Ex-US-Präsident vor Gericht: Wie sich Trump aus dem Schlamassel herauswinden will – ein Blick in seine üppige Prozessakte
Donald Trump pöbelt gerne, aber flucht nie. Jetzt war es bei einem Auftritt in New Hampshire soweit. Angesichts einer Klageflut wird der Ex-US-Präsident möglicherweise nervös. Dabei hat er die Erfahrung aus rund 4000 Rechtsstreitigkeiten.
Zurückhaltung war noch nie eine Stärke von Donald Trump. Doch mit jedem Tag, an dem sein juristischer Problemberg wächst, wird seine Zündschnur noch kürzer. Bei einer Rede in New Hampshire verlor er nun auch den letzten Rest Contenance und rief lautstark Kraftausdrücke in die Menge: Weil er wegen "Bullshit" im Gerichtssaal sitze, werde er nicht an allen Wahlkampfveranstaltungen teilnehmen können, meckerte er. Wörter wie Bullshit, also Scheiße, gehörten bislang nicht zum Pöbel-Repertoire des Ex-Präsidenten. Sein Publikum reagierte umgehend mit "Bullshit, Bullshit, Bullshit"-Rufen.
Es kommen noch viele Anlässe zum Fluchen
Nach Stand der Dinge dürften sowohl der Mehrfach-Beschuldigte selbst als auch seine Anhänger in den kommenden Monaten noch sehr viele Anlässe zum Fluchen bekommen. Drei Anklagen sind bereits verlesen, eine vierte dürfte Mitte August hinzukommen:
- In Washington steht Trump demnächst wegen seiner Rolle beim Kapitolsturm vom 6. Januar 2021 vor Gericht. Im Wesentlichen geht es darum, ob der damalige Noch-Präsident seine Anhänger ermuntert haben soll, das Parlamentsgebäude zu stürmen, um die rechtmäßige Präsidentschaftswahl zu kippen. Sonderermittler Jack Smith hat jetzt beantragt, den Prozess am 2. Januar 2024 beginnen zu lassen. Er rechnet damit, dass die Verhandlungen sechs Wochen dauern werden.
- In Fort Pierce, Florida, findet der Prozess in der Dokumentenaffäre statt. Dabei geht es um Trumps Umgang mit sensiblen und teilweise streng geheimen Regierungspapieren, die er zahlreich mit in sein Anwesen Mar-a-Lago genommen hatte. Auch hier wurde er von Sonderermittler Jack Smith angeklagt. Ende Juli hatte der die Vorwürfe ausgeweitet: So soll Trump angeordnet haben, Videoaufnahmen zu löschen. Am 10. August plädierte der Ex-Präsident erneut auf unschuldig.
- In New York City muss sich Donald Trump wegen angeblicher Schweigegeldzahlungen an die Pornodarstellerin Stormy Daniels verantworten. Eine erste Anhörung ist für den 4. Dezember dieses Jahres angesetzt, der eigentliche Prozess könnte ebenfalls im Januar beginnen.
- In Atlanta, Georgia, tagt Mitte August eine Grand Jury zu Vorwürfen, Donald Trump habe versucht, das Wahlergebnis in dem Bundesstaat zu manipulieren. In einem Telefonat während der Auszählung 2020, soll er den Wahlleiter aufgefordert haben, genügend Stimmen für ihn "zu finden", um das Ergebnis "nachzuberechnen". Sollte auch in dem Fall Anklage erhoben werden, dürfte es der umfangreichste Prozess werden. Nach Angaben der "New York Times" drohen 20 Personen aus dem Trump-Umfeld juristische Schwierigkeiten.
STERN PAID 33_23 Trump-Präsidentschaft Folgen 20.00
Eine solche Fülle an Klagen ist in der US-Geschichte beispiellos, allein schon, weil noch nie ein (ehemaliges) amerikanisches Staatsoberhaupt vor Gericht stand. Donald Trump selbst aber ist in juristischen Schwierigkeiten mehr als geübt. In schätzungsweise 4000 Verfahren war er in seinem Leben bereits involviert – sowohl als Beklagter, als auch als Kläger. Die Fälle drehten sich um seine Pleitekasinos, um Steuerfragen, um Verleumdungen und Sexvorwürfe. Im klagefreudigen New Yorker Immobilienbusiness hatte Trump in seiner aktiven Zeit mehr juristische Verfahren angehäuft, als die fünf größten Betonmagnaten der Stadt zusammen, wie die "USA Today" vor einigen Jahren errechnet hat.
