Standpunkt von Nico Welp: Drum prüfe, wer sich ewig bindet
Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserem Heft “Fein, feiner: Durchlässigkeit!
Standpunkt: Drum prüfe, wer sich ewig bindet
Hallo „Lieblingspferd“
Wer sich wünscht, dass sein Pferd auf feinste Hilfen reagiert und durchlässig ist, muss selber sehr achtsam sein – und das beginnt schon beim Pferdekauf, findet unsere Autorin Nico Welp. Sie ist Gründerin der Pferdehilfe Pro Equine e.V. und seit gut drei Jahrzehnten im Pferdeschutz aktiv.
Jeder kennt das. Menschen sind visuell orientiert. Der erste optische Eindruck einer menschlichen Begegnung hinterlässt in uns ein „Wow“ oder „No“. Das zeitgleich einsetzende Bedürfnis, noch einmal hinzuschauen oder eher wegzuschauen, wählen wir nicht bewusst. Wir reagieren nachweislich „unbewusst“. Ob jemand auf den ersten Blick als „bemerkenswert“ auf unserer Bildfläche erscheint oder nicht, wir können es kaum steuern. Erst später, nach einer gewissen Zeit des Beobachtens oder Kennenlernens, reflektieren wir bewusst, ob wir tiefer in eine Beziehung eintreten oder lieber nicht.
Dieser Beitrag soll aber nicht erklären, warum das so ist, warum wir so sind, wie wir sind. Vielmehr möchte ich beleuchten, was das für die Auswahl des für uns passenden „Partners Pferd“ bedeutet. Denn: es hat Folgen für beide Seiten.
„Augen auf beim Pferdekauf“
In diesem Kontext geht es meist nur um die Gesundheit des jeweiligen Pferdes (Ankaufsuntersuchung/AKU). Das ist, zugegeben, nicht unwichtig, kann später aber mental tragisch werden, besonders für die Pferde. Seien wir ehrlich: Pferde haben nicht die Möglichkeit, sich ihren Menschen als Wesenspartner auszusuchen. Wir stellen sie nicht vor die freie Wahl, wir lassen sie nicht mitentscheiden, wir akzeptieren auch kein „Nein, wir passen nicht zusammen“. Wir fragen nicht danach. Wir kaufen ein Pferd nach unseren Kriterien. Dieser (unfaire) Umstand ist eine einseitige Partnerwahl und erteilt uns somit einen besonderen Auftrag. Wenn unser zukünftiger Freizeit-, Sport- und Lebenspartner Pferd schon keinerlei Wahlmöglichkeit hat, dann sind wir vollumfänglich für die Lebensqualität unseres Pferdes verantwortlich. Nicht erkannte, nicht gesehene, überforderte, unterforderte oder sogar wesensmissachtete Pferde leiden. All das geschieht schneller, als man glaubt.
Oft erlebe ich scharfkantig beziehungsgestörte, körperlich „krampfige“, mental desorientierte und kreuzunglückliche Pferd-Mensch-Paare, deren Probleme im Alltag ihre Ursache nicht nur in der Bewältigung von Situationen haben. Auch in der Erziehung hapert es manchmal, dafür gibt es wunderbare Trainer, die uns Menschen in Kommunikation und Körpersprache coachen. Pferde müssen da ja nichts lernen, sie beherrschen dieses Feld in Perfektion. Die Pflege einer Beziehung, in der die Persönlichkeit, Mentalität und körperliche Beschaffenheit eines Pferdes anerkannt wird, ohne in der Erwartungshaltung des Menschen unterzugehen, ist dann aber eine Hausnummer für sich.
Ich denke, jedem von uns ist klar, dass wir – grob gefasst – kein Kaltblut kaufen, wenn wir uns im gehobenen Dressursport sehen. Uns ist klar, dass wir keinen Isländer aussuchen, wenn wir im Springsport zu Hause sind. Wir wissen, dass wir uns kein englisches Vollblut ins Haus holen, wenn wir in der Forstwirtschaft arbeiten möchten. Natürlich wissen wir, dass ein nordisches Pferd wie ein Norweger, ein Gebirgskaltblut, ein Tinker oder ein Shetlandpony in Ägypten mit den klimatischen Bedingungen zu kämpfen hat. Wir sollten auch wissen, dass wir als recht großer, übergewichtiger Mensch nichts auf einem kleinen Quarter Horse zu suchen haben. Und dennoch werden oft unsere eigenen äußeren wie inneren Eigenschaften zu einem Zerrbild und wir überschätzen unsere Fähigkeiten, folgen falschen Trends oder stellen unsere sportliche Erwartung derart in den Vordergrund, dass unser Partner Pferd kaum eine reelle Chance hat, neben uns ein „Ich“ zu bleiben.
„Ich“ gleich „Inneres Zuhause“
Ein inneres Zuhause in Balance ist das, was wir brauchen und was unsere Pferde ebenso benötigen. In einer harmonischen Beziehung liegt genau dort die Schlagkraft. Aus verschiedenen Richtungen kommend in eine gemeinsame Richtung schauen dürfen, das ist ein wahrer Traum. Doch das ist einfacher gesagt als getan. Dazu gehört der Mut zum Kompromiss und das unbedingte „Ja“ zur Andersartigkeit des anderen. Um mich selbst als Beispiel zu nennen: Ich habe eines meiner Pferde spontan vor der Schlachtbank gerettet, also nicht „ordentlich“ für uns beide ausgesucht. Das war insgesamt gesehen gut, weil lebensrettend, aber im beschriebenen Kontext nur bedingt zur Nachahmung empfohlen. Ich sage nur so viel: Umstieg vom englischen Vollblut auf ein typisches Kaltblut. Ich habe mich im Zuge dessen punktgenau hart auf den Allerwertesten setzen müssen, um der natürlichen „Beschaffenheit“ meines Pferdes gerecht zu werden. Und ich muss weiterhin hart an mir arbeiten, in dem Wissen, dass ich mir da eine ordentliche Aufgabe verordnet habe. Ich liebe dieses Pferd nicht weniger oder anders, aber ich weiß: Wir sind, was unsere Mentalität angeht, sehr verschieden. Ich muss mich anstrengen, der mitgebrachten Mentalität gerecht zu werden. Darüber hinaus habe ich natürlich meine Ziele, Wünsche und Erwartungen dem Interieur und Exterieur meines Pferdes angepasst. Ich empfehle diesen durchaus wunderbaren, lehrreichen Weg übrigens nur Menschen, die ihn auch gehen und lieben wollen. Wie sagt der Apotheker so schön: Risiken und Nebenwirkungen entnehmen Sie der Packungsbeilage.
„Interieur“ => Verhaltens- und Charaktereigenschaften
„Exterieur“ => physische Eigenschaften
In der Pferdewirtschaft haben sich die Begriffe „Interieur“ und „Exterieur“ etabliert. Sie gelten weitläufig, sowohl im Sport als auch in der Zucht, als maßgebliche Beurteilungskriterien eines Pferdes. Beim Pferdekauf nur diese Kriterien zu überprüfen reicht allerdings nicht. Ein Pferd bringt seine gesamte Persönlichkeit mit und ist naturgemäß immer so ehrlich, diese auch in voller Bandbreite zu zeigen. Ein Mensch bringt all das auch mit. Auch wir haben ein „Interieur“ und ein „Exterieur“. Aber prüfen wir uns selbst ausreichend? Stellen wir uns wirklich darauf ein, dass wir es sein werden, die an sich arbeiten müssen, damit Harmonie, Nähe und Zufriedenheit einkehren dürfen, oder biegen und stutzen wir unseren neuen Partner vielleicht eher entgegen seiner natürlichen Eigenschaften für unsere Belange zurecht? Kurz gesagt: Verdienen wir die von uns gewünschte Harmonie und Feinheit in Umgang, Beziehung und Sport?
Der „bewusste“ Pferdekauf ist eine gute Möglichkeit, direkt schon zu Beginn Verantwortung, Respekt und Achtsamkeit zu zeigen. Meine Beobachtungen der Vergangenheit erweisen sich da doch oft als niederschmetternd. Es wird nach Mode gekauft, es wird nach Optik gekauft, es wird nach Papier gekauft, es wird nach rein sportlicher Eignung gekauft und es wird sich demnach reihenweise „verkauft“. Das Ergebnis: Mental und körperlich missachtete Pferde wie auch frustrierte, überforderte Menschen, die verkeilt, ähnlich wie in einer Zwangsehe, miteinander ausharren. Nehmen wir ein prägnantes – zugegeben überspitztes – Beispiel zur Hand.
