J. Peirano: Der geheime Code der Liebe: Seit die Kinder aus dem Haus sind, beschwert sich meine Frau, dass ich zu viel arbeite
Lange Jahre ließen sich Selbstständigkeit und Familie für Henning wunderbar vereinbaren - trotz langer Arbeitszeiten. Doch mit dem Erwachsenwerden der Kinder wird es zur Belastung für seine Ehe. Wie können seine Frau und er ihren Konflikt lösen?
Guten Tag Frau Dr. Peirano,
seit unsere Kinder aus dem Haus sind, haben meine Frau und ich Probleme. Ich bin 55 und habe eine eigene Beratungsfirma, die sehr viel Zeit und Aufmerksamkeit fordert und schon immer gefordert hat. Mein Sohn (30) ist nach seinem BWL-Studium bei mir eingestiegen.
Meine Frau sieht es sehr kritisch, dass ich viel und gerne arbeite (ca. 50 Stunden die Woche). Sie ist mit den Kindern zu Hause geblieben und war eine Vollblut-Mutter und Hausfrau, mit Hunden, großem Garten und allem, was dazu gehört. Als die Kinder auszogen (Sohn 2014, Tochter 2016), die Hündin kurz darauf starb und wir in eine Wohnung gezogen sind, hat sie nie wieder eine richtige Tätigkeit für sich gefunden. Ich habe ihr vorgeschlagen, Sport zu machen, ein Instrument zu lernen oder sich mehr mit ihren Freundinnen zu treffen. Aber wenn sie nichts für andere tun kann, fällt es ihr schwer, sich zu motivieren.Peirano Errektion: Ist die Frau schuld?, 21.10
Jetzt beschwert meine Frau sich ständig und lautstark darüber, dass ich zur Arbeit fahre. Jede Geschäftsreise ist ihr ein Dorn im Auge oder sie fordert, dass sie mitkommen kann und möchte dann in einem guten Hotel wohnen und mit mir Städtereisen machen. Wenn ich nach der Arbeit noch zum Golf gehe, beschwert sie sich, dass ich nie Zeit für sie hätte.
Ständig legt sie mir Urlaubskataloge hin, drängt mich, Reisen zu buchen und hält mir Freunde vor Augen, die im Vorruhestand sind und viel Zeit miteinander verbringen.
Ehrlich gesagt will ich nichts an meinem Leben ändern. Ich gehe in meiner Firma auf, freue mich, wenn ich noch etwas Zeit zum Golfspielen habe, und drei oder maximal vier Wochen Urlaub im Jahr sind mehr als genug. Was mich am meisten stört, ist, dass meine Frau und ich nicht mehr ein so gutes Team sind wie früher, sondern dass es zu Hause dauernd Streit gibt und ich schon nervös werde, wenn ich mal länger im Büro bleibe. Mir fehlt ihr Verständnis und irgendwo auch die Wertschätzung für den Lebensstandard, den ich uns geschaffen habe.
Eine Paartherapie lehnt meine Frau übrigens kategorisch ab.
Sehen Sie noch andere Möglichkeiten?
Viele Grüße
Henning B.
Lieber Henning B.,
eine erfüllende Beziehung zu führen, die Jahrzehnte dauert, stellt die meisten Paare vor große Herausforderungen. Gerade wenn ein Paar Kinder hat, durchläuft es typischerweise ganz unterschiedliche Phasen, die jeweils ganz andere Anforderungen an einen stellen.
Sie beide haben sich anscheinend in den frühen bis mittleren 20ern kennen gelernt. Da kam es wahrscheinlich erst einmal auf die erotische und menschliche Anziehung an, auf den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung, auf gute Gespräche, spannende Unternehmungen, das Abstimmen von Zukunftsplänen und auf den Aufbau einer wirtschaftlichen Existenz.BIo Julia Peirano
Dann haben Sie mit Mitte 20 Kinder bekommen und sich für die traditionelle Rollenaufteilung entschieden. Ihre Frau blieb mit den Kindern zu Hause und kümmerte sich um die Versorgung der ganzen Familie und die Erziehung der Kinder, um ein schönes Zuhause mit großem Garten und um die Hunde. Das heißt, dass sie sich einen Großteil der Zeit für die Bedürfnisse ihrer Familie gesorgt hat und viel Arbeit erledigt hat, die nicht unbedingt planbar war. Wer weiß schon, wann ein Kind Husten hat und spontan zum Arzt muss, oder wann ein anderes Kind gerade eine schlechte Deutscharbeit nach Hause gebracht hat und man eine Sonderschicht Hausaufgabenbetreuung leisten muss?
Ihre Frau scheint sehr gut darin zu sein, das zu machen, was gerade anliegt und eigene langfristige Pläne zurück zu stellen.
Um die Situation zu beleuchten, wäre Für Sie beide wäre bestimmt dieses Buch interessant:
Iris Radisch: "Die Schule der Frauen: Wie wir die Familie neu erfinden"
Sie hingegen haben wahrscheinlich in der gleichen Lebensphase viel strategisch und langfristig gedacht, um die Firma aufzubauen, die Familie zu ernähren und die knappe Zeit, die ihnen mit der Familie blieb, möglichst optimal zu nutzen.
Sie und Ihre Frau hatten also jeder sein eigenes Aufgabenfeld, aber haben an einem Strang gezogen. Der tiefere Sinn war bei Ihnen beiden das Wohlergehen der Familie, zu dem jeder von Ihnen etwas komplett unterschiedliches beigetragen hat: Sie das Geld, und Ihre Frau die Care-Tätigkeit.
Dann kam die nächste Phase, in der die Kinder immer selbstständiger wurden und sich dann aus dem Elternhaus lösten. In der traditionellen Rollenverteilung ändert sich für den Mann als Erwerbstätiger nicht so viel. Er arbeitet weiterhin.
Für die Hausfrau und Mutter ändert sich aber extrem viel, wenn sie diese Phase nicht rechtzeitig vorbereitet hat. Sie verliert ihren Lebensmittelpunkt, fast den Sinn ihrer Existenz, der ja über Jahrzehnte darin bestand, sich um alle zu kümmern. Jetzt lebt sie plötzlich allein, das Haus ist leer, der Hund tot, und sie könnte machen, was sie will und ihren Tag selbst gestalten.
Es ist aber wichtig zu verstehen, dass gerade die Frauen, die ihren Sinn im Kümmern sehen (und sich vom Kümmern-Müssen nicht so sehr in ihrer Berufstätigkeit oder ihren eigenen Interessen gestört fühlen wie viele andere Frauen), in dieser Phase des "leeren Nests" in eine Art Leerlauf, oft sogar Depression geraten. Nach all denn Jahren des Sich-Sorgens, Versorgens, Sich-um-andere-Drehen, Sich-Kümmerns fühlt es sich oftmals wie eine Last an, so viel Zeit zu haben, nur für sich selbst.
Ihre Frau adressiert jetzt die Gefühle der inneren Leere an Sie und macht Sie ein Stück weit dafür verantwortlich. Die Botschaft ist, überspitzt gesagt: "Für dich und unsere Kinder habe ich so viele Jahre gesorgt, damit es allen gut geht. Und nun lassen mich alle allein zurück. Du hast die Arbeit, ich habe nichts."
Ich denke, dass es sehr wichtig ist, diese Sinnkrise wirklich zu verstehen. Ihrer Frau ist wahrscheinlich nicht mit ein paar Hobbys oder etwas Zeitvertreib wie Massage, Friseur etc. geholfen. Sie braucht eine neue Aufgabe, einen neuen Lebensinhalt. Und gerade die Fähigkeit zur Selbstaufgabe wird ihr jetzt zum Verhängnis, denn sie bräuchte jetzt Struktur, Motivation und etwas Strategie, um sich eine neue erfüllende Aufgabe zu suchen.
Vielleicht kann Ihre Frau für sich alleine darüber nachdenken, eine ehrenamtliche Aufgabe zu übernehmen, die ihr liegt. Da kann sie sich weiter um andere Menschen kümmern und ihnen helfen, das gefällt ihr ja. Einige Menschen lassen sich zum (Telefon-) Seelsorger ausbilden, andere engagieren sich für Kinder oder Senioren.
Es gibt sogar eine Beratungsstelle, die einen unterstützt, das richtige Ehrenamt zu finden https://www.ehrenamtssuche.de/
Ich empfehle Ihnen beiden aber auch, dass Sie Ihre Freizeit (Wochenenden, Abende und Ferien) neu planen. Ich habe den Eindruck, dass Ihre Frau so laut und deutlich wird, weil sie das Gefühl hat, nicht gehört zu werden. Möglicherweise können Sie beide eine Prioritätenliste erstellen, um zu sehen, welche gemeinsamen Aktivitäten Ihnen beiden besonders wichtig sind.
Zum Beispiel: ein verbindliches, ausgedehntes, gemeinsames Frühstück am Sonntag
Ein Abend in der Woche ist Paarabend, der vorher geplant wird (Essen mit Freunden, Kino, Fahrradtour…). Eventuell kann auch ein neues gemeinsames Hobby (z.B. tanzen, segeln) oder ein gemeinsamer Ort (Lieblingshotel im Umland/ Ferienwohnung) mehr Verbindung und Halt geben.
Ich hoffe, dass Sie einige dieser Anregungen umsetzen können, um mit Ihrer Frau in eine angenehme Phase zu kommen, in der die Kinder aus dem Haus sind, aber Sie noch nicht im Ruhestand sind. Es geht immer wieder darum, sich gemeinsam auszubalancieren und alle Interessen zu berücksichtigen, und dann ist oft der Frieden wieder hergestellt.
Herzliche Grüße
Julia Peirano
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