Klagedrohung als "Verhandlungsargument"
Manche Trump-Kenner glauben sogar, dass ihn sein verschwenderischer Einsatz von Juristen überhaupt erst erfolgreich gemacht hat. Denn was dem New Yorker an Geschäftssinn fehlte, konnte er ausgleichen, in dem er sein 200 bis 900-Millionen-Dollar-Erbe in Gerichtsverfahren und Anwälte investierte. Prozessieren wird besonders für kleine Firmen in den USA schnell existenzbedrohend, weswegen schon die entsprechende Drohung zum überzeugenden "Verhandlungsargument" werden kann. Trump hat nachweislich Aberdutzende von Handwerkerfirmen in die Pleite getrieben.
So war es auch Trumps erster Anwalt, Roy Cohn, der dem Immobilien-Neuling nicht nur die Scheu vor Gerichten nahm, sondern ihm nebenbei auch beibrachte, wie man ganz generell erfolgreich agiere: "Entschuldige dich nie, greife immer an, schlage immer einmal härter zurück". Cohn, der auch die Mafia vertrat, blieb bis zu seinem Aids-Tod Trumps Anwalt, Intimus und Fixer. Selbst Jahrzehnte später soll Trump in schwierigen Situationen nach "seinem Roy" gerufen haben.
Donald Trump fährt Täter-Opfer-Umkehr-Taktik
Kennengelernt hatten sich die beiden 1973, beim ersten großen Prozess, an dem Donald Trump beteiligt war. Das Familienunternehmen besaß damals zwar Abertausende von Wohnungen in den Stadtteilen Queens und Brooklyn, doch Schwarze waren dort so gut wie nie zu sehen. Die Trumps duldeten in ihren Häusern keine Afro-Amerikaner. Das US-Justizministerium verklagte die Trump Organization deswegen – und der Chef klagte zurück: auf 100 Millionen Dollar. Begründung: Die Regierung wolle ihn zwingen, Wohnungen an "Sozialhilfeempfänger" zu vermieten. Am Ende verlor Trump beide Prozesse, wurde aber nie verurteilt sondern immer nur "ermahnt".
Der Biograf Michael D'Antonio schrieb dazu: Es das erste Mal, dass Donald Trump die Täter-Opfer-Umkehr als Taktik einsetzte und so tat, als sei er es, dem ein Unrecht widerfährt. Im Grunde hat sich an diesem, einst von Gangster-Anwalt Roy Cohn ersonnen Vorgehen, nie wieder etwas geändert: Wann immer es nicht so lief, wie Trump es wollte, und das tat und tut es ziemlich oft nicht, zeigte er mit dem Finger auf andere. Mittlerweile ist es sein Markenzeichen geworden.
Kapitolstrum - Mitverschwörer von Donald Trump
Oft genug aber kam seine aggressive Vorwärtsverteidigung als schmerzhafter Bumerang zurück. 2011 etwa wollte Trump sagenhafte fünf Milliarden Dollar Schadenersatz von Autor Timothy O'Brien einklagen. Der hatte für sein Buch "Trump Nation" die Vermögensverhältnisse des damaligen TV-Stars angeschaut und geschrieben, dass Trump "nur" zwischen 150 bis 250 Millionen Dollar besäße. Der selbsternannte Multimilliardär sah sein Ansehen beschädigt. Im Prozess schwadronierte er unkonkret wie freimütig, dass seine stets unterschiedlichen Vermögensangaben davon abhängten, wie "er sich gerade an dem Tag fühle". Am Ende wies das Gericht Trumps Klage ab, weil sie nur auf eine "Gefühlslage" statt auf Tatsachen beruhe.
