Ausstellung | Künstlerin Karen Lamassonne: Beine, Beine, immer wieder Beine
„Ich möchte mich von meinen Bildern angeturnt fühlen“, sagte Karen Lamassonne kürzlich im Interview mit Art in America. Wer es, etwas außer Atem, durch das knarzende Treppenhaus in das dritte und letzte Stockwerk der Berliner KW geschafft hat, weiß sofort, was die 1954 in den USA geborene kolumbianisch-amerikanische Künstlerin damit meint. Satte Aquarelle überall, darauf nackte feminine Pos, Brüste und Beine, Beine, immer wieder Beine. Vor dem Bücherregal stehend, auf dem Bidet sitzend, hingegossen auf dem bunt gekachelten Badezimmerboden. Köpfe und Gesichter sind selten zu sehen, und wenn, dann meist nur von hinten oder als abgedunkeltes Bildelement. In einer delikaten Balance aus leicht angeschmutztem Sanitär-Weiß und knalligen bis pastelligen Farbakzenten werden die Betrachter*innen hier in intimste Settings eingeladen.
Doch der zweite Reflex, der bei einer auch nur geringen Kenntnis westlicher feministischer Kunst aus den 1970er und 1980er-Jahren – dem Zeitraum, in dem auch diese Baños betitelte Serie entstand – sofort aufblitzt: Stehen wir hier vor einer klassischen misogynen Crime Scene? Nackte Frauen, allein in der abgeschlossenen häuslichen Sphäre, noch dazu hingestreckt auf weißen Fliesen? Geht es um patriarchale Gewalt, die Frauen isoliert, ihnen die Kleider vom Leib reißt und sie ermordet? Das Gegenteil ist der Fall.
In Karen Lamassonnes erster internationaler Werkschau zwischen New York, Berlin und Medellín geht es um den Genuss weiblichen Alleinseins. Das private Sinnliche wird öffentlich gemacht und wird zu einem Statement für einen befreiten, emanzipatorischen Lebensstil. Und genau das war im klerikal-machistisch geprägten Kolumbien, in das die angehende Künstlerin mit 17 Jahren aus den USA mit ihrer argentinisch-kolumbianischen Familie zurückkehrte, der eigentliche Skandal: Als Lamassonnes Werke 1979 in der Galería del Club de Ejecutivos in Cali gezeigt wurden, die an einen Club für reiche Businessmänner angeschlossen war, kam es zum Eklat. Nur vier Tage nach der Eröffnung verlangte ein CEO eines großen Versicherungsunternehmens, der in den Räumlichkeiten einen Vortrag halten sollte, dass die „obszönen“ Badezimmerbilder abgenommen wurden – und verhalf Lamassonne so zum Legendenstatus.
Karen Lamassonne zeigt Alleinsein als Quelle der Freude
In einem aktuellen Gespräch mit dem Kunstprofessor Miguel González erinnert sie sich daran, wie es nach dem Auszug aus der elterlichen Wohnung in Bogotá zu diesen Bildern kam: „Die Malerei wurde mein Kanal dafür, alles in mir auszudrücken, auch mein sexuelles Selbst. Meine Arbeit beinhaltete Selbstporträts mithilfe von Spiegeln, bei denen ich normalerweise nackt war. Ich war so glücklich in meinem Haus. Es war nicht üblich, als weiblicher Single allein zu leben, und daher gab es mir Sicherheit, mich in meiner vertrauten Umgebung zu malen. Meine Arbeit war für mich und nicht dafür, anderen zu gefallen.“
Auch die 1984 konzipierte und in dieser Schau erstmals realisierte Installation Ruido (Lärm) zeigt das Alleinsein als Quelle der Freude: In einem langen, kalten Winter in New York wälzte sich Lamassonne nackt im Schnee und filmte sich dabei. Fünf Fernseher berieseln nun in einem dunklen Raum vor ihnen stehende Bilder mit dem kalten Licht weißen Rauschens sowie den Schneeaufnahmen, doch die Gemälde selbst haben so gar nichts Unbehagliches. Sie zeigen nackte Beine in der Badewanne oder auf einer Decke, die an Ruhe, Entspannung, vielleicht sogar postmasturbatorische Glückseligkeit denken lassen.
Die rund ein Jahrzehnt später entstandene Serie Cali treibt die Darstellung selbstbestimmter weiblicher Lust noch ein Stück weiter: Die Hommage an die Stadt, die wegen der Panamerikanischen Spiele 1971 eine radikale städtebauliche Modernisierung durchlief und sich zur Partyhauptstadt entwickelte, zeigt die Künstlerin hier als knallbunten Pop-Surrealismus, dem Lust und drohender Untergang (Kirchtürme und Kreuze sind nie fern) blutrot aus jeder Pore tropfen. Weibliche und männliche Körper sind hier grau schattiert und riesenhaft (man denke an Attack of the 50 Foot Woman oder King Kong) ineinander verschlungen und lassen die Grenzen zwischen Drinnen und Draußen, Privatem und Öffentlichem verschwimmen.
Das Filmische dieser Larger-than-life-Inszenierungen kommt nicht von ungefähr. Als Art-Direktorin und Lebensgefährtin des Regisseurs Luis Ospina war Karen Lamassonne Teil der Grupo de Cali, die unter dem Spitznamen „Caliwood“ das kolumbianische Kino revolutionierte. In der Ausstellung ist der Film Pura Sangre (Pure Blood, 1982) zu sehen, bei dem Ospina Regie führte und für den Lamassonne das Storyboard entwarf. Dieser längst als Kultklassiker geltende Horrorfilm zeigt eine weitere Dimension von Lamassonnes politischem Denken: Mit einem im Sterben liegenden Millionär, der nur durch das frische Blut armer Jungs am Leben gehalten wird und dessen betrügerischer Sohn Adolfo heißt, ist er eine Allegorie auf den Vampirismus der herrschenden Klasse. Lamassonne zeigt mit ihrem Werk eindrücklich, wie sich Sinnlichkeit und Kritik nicht ausschließen.
Karen Lamassonne – Ruido/Noise KW, Berlin, bis 14. Mai
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