Duale Hochschule Mosbach: Was lernt die Lehre aus der Pandemie?
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Von Heiko Schattauer
Mosbach. Auf dem Campus ist es still, das weitläufige Areal der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Mosbach ist weitgehend menschenleer. Seit April ruht die meiste Zeit der Präsenzunterricht, selbst die Erstsemester unter den rund 3000 Studenten müssen ihre ersten Hochschulerfahrungen derzeit online sammeln. Klar, dass man sich da an der Bildungseinrichtung intensiv Gedanken macht über Online-Lehre, ihre Möglichkeiten und Grenzen, ihre Wirkung auf Dozenten und Studierende.
Prof. Dr. Dirk Saller hat sich schon vor der Pandemie mit dem Thema beschäftigt, eine seiner Studien zu Beginn des ersten Corona-Lockdowns fand zuletzt sogar international Beachtung. Im RNZ-Gespräch spannt der Studiengangsleiter für Angewandte Informatik auch den Bogen von der Hoch- bis zur Grundschule.
Eine Studie der Dualen Hochschule zur Online-Lehre in Zeiten der Corona-Pandemie hat zuletzt große Beachtung gefunden. An dieser Studie waren auch Sie maßgeblich beteiligt. Erklären Sie doch mal in aller Kürze: Um was genau ging es dabei?
Die Studie erfolgte im Zeitraum Anfang April bis Mai 2020 zusammen mit den DHBW-Professorinnen Sabine Möbs und Kay Berkling aus Heidenheim und Karlsruhe sowie Professoren der Universitäten Cosenza und Florenz in Italien. Ein Kollege aus Italien kam damals, mitten im ersten italienischen Lockdown und noch vor den Schließungen bei uns, mit dem Vorschlag auf mich zu, die Situation an den Hochschulen gemeinsam zu erfassen. Wir haben dann in kürzester Zeit zwei Umfragen konzipiert, die sich mit der Wahrnehmung und Einschätzung von Studierenden und Dozenten in Bezug auf einen vollständigen Umstieg auf Online-Lehre beschäftigt haben. Die Umfragen wurden in den ersten vier Wochen des damals betroffenen Semesters durchgeführt und haben insgesamt über 6000 Teilnehmer erreicht.
Das ist eine stattliche Zahl an Befragten. Welche Erkenntnisse haben die Befragungen geliefert?
Ich rede hier nur über einen Teil der Studie, den ich mitverantworte. Kurz zusammengefasst: Es gab damals sowohl bei Studierenden wie auch bei Lehrenden – sowohl bei der DHBW als auch bei den teilnehmenden Hochschulen in Italien, Tansania und Südafrika – durchschnittlich tendenziell eine Zuversicht, dass die technologischen Voraussetzungen und die notwendige Einstellung für ein komplettes Online-Semester an den Hochschulen und bei den Studierenden gegeben sind und die Lernziele erreicht werden können. Klar wurde auch: Ein beachtlicher Teil der Studierenden und Lehrenden war sehr zuversichtlich, ein ähnlich großer Teil eher skeptisch.
Aber der überwiegende Teil dann doch eher zuversichtlich?
Ich würde es lieber als knappe Mehrheit der sehr Zuversichtlichen gegenüber den eher Skeptischen bezeichnen.
Was fangen Sie mit den Erkenntnissen an? Welche Schlüsse lassen sich ziehen?
Wir sind noch mit der differenzierten Aufarbeitung der Daten beschäftigt. Aber ich will trotzdem versuchen, eine grobe Antwort zu geben: Die erzwungene Transformation, also die vollständige Umstellung auf Online-Unterricht, hat an den teilnehmenden Hochschulen keine Schockstarre verursacht. Das Studium konnte weitergehen. Einige Arbeitsweisen, die wir in der Online-Lehre flächendeckend umgesetzt haben, haben außerdem Potenzial für eine Verstetigung im Sinne einer Effizienzsteigerung der Lehre.
Aber?
Wir müssen uns dann auch intensiver um den Teil der Studierenden kümmern, die mit diesen Methoden nicht so gut zurechtkommen. Auch bei einem Teil der Lehrenden benötigt es noch etwas Überzeugungsarbeit hinsichtlich einer Mitwirkung bei dieser Veränderung. Man sollte dabei aber auch die bewährten Methoden in der klassischen Lehre nicht geringer schätzen. Es geht um die Suche nach einer neuen Balance. Wir brauchen außerdem noch Daten im Rückblick auf das Corona-Semester. Dazu läuft gerade eine weitere Umfrage.
Neue Balance, das klingt gut. Und nach einer Art Hybrid-Modell, mit dem man in der Zukunft – auch ohne Corona – besser unterwegs sein will. Ist ein solches Modell denn auch vonseiten der Hochschulführung gewünscht?
Ich kann hier nicht für die Hochschulführung sprechen, sondern nur meine persönliche Meinung äußern. Ich denke, dass es in jedem Studiengang einen Abwägungsprozess mit den jeweiligen Bezugsgruppen geben muss, ob und wie denn Hybridformen im Dualen Studium überhaupt aussehen können. Da hängt ja noch einiges dran, wie der Wohnort, die Präsenzprüfungen, die Laborveranstaltungen oder die Praxisphasen. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen nach einem halben Jahr Online-Lehre komme ich aber in meinem Studiengang zum Schluss: Bei einem bestimmten, bei uns häufig vertretenen Studierenden-Lerntyp braucht es im Dualen Studium einen großen Präsenzanteil.
Was passiert nun weiter? Wird es noch weitere Umfragen geben?
Die Hochschullehre wird nach der Pandemie nicht mehr einfach in alte Gepflogenheiten zurückfallen können. Wir arbeiten deshalb an weiteren Studien mit dem Ziel, die beschleunigte Transformation kontinuierlich im Blick zu behalten und mitzusteuern. Ich gehe davon aus, dass es im Wettbewerb der Bildungsinstitutionen zukünftig auch darum gehen wird, welche Institutionen aus diesem epochalen Stresstest gelernt haben. Ich habe den Eindruck, dass momentan bei vielen Bildungsinstitutionen die Situation noch etwas geschönt dargestellt wird.
Wie meinen Sie das?
Nun ja, ein gewisser Zweckoptimismus war und ist in der Krise sicherlich förderlich. Mindestens genauso wichtig erscheint mir aber, jetzt auch nach innen mit objektiveren Zustandsanalysen zu arbeiten. Und die Weichen zu stellen für die verbleibende Zeit in der und die Zeit nach der Pandemie. Ich bin sicher: Wer sich jetzt nicht weiterentwickelt, wird danach Wettbewerbsnachteile haben. Anonymisierte Umfragen sind dabei ein notwendiges Instrument, um eine objektivere Betrachtung der eigenen Situation zu erreichen.
Könnten denn die allgemeinbildenden Schulen in der Region nicht auch von den Erkenntnissen Ihrer bzw. der DHBW-Studien profitieren? Womöglich sogar, ohne eigene, aufwendige Erhebungen anstrengen zu müssen?
Ich glaube, dass jede Bildungsinstitution ihren eigenen Weg suchen muss. Anonymisierte Befragungen der Bezugsgruppen, wie der Schüler, der Lehrer oder der Eltern sind ein wichtiges Instrument dabei, um repräsentative Daten zu sammeln. Es erscheint mir eher schwierig, solch einschneidende Veränderungen ohne eine entsprechende Datengrundlage in den Selbstverwaltungsstrukturen zu erörtern. Vieles wird dann emotional diskutiert, kritische Fragen werden mitunter als Kritik an der bisherigen Arbeit verstanden. Ich denke, es ist zu kurz gegriffen, den Nachholbedarf alleine bei Investitionen in Technologie und Infrastruktur zu sehen. Und eine einfache digitale Umfrage durchzuführen und auszuwerten, ist im Übrigen gar nicht so aufwendig.
Es gibt ja nicht wenige, die behaupten, Präsenzunterricht an den Schulen sei durch nichts zu ersetzen. Sie sehen das ja dann ein wenig anders, richtig? Oder muss man eben differenzieren – Hochschule, weiterbildende Schule, Grundschule? Ab wann können Schüler eine "neue Balance" halten?
Natürlich muss man differenzieren. Ich würde es so formulieren: Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir zukünftig mehr digitale Lern- und Lehrformen ergänzend zum Präsenzunterricht brauchen, um bei begrenzten Ressourcen denjenigen Studierenden individualisiert mehr Aufmerksamkeit und mehr Unterstützung zukommen zu lassen, die dies benötigen. Für meinen Studiengang habe ich ein Bauchgefühl, was die Verhältnismäßigkeiten betrifft. Für andere Studiengänge oder die verschiedenen Schultypen habe ich das nicht. Ich stelle es mir auch sehr, sehr schwer vor, die Kinder in der Grundschule online zu unterrichten. Und ich habe großen Respekt vor den Leistungen, die dort und in allen anderen Bildungsinstitutionen in den letzten Monaten erbracht werden.