Donald Trumps "Gefühlswerte"
Gefühlig, aber kalkulierend soll Trump auch gegenüber Finanzamt und Geldgebern vorgegangen sei. So ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft von New York gegen die Familienholding Trump Organization. Sie soll den Wert von Immobilien künstlich aufgeblasen haben, um Kredite zu erhalten. Wenn es aber um Steuern und Versicherungen ging, habe das Unternehmen die Werte wiederum kleingerechnet. 250 Millionen Dollar Strafe sollen dafür fällig werden. Trump persönlich aber ist in diesem Fall nicht angeklagt.
Ob Donald Trump seinen Hals aus all diesen Schlingen wird wieder herausziehen können, ist noch völlig unklar. "Das sind alles einmalige Vorgänge, da hat niemand Erfahrung mit. Deshalb ist auch fraglich, ob es überhaupt zu einer oder mehreren Verurteilungen kommen wird", sagte der US-erfahrende Anwalt Jürgen Rodegra jüngst dem stern. Sein Anwaltsteam jedenfalls versucht derzeit mit Formalien, eine passable Ausgangssituation herbeizutricksen.
PAID Analyse: dritte Anklage 6.13
Der Fokus dürfte dabei auf den schwerwiegenden Prozess in Washington stehen. Die "New York Times"-Journalistin und wohl beste Trump-Kennerin Maggie Haberman glaubt, dass sich Trumps Verteidigerteam auf Richterin Chutkan stürzen werde, um sie wegen "Befangenheit" abzusetzen, wie die Reporterin im Sender CNN sagte.
Richterin: "Präsidenten sind keine Könige"
Denn mit Tanya Chutkan werde er "auf keinen Fall ein faires Verfahren" bekommen, klagte Trump, nachdem bekannt wurde, dass sie die Verhandlung über die Verschwörung zum Betrug an den USA leiten würde. Mehrfach verurteilte sie bereits Kapitol-Angreifer, keiner von ihnen kam mit einer milden Strafe davon. Im Herbst 2021 musste sie zudem darüber befinden, ob das Ex-Staatsoberhaupt Unterlagen und Dokumente, die mit dem 6. Januar 2021 zu tun haben könnten, an die Ermittler zu übergeben müsse. Die Bezirksrichterin hatte dazu eine eindeutige Meinung. Ja, denn "Präsidenten sind keine Könige."
PAID Trump-Anklage als Demokraten-Dilemma 9.43
Von der Bezirksrichterin wird der Ex-Präsident nur wenig Mitgefühl erwarten können. Im Fall dieses Prozesses kommt noch hinzu, dass er in der Hauptstadt Washington stattfindet – nicht gerade eine Hochburg der Trumpisten. Das bedeutet: Auch in der aus Bürgern der Stadt zufällig zusammengesetzten Jury werden eher wenig Trump-Anhänger sitzen. Das Anwälteteam versucht deshalb den Gerichtsstand zu ändern. Raus aus der Hauptstadt, rein ins benachbarte West-Virginia. Dort bekam der Beklagte 2020 fast 70 Prozent der Stimmen. Wie bei der Richterinnenfrage ist die Aussicht auf den Gerichtsstandwechsel aber gering.
Jede Woche ohne Prozess ein Sieg für Trump
Solche Verfahrenstricks sind üblich, auch wenn sie den Prozess nur verzögern. Oder manchmal auch gerade deswegen. Im Januar beginnt in den USA der Vorwahlkampf, und dann ist jede Woche ohne Gerichtstermin ein kleiner Sieg für Donald Trump. Zwar wird ihm in der Republikanischen Partei keiner mehr die Kandidatur streitig machen, doch unentschlossene Wähler gewinnt er mit den zu erwartenden Prozessdetails kaum hinzu. Trump und seine Anwälte versuchen deshalb den Beginn der Verfahren auf Ende 2024 zu verschieben – wenn die Wahl gelaufen ist. Auf diese Weise würde der Wahlkampf nicht beeinflusst. Plus: Die Anklagen seien derart komplex, dass es sehr viel Zeit brauche, um sich einzuarbeiten. Argumente, die tatsächlich schlecht von der Hand zu weisen sind.
Quellen: USA Today, CNN, "New York Times",270towin, "Vanity Fair", Michael D'Antonio: "Die Wahrheit über Donald Trump", Rick Reilly: "Der Mann, der nicht verlieren kann", Mary Trump: "Zu viel und nie genug"