Wetterphänomene: Heiß, heißer, Europa: Warum erhitzt sich der Kontinent schneller als der Rest der Welt?
Auf einen zu warmen Februar folgte in Deutschland ein zu warmer März. In Europa setzen sich die Temperaturrekorde des vergangenen Jahres fort. Woran liegt das? Und welche Rolle spielt der Klimawandel?
Das Jahr 2023 brachte Europa zum Schwitzen: Elf Monate lang jagte ein Temperaturrekord den nächsten. Der Hitzetrend von 2023 könnte sich demnach in diesem Jahr fortsetzen, zeigten zuletzt Daten des Deutschen Wetterdienstes. Das gilt für die globale Durchschnittstemperatur, noch mehr aber für den europäischen Kontinent. Dort sind die Temperaturen verglichen mit dem weltweiten Wert doppelt so stark angestiegen: Seit den frühen 1990er Jahren um knapp 0,05 Grad pro Jahr.
Was auf den ersten Blick kaum erwähnenswert wirkt, kratzt über einen Zeitraum von 30 Jahren hinweg an der 1,5-Grad-Marke, hat das Forschungsinstitut Berkely Earth errechnet. Jener roten Leitplanke, die es nach Einschätzung zahlreicher Wissenschaftler um jeden Preis zu halten gilt. Dass das längst nicht mehr möglich ist, haben zuletzt mehrere Studien gezeigt. Führende Klimatologen halten es deshalb für realistischer, den Temperaturanstieg um zwei Grad zu begrenzen.
IV Können wir unseren Planeten noch retten? 10.59
"Die dafür nötigen Klimaschutzmaßnahmen, die wir jetzt vorantreiben, nutzen aber nicht dieser, sondern erst der nächsten Generation", räumt Meteorologe Peter Hoffmann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ein. Die schon jetzt teils drastischen Klimaveränderungen werden sich demnach mindestens in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten fortsetzen. Das gilt auch für die rekordverdächtige Erwärmung Europas.
Doch woran liegt es, dass sich ausgerechnet dieser Kontinent im Vergleich zum Rest der Welt so schnell aufheizt?
Grundsätzlich erhitzt sich die Nordhalbkugel im Vergleich zum Süden deutlich stärker und schneller. Das liegt an der unterschiedlichen Verteilung von Land- und Wassermassen. Ozeane bedecken 70 Prozent des gesamten Planeten, und dabei vor allem die Südhalbkugel. Anders als Landmassen erwärmen sie sich wesentlich langsamer und drücken damit den globalen Temperaturdurchschnitt.
© Nasa
Wettermuster in Europa verändern sich
In Europa hängt der Temperaturanstieg wohl vor allem mit den sich ändernden Wettermustern zusammen. Über dem Kontinent beobachten Meteorologen vermehrt südwestliche Hochlagen. Dabei handelt es sich um Luftströmungen, die den Kontinent vom Atlantik aus südwestlicher Richtung erreichen und wärmere Luft nach Europa bringen. Anders als Tiefs können sie über mehrere Tage oder Wochen anhalten. "Eigentlich handelt es sich dabei um natürliche Wetterphänomene, die im Sommer Hitze mit sich bringen", erklärt Hoffmann. Mittlerweile beschränken sich diese Phänomene aber nicht mehr auf den Sommer, sondern beginnen bereits im Februar.
Unklar ist bislang, welche Rolle der Klimawandel dabei spielt. Hoffmann geht davon aus, dass auch die Erwärmung der Ozeane – für die ebenfalls noch eine Erklärung fehlt – zum europäischen Temperaturanstieg beträgt. Besonders der Nordatlantik, die "Wetterküche Europas", habe sich zuletzt stark aufgewärmt. "Das ist sehr ungewöhnlich, trägt aber dazu bei, dass bestimmte Wetterlagen heute eben noch höhere Temperaturen zu uns führen können als noch vor Jahrzehnten", erklärt der Meteorologe.
Wenn das Eis schmilzt
Einige Klimaforscher gehen davon aus, dass auch die Erwärmung der Arktis solche Hochlagen begünstigt. Verglichen mit der globalen Durchschnittstemperatur erhitzt sich die Region drei- bis viermal so schnell. Durch die abschmelzenden Polkappen werden Meeresflächen freigelegt. Die Sonneneinstrahlung wird dann nicht mehr von hellen Flächen reflektiert, Fachleute sprechen von Albedo-Effekt, sondern von dunklen Flächen gespeichert. So beschleunigt sich wiederum die Schneeschmelze. Gleichzeitig verringert sich der Temperaturunterschied zwischen den Polen und dem Äquator, der den Polar-Jetstream antreibt.
Der Starkwind bewegt sich um den gesamten Globus und sorgt in Europa für abwechslungsreiches Wetter. Gleichen sich die Temperaturen zwischen dem Pol und dem Äquator an, verlangsamt sich der Jetstream "und neigt dazu, sich wellenförmig über den Globus zu ziehen", erklärt Meteorologe Hoffmann. Anstatt gemäßigter Westwindwetterlagen vom Atlantik begünstigen die Veränderungen ein häufigere Südwestlagen. Hält sich der Strom warmer Luftmassen aus Südspanien über Wochen, würden neue Temperaturrekorde wahrscheinlich.
Dagegen können sich auch durch Kaltluftausbrüche beständige Unwettertiefs über dem Mittelmeerraum bilden, die zu starkem Dauerregen auch in Deutschland führen.
Welche Rolle spielt der Klimaschutz?
Gegenüber dem ZDF äußerten Klimaforscher zudem die Theorie, dass saubere Luft ebenfalls eine Rolle spielt. Ähnlich wie helle (Schnee-)Flächen reflektieren auch Partikel in der Atmosphäre die Sonneneinstrahlung und kühlen so den Planeten. Seit den 1990er Jahren geht dieser Effekt in Europa immer deutlicher zurück. Grund dafür sind unter anderem Entschwefelungsanlagen in Kraftwerken.
Auf der Suche nach Lösungen liebäugeln Forscher und Unternehmer mit der Idee, Schwefel gezielt freizusