Überfallserie in Heidelberg: Der Angeklagte hatten Freunde und Familie abgezockt
Heidelberg. (jola) Fünfmal soll ein 25-Jähriger die KK-Tankstelle in der Eppelheimer Straße überfallen haben. Seit Ende September muss er sich dafür vor dem Heidelberger Landgericht verantworten. Am dritten Prozesstag am Freitag ging es nun um einen weiteren Tankstellen-Coup, den der junge Mann geplant haben soll. Es ging aber auch um das Geld, das er seinen Eltern abgenommen hat, um die Schulden, die er ihnen aufgebürdet hat, sowie um einen mysteriösen "Jamal", der zumindest hinter dem letzten Tankstellenraub stecken soll, der dem 25-Jährigen vorgeworfen wird.
"Es fing alles als Scherz an", sagte ein 21-jähriger Freund des Angeklagten. Der junge Mann hatte bei einer Aral-Tankstelle in Eppelheim gearbeitet und ließ sich, gemeinsam mit einem anderen Freund, schließlich vom Angeklagten überreden, einen Überfall zu fingieren. Der 21-Jährige sollte das Opfer spielen, der Angeklagte und der andere Freund sollten als Täter in die Tankstelle kommen und sich das Geld schnappen. Das hat auch funktioniert – allerdings müssen die beiden jungen Männer nun das Geld zurückbezahlen, von dem sie – wie sie sagten – nie etwas gesehen haben. "Wir dachten immer, es seien 6000 Euro gewesen", sagte einer von ihnen. Als es dann zum Prozess kam, hätten sie aber erfahren, dass es sogar 10.000 Euro gewesen sein sollen. Beide Zeugen waren entsprechend schlecht auf den 25-Jährigen zu sprechen, und einer antwortete auf die obligatorische Frage des Vorsitzenden Richters Jochen Herkle, ob er verwandt oder verschwägert mit dem Täter sei: "Gott sei Dank nicht."
Eine der beiden Ex-Freundinnen, die am Freitag aussagten, wollte noch nicht mal ihre Anschrift nennen: "Ich habe Angst vor ihm", erklärte sie später. Aus gutem Grund, wie sich während ihrer Aussage herausstellte: "Er hat mich geschlagen", sagte sie. Mehrmals habe sie deshalb mit der Polizei zu tun gehabt. Einmal standen die Beamten sogar in den frühen Morgenstunden mit einem Durchsuchungsbefehl vor ihrer Wohnung – denn der Angeklagte hatte, wie ein Polizist bestätigte, bei der Polizei angerufen und erklärt, sie sei einer der Täter beim Tankstellenraub in Eppelheim.
Die Eltern des Angeklagten dagegen äußerten sich verhalten. Der hochbetagte Vater wurde nur etwas genauer, wenn Richter Herkle ihm vorhielt, was er mal bei der Polizei gesagt hatte: etwa dass sein Sohn die ganzen Ersparnisse der Familie verschleudert habe und die Eltern nun von Sozialhilfe leben müssten. "Einen Teil der Ersparnisse", sagte der Vater daraufhin. Die Mutter des Angeklagten erzählte, der Sohn habe mit einer Bankvollmacht einmal 14.000 Euro abgehoben, aber als der Vater ihm daraufhin gedroht habe, die Polizei zu rufen, habe er das Geld zurückbezahlt.
Die Mutter hatte auch bereits an einem vorherigen Verhandlungstag über den mysteriösen "Jamal" gesprochen, einem unauffindbaren algerischen Flüchtling, der eigentlich hinter dem letzten Raub stecken solle. So habe sie sich damals gewundert, warum er Kleidung ihres Sohnes getragen habe – an dem Tag, als die Tankstelle überfallen wurde. Diese Klamotten tauchten wiederum später im Keller der Familie des Angeklagten auf. Die Polizei jedenfalls weiß von einem "Jamal" in Patrick-Henry-Village nichts. "Die Ermittlungen liefen völlig negativ", erklärte ein Polizist. Ein Urteil könnte schon nächste Woche fallen.
Update: Freitag, 8. Oktober 2021, 20.16 Uhr
Erst der dritte Überfall machte ihm richtig Angst
Von Jonas Labrenz
Heidelberg. Nach dem dritten Raubüberfall geriet er sogar selbst unter Verdacht: Marco N. (Name geändert), der als Tankwart drei Mal in nur wenigen Monaten die Tageseinnahmen einem bewaffneten Maskierten übergeben musste, erzählte am Mittwoch als Zeuge am Heidelberger Landgericht von der für ihn belastenden Zeit. Die Polizei hatte damals geprüft, ob er mit dem Täter unter einer Decke stecken könnte. Dieser Verdacht war bald vom Tisch, doch der Räuber konnte lange nicht gefasst werden. Jetzt ist ein 25-Jähriger für diese drei und zwei weitere Überfälle auf dieselbe Tankstelle in der Eppelheimer Straße angeklagt. Bislang schweigt er zu den Vorwürfen, hatte aber bei einer Haftprüfung erklärt, er könne sich entlasten.
Als Marco N. den Täter das erste Mal vor sich sah, hatte ein lauter Knall ihn aufgeschreckt. "Es war sehr eigenartig", erzählte N. Er habe kurz vor Feierabend die Kasse gemacht und noch Ein-Cent-Münzen gezählt. "Das wollte ich noch schnell fertigmachen, als ich gehört habe, dass ein Kunde reingekommen ist. Da habe ich gesagt: ,Einen Moment noch!’" Plötzlich habe der "Kunde" mit der Hand auf den Tresen geschlagen. "Und dann stand da ein maskierter Mann mit Pistole in der Hand." Mit der Waffe habe er nur auf das Geld gezeigt, das N. daraufhin in den Stoffbeutel des Täters gelegt habe. Dann sei der Täter auch schon weggelaufen. "Ich habe auf den Panik-Knopf gehauen wie sonst was", sagte N.
Beinahe skurril muss es beim zweiten Überfall zugegangen sein: "Als ich ihn erkannt habe, habe ich angefangen, ihn zu beleidigen", erzählte Marco N. Der Täter habe wieder die Maske mit den ausgeschnittenen Augenschlitzen getragen – "und ich wusste sofort, dass es der Gleiche ist". Statt der Pistole hatte der Täter dieses Mal ein Messer dabei, ansonsten lief die Geldübergabe wie beim ersten Mal. Als der Maskierte dann wieder verschwunden war, sprang N. über die Theke und setzte ihm nach. "Ich war auf 180", erinnerte er sich. Gleichzeitig rief er die Polizei und konnte sehen, dass der Täter Richtung Süden zu der Straßenbahnhaltestelle flüchtete. Doch dann entschloss er sich, die Verfolgung abzubrechen.
Erst nach dem dritten Überfall ging dem Tankwart die Geschichte richtig an die Nieren. "Das war das erste Mal, dass ich im Nachgang richtig Angst hatte, weil so viel hätte schiefgehen können bei seinem dummen Plan." Wie üblich habe er zum Feierabend die Mülleimer geleert und sei vom hinteren Teil der Tankstelle wieder hinein und hinter den Tresen gegangen. "Da stand die Person plötzlich vor mir. Ich habe keine Schritte gehört, keine Tür – wie ein Geist." Auf den Videobändern konnte man später sehen, dass der Täter sich hineingeschlichen und im angrenzenden Stehcafé versteckt hatte, als der Tankwart bei der Mülltonne war. "Ich bin nur Zentimeter an ihm vorbei gegangen", so der Tankwart. "Er hat mich also über einen langen Zeitraum beobachtet, wie ein Löwe, der eine Gazelle erlegen will." Für den Tankwart war dabei schlimm, dass er das Café normalerweise abschließt – und er dem Täter, hätte er es auch an diesem Tag abgeschlossen, wohl ohne den schützenden Tresen gegenübergestanden hätte.
Dass es der Angeklagte war, der ihm drei Mal mit einer Waffe gegenübergestanden hatte, wollte der Tankwart nicht ausschließen – aber er konnte den Verdacht auch nicht bestätigen. "Ich könnte schwören, dass er eigentlich weiß war, jemand mit noch ein bisschen hellerer Haut." Außerdem meinte er, helles Haar an den Unterarmen des Täters erkannt zu haben, als der ihn im Sommer nur mit T-Shirt bekleidet überfiel. "Es sind tendenziell nicht die Unterarme, die ich gesehen habe", sagte der Tankwart, nachdem der Angeklagte ihm seine gezeigt hatte. Die Taten liegen allerdings schon drei Jahre zurück.
Update: Mittwoch, 29. September 2021, 19.30 Uhr
Überfiel er fünfmal die gleiche Tankstelle?
Ein 25-Jähriger muss sich nun am Heidelberger Landgericht verantworten. Über die Schuhe kam ihm die Polizei auf die Schliche.
Von Jonas Labrenz
Heidelberg. Fünf Raubüberfälle in drei Jahren auf ein und dieselbe Tankstelle – und der Täter soll immer derselbe gewesen sein. Einem 25-Jährigen, den die Polizei im November vergangenen Jahres festgenommen hat, wird jetzt der Prozess vor dem Heidelberger Landgericht gemacht. 4710 Euro soll er bei den Überfallen auf die KK-Tankstelle in der Eppelheimer Straße zwischen Dezember 2017 und Oktober 2020 erbeutet haben. Der Angeklagte schwieg am ersten Prozesstag zu den Vorwürfen, hatte aber bei der Haftprüfung im Juni erklärt, dass ein Handy ihn entlasten könne, wie der Vorsitzende Richter Jochen Herkle am Montag aus den Akten verlas. Nur: "Wenn ich sage, wo sich das Handy befindet, spiele ich mit meinem Leben", soll der 25-Jährige laut Protokoll gesagt haben. Die Daten darauf würden wohl andere Menschen belasten.
Die KK-Tankstelle schaffte es schon 2018 in die RNZ-Schlagzeilen. Sie wurde zu Beginn der Raub-Serie dreimal in nur neun Monaten überfallen – und es traf immer denselben Angestellten hinter dem Tresen. Ob er mit dem Täter unter einer Decke stecken könnte, sei damals sogar geprüft worden, wie Tankstellen-Geschäftsführer Gebhard Steffel der RNZ kurz nach dem dritten Raubüberfall erzählt hatte. Im aktuellen Verfahren wird er erst an einem der kommenden Prozesstage vernommen.
Stattdessen erzählte einer seiner Kollegen von dem jüngsten Raubüberfall Ende Oktober 2020. Er habe an diesem Mittwoch die Spätschicht gehabt und kurz nach Feierabend Kassensturz gemacht, als er bemerkt habe, wie jemand den Verkaufsraum betrat. Da habe er sich noch keine Gedanken gemacht, immerhin seien öfter Menschen nach Feierabend reingekommen, um noch schnell etwas zu kaufen. Die Türen seien dann oft noch nicht abgeschlossen. Auch der Aufzug des Mannes habe ihn erst nicht beunruhigt: "Man sieht ja in der Corona-Zeit viele Menschen mit merkwürdiger Gesichtsbedeckung." Doch dann hielt der Mann mit der Sturmhaube ein Messer in Richtung des Tankwarts und forderte von ihm die Tageseinnahmen. Rund 1800 Euro steckte der daraufhin in die mitgebrachte Plastiktüte des Täters, der anschließend im Laufschritt aus der Tankstelle verschwand.
"Ich habe erstmal den falschen Knopf gedrückt – den Not-Aus-, statt den Panikknopf", erzählte der Tankwart. Die herbeigerufene Polizei konnte dann die Aufnahmen der Überwachungskamera sichern.
Standbilder aus dem Video wurden auch im Gerichtssaal gezeigt. Ein Polizist, der damals vor Ort war, erinnerte sich an das Gespräch mit dem Tankwart: "Er hat gebibbert, aber wir haben die Vernehmung draußen gemacht – drinnen war ja ein Tatort – und es war kalt. Ich kann nicht sagen, ob es an der Temperatur lag oder an dem Erlebten. Aber er hat gebibbert." Richter Herkle hatte den Tankwart auch gefragt, wie es ihm nach dem Überfall ergangen sei: "Ich glaube nicht, dass ich traumatisiert wurde, aber es nimmt einem die Sicherheit und die Ruhe bei der Arbeit", sagte der Tankwart.
Eine Kollegin wurde ebenfalls Opfer eines Raubüberfalls. Sie hatte gerade die Tankstelle aufgeschlossen und war in den Technikraum gegangen, um die Wechselgeldkasse zu holen und das Licht einzuschalten. "Plötzlich stand er vor mir", erinnerte sie sich vor Gericht. Er habe nur gesagt "Geld her" und ihr einen Beutel hingehalten. Als der Täter dann auch auf den noch offenen Tresor zeigte, habe sie ihm gesagt, dort sei nichts mehr zu finden. Daraufhin habe der Mann das Weite gesucht – mit 250 Euro Beute. Jetzt schaue sie sich öfter um, fühle sich draußen unsicher, erzählte die Frau: "Aber damit muss ich wohl leben."
Beide Angestellten konnten den Angeklagten nicht als den Täter identifizieren. Es wurden auch keine Fingerabdrücke nach den beiden Taten gefunden. "Es hat nur dreißig Sekunden gedauert vom Betreten der Tankstelle bis zur Flucht – und das alles berührungslos", erzählte eine Kriminaltechnikerin, die ebenfalls als Zeugin vernommen wurde.
Auffällig waren aber die Schuhe, die der Mann auf den Videos getragen hatte. Die gleichen wurden gefunden, als die Polizei den Angeklagten wegen einer anderen Sache festnehmen wollte. Das hatten Polizei und Staatsanwaltschaft schon kurz nach der Verhaftung mitgeteilt. Bei einer anschließenden Hausdurchsuchung sei dann noch weitere verdächtige Kleidung gefunden worden. Das Urteil soll am 15. Oktober verkündet werden.