ARD-"Wahlarena": Plötzlich offensiv: Olaf Scholz wagt sich nach vorn – zumindest ein Stück weit
Der SPD-Kanzlerkandidat zeigt sich in der "ARD-Wahlarena" etwas nahbarer als zuvor. Klare Bekenntnisse gibt es dennoch kaum, dafür einen ordentlichen Seitenhieb: Die CDU solle sich "jetzt erst mal in der Opposition erholen".
Die zweite Ausgabe der "ARD-Wahlarena" ist gerade ein paar Minuten alt, da scheppert und rumpelt es im Lübecker Studio. Gäste drehen fragend ihre Köpfe. Auf Twitter befürchten sie (wie immer) schon das Schlimmste. Aber die Moderatoren Ellen Ehni und Andreas Cichowicz können schnell Entwarnung geben: "Da ist nur eine Außenkamera umgefallen, alles ok."
Wäre man böse, man könnte sagen, dass der lautstarke Crash der Kamera schon das aufregendste war bei dieser auf 75 Minute ausgedehnten Fragestunde mit SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Aber man muss ja nicht gleich so hämisch sein wie der ehemalige US-Botschafter John Kornblum, der über Olaf Scholz sagte, er sei unter den ohnehin langweiligen Kandidaten "der größte Langweiler".
Niemand, zumindest nicht jene Menschen, die Olaf Scholz noch als Ersten Bürgermeister von Hamburg kennen (Offenlegung: die Autorin zählt dazu) erwartet von dem 62-Jährigen ein Feuerwerk der Gefühle oder rhetorische Raffinessen. Dass der Mann, der als "Scholzomat" bekannt wurde, laut Markus Söder, hier und da "schlumpfig grinst", muss an Emotionen reichen.
Umso bemerkenswerter, dass Scholz am Dienstagabend sein Repertoire erweiterte: Er wirkte in weiten Teilen wie der Vertrauenslehrer an einer Gesamtschule: Ganz gleich, ob die Fragenden (wie schon in Runde Eins bei Annalena Baerbock: 60 Bürger, einige zugeschaltet) sich zum Thema Mindestlohn, Rente, Distance Learning, Pflege oder Impfgerechtigkeit äußerten, Scholz antwortete zuerst mit ganz viel Verständnis: "Da haben Sie Recht!", "Erst mal bedanke ich mich für ihr Engagement!" "Das ist wirklich bemerkenswert, was Sie machen!" Stichwort, ganz klar: Die Menschen da abholen, wo sie stehen.
Nicken oder wegnicken?
Wenn erst mal Vertrauen aufgebaut ist, kann man auch ausschweifender antworten, so vermutlich die Taktik dahinter. Die kritische Frage einer Studentin nach dem Kohlestromausstieg erst 2038 erstickte Scholz etwa in einem gefühlt 20-minütigen Referat, in dem es viel um Terrawattstunden ging. Einem aufgewühlte älteren Fluthelfer mit knallgelbem T-Shirt pflichtet er bei, man müsse da auf jeden Fall nachjustieren bei den Baugenehmigungen für den Wiederaufbau, etwa von Brücken. Scholz gab wie gewohnt den souveränen, sattelfesten Erklärer. Erreichte er die Menschen emotional? Deren Reaktion ähnelte sich zumindest auffallend: Nicken, Lächeln, Nicken – oder waren sie innerlich womöglich schon weg genickt, weil sie den Ausführungen nicht mehr folgen konnten oder wollten?
Nur einmal wurde der amtierende Finanzminister härter angegangen, ausgerechnet von einem Finanzbeamten: "Sie haben ja stark profitiert von den Fehlern der Konkurrenz. Ihre Fehler werden in der Öffentlichkeit ja kaum kommuniziert", so der Mann, der auf Cum-Ex, Wirecard und G20 ansprach und rundheraus wissen wollte: "Kann man ihnen vertrauen?" Scholz holte wieder weit aus, endete aber mit einem: "Meine Antwort ist ja."
Mieterschutz einmal anders
Kurios der Mann, der sich bei Scholz darüber beschwerte, dass er eine Kündigungsfrist von drei Monaten habe: "Das ist viel zu lang, ein Monat reicht!". Scholz: "Für die meisten Mieter ist die Frage ja: 'Habe ich genug Schutz?' Auch die Einzelhandelsverkäuferin, die von einem Kunden geschlagen wurde, erhoffte sich von Scholz eine Lösung ihres individuellen Problems. "Der Täter hat nur eine kleine Geldstrafe erhalten. Wie wollen sie dafür sorgen, dass Opfer vor der Justiz nicht noch mal Opfer werden?" Scholz warb um Vertrauen für die Gerichte und eine Prüfung im Einzelfall. Die Verkäuferin schien nicht zufrieden und erklärte, sie habe ja schon 35 Mal in Einzelfällen Kunden angezeigt. Da war selbst der Vertrauenslehrer-Bonus erschöpft.
"Corona ist ja bald vorbei"
Voll in seinem Element war Scholz wieder beim Thema Rente: Ein höheres Renteneintrittsalter als 67? "Das werden wir nicht machen!". Ein stabiles Rentenniveau? "Ich garantiere das!" Auch ein klares Bekenntnis gegen Rechts war ihm zu entlocken ("Wir müssen gegen dies rechten Hetzer gemeinsam angehen"), ebenso wie das Versprechen, mehr für die Schulen zu tun. Im Gespräch mit einem 15-Jährigen, der darauf hinwies, dass es auch schon vor Corona massive Probleme mit der Digitalisierung gegeben habe, antwortet er: "Corona ist ja bald vorbei, dann sollten wir aber nicht aufhören mit der digitalen Struktur in den Schulen". Corona ist bald vorbei? Weiß Olaf Scholz womöglich mehr als alle Wissenschaftler? Da stutzen auch die beiden Moderatoren.
Die Frage, ob die SPD mit den Linken koalieren würde, beantwortete Scholz nur durch die Blume ("Für mich kann es nur eine Regierung geben, die klar zur NATO eingestellt ist"), aber als ein 18-jähriger Erstwähler wissen wollte, ob er denn davon ausgehen können, dass es keine neue Groko geben werde, wenn er SPD wählt, antwortet Scholz ganz ohne ausschweifende Erklärungen: "Ich denke", so der Kanzlerkandidat mit den derzeit besten Aussichten auf den Sieg, "die CDU soll sich jetzt mal in der Opposition erholen."