der kurzfristig zu der Gegendemonstration aufgerufen hat. Das überparteiliche Bündnis "Weinheim bleibt bunt" hat sich angeschlossen, die Grünen noch mal für sich allein. Praktisch alle großen Ratsfraktionen sind vertreten vor der alten Restaurant-Terrasse. Mit vereinten Kräften wehren sie sich gegen die "Querdenker", die an diesem Sonntag erneut im Schlosspark demonstrieren. Die Gegner der Corona-Maßnahmen in Bund und Land haben sich – wie mittlerweile jeden Sonntag – auf der großen Wiese im Park niedergelassen. Dieses Mal sind außergewöhnlich viele gekommen, die Stellplätze und Straßen um den Park sind ziemlich zugeparkt. Ihre Zahl schätzt die Polizei zunächst auf 200, später wird nachgezählt und nach oben korrigiert: auf 270.
Doch nicht allein die Zahl der"Querdenker"-Sympathisanten, alarmiert weite Teile des politischen Weinheims. Es ist einer der Hauptredner auf der "Querdenken"-Demo: Heinrich Fiechtner. Er war 2016 über die AfD in den Landtag eingezogen. Inzwischen ist er parteilos. Kritiker werfen ihm vor, prominente Politiker aufs Übelste beleidigt, Landtagspräsidentin Muhterem Arras verunglimpft und sich verächtlich über die demokratische Verfasstheit des Landes geäußert zu haben. Landtagsabgeordneter Uli Sckerl (Grüne) kann als zweiter Redner davon berichteten. Doch zunächst ist Elias Furlan dran.
Die "Querdenker" gäben sich gern unpolitisch, sagt er: Doch sie protestierten Seite an Seite mit Rechtsextremen. Fiechtner sei nicht das einzige Beispiel, erinnert er an Figuren wie den Pressesprecher von "Querdenken711" in Stuttgart, Stephan Bergmann. Dieser soll vor einer "Vermischung der Rassen" gewarnt haben. Unter dem Applaus der Gegendemonstranten fordert Elias Furlan "null Toleranz" gegenüber derartigen Aktivisten und denen, die sie einladen. Das Schweigen und Wegschauen müsse ein Ende haben, fordert er – und meint offenbar nicht zuletzt die Weinheimer Stadtgesellschaft.
Ein Demonstrant aus Großsachsen pflichtet ihm bei. "Ich finde es wichtig, dass wir der Öffentlichkeit zeigen, dass es nicht allein ,Querdenker’ gibt", sagt Einhard Büscher, der im Schatten am Rand der Wiese niedergelassen hat. Die Bundesrepublik Deutschland sei bisher gut durch die Krise gekommen – und zwar nicht durch "Querdenken", sondern durch gezielte Schutzmaßnahmen, die Wissenschaftler mit Fakten untermauert haben, findet der Teilnehmer der Gegendemo. Proteste wie die der "Querdenker" seien dadurch überhaupt erst möglich.
Das dürfte auch Landtagsabgeordneter Sckerl unterschreiben. Er spricht dem Jugendgemeinderat seinen "Riesendank" aus. Das Gremium habe aufgerüttelt. Sich angesichts der Pandemielage Sorgen zu machen, sei verständlich, nimmt er am Megafon rhetorisch Anlauf. Doch die "Querdenker" stellten keine ernsthaften Fragen, sondern verbreiteten Verschwörungstheorien mit oftmals antisemitischem Hintergrund. Leider seien viele bereit, sich diesen Gedankenkonstrukten zu öffnen. Die Strippenzieher im Hintergrund hätten sich von Anfang an nicht unpolitisch verhalten, so der Grüne. Sein Beispiel: Ken Jebsen. Der Youtuber, dem Kritiker Antisemitismus vorwerfen, war schon im Frühjahr auf dem Stuttgarter Festgelände Cannstatter Wasen aufgetreten. Ebenfalls bei einer Demo gegen die Corona-Politik. Fiechtner wird von Sckerl als "chronischer Corona-Leugner", "Trittbrettfahrer" und Demokratieverächter eingeordnet: "Querdenken" ermögliche es solchen Menschen, Fuß zu fassen.
Selbstverständlich dürfe jeder demonstrieren, auch gegen die Corona-Maßnahmen: "Aber wir ziehen einen Trennstrich, wenn gegen den demokratisch verfassten Staat und Minderheiten gehetzt wird", ruft Sckerl. Er stelle sich zudem gegen diejenigen, die in der Pandemie keine Rücksicht auf Alte oder Behinderte nehmen. Als wieder Musik erklingt, nimmt sich Adalbert Knapp Zeit für ein Gespräch mit der RNZ. "Wenn man sieht, wer alles auf der anderen Demo dabei ist, dürfte klar sein, wohin die Reise geht", so der frühere Vorsitzende der Bürgerstiftung Weinheim: "Wehret den Anfängen, die keine mehr sind."