Pferdekauf nach Modetrend
Der Iberer ist aus dem Importgeschäft nicht mehr wegzudenken. Im Grunde weder falsch noch irrsinnig, wenn es passt. Seine wunderbaren Typ-Eigenschaften ernten weltweit Begeisterung. Er gilt als bewegungsstark, nervenstark und temperamentvoll, intelligent, mutig, fordernd, sensibel, personenbezogen und ausdauernd.
Eine Vielzahl dieser Pferde landet aber deshalb auf dem deutschen Markt, weil ihre optische Präsenz einfach „trendy“ ist. Marketingvorlage ist in diesem Fall das gutaussehende, sich kraftvoll und weich bewegende Pferd mit viel Esprit, Ausstrahlung und im schlimmsten Fall bitte mit langer Wallemähne. In unserem Beispiel wird er von einer jungen Frau gekauft, deren bisherige Laufbahn in der Abteilungsreiterei „deutsches Pony in deutscher Reitschule“ oder dem „Ponyclub mit angrenzender Haflingerzucht“ lag. Das Reitabzeichen ist da, die junge Frau selbst ist in ihrer Grundenergie eher niedrig, sie ist zurückhaltend und schüchtern, eher unsportlich und genügsam. Sie ist schnell überfordert, etwas ungeschickt im Bereich Körperwahrnehmung und Körperspannung. Sie kann mit Druck nicht gut umgehen und geht einer Konfrontation eher aus dem Weg. Im Ernstfall reagiert sie eher überfordert und unbeherrscht. Sie wünscht sich ein freundliches, ausgeglichenes, genügsames Freizeit- und Verlasspferd für „dreimal-die-Woche“, schönes Ausreiten mit ihren Freundinnen aus dem Ponyclub, ein paar Zirkuslektionen wären auch schön. Daran ist nichts auszusetzen.
Gekauft wird nun über Kleinanzeigen endlich der optische Kindheitstraum. Frisch aus Spanien kommt ein vierjähriger PRE-Hengst mit Wallemähne, aus einer Leistungs- und Arbeitszucht, welcher bisher ungestört auf weiten Weiden seine Fähigkeiten getestet und seine mutige Persönlichkeit gefestigt hat.
Das vorläufige Ergebnis können Sie sich sicherlich denken? Zwei Persönlichkeiten werden zu Verlierern, der Traum wird zum Albtraum, das Pferd-Mensch-Paar strandet in einem toxischen Gefüge aus Angst, Überforderung, Aggression, Irritation, Isolation und Resignation. Die junge Frau vergießt Unmengen an hilflosen Tränen, verbringt schlaflose Nächte, zählt unverhofft viele blaue Flecken und im Stall steht ein verwirrter, traumatisierter, stoisch seine Persönlichkeit verteidigender Junghengst, welcher am Ende dieser Geschichte zum missverstandenen Wanderpokal wird. Im schlimmsten Fall überlebt sein Wesen nur knapp oder gar nicht die zig unrühmlichen Versuche der Abrichtung, der Enteignung seiner natürlichen Mentalität. Ein Happy End ist kaum in Sicht.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Schönheit eines Pferdes liegt sicherlich im Auge des Betrachters. Das darf auch gern so sein. Sie ist nicht falsch. Ich selbst bewundere auch „schöne Pferde“. Ich habe aber auch einen ausreichend reflektierten Umgang mit mir selbst, um zu wissen, dass – dem obigen Beispiel folgend – ein solcher iberischer Junghengst mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht glücklich mit mir wird. Zumindest müsste ich mich dafür bereitwillig „auf links“ drehen. Also tue ich ihm und mir das nicht an. Ich nehme dann lieber meine Kamera, statte ihm einen Besuch ab und fotografiere ihn im Morgentau, weil er mir in diesem Licht besonders gut gefällt.
Fazit: „Hallo Lieblingspferd“… Wer bist Du eigentlich und was brauchst Du?
Diese Fragen sind elementar. Stellen wir sie doch bitte in Fairness gleichermaßen dem Pferd wie auch uns. Und lernen wir mit der ehrlichen Antwort achtsam und respektvoll umzugehen. Nur dann kann eine wunderbare Geschichte daraus werden.
Mehr über Nico Welp erfahren Sie unter www.pferdehilfe-pro-equine.eu
Sehtipps (sofort abrufbare Online-Videos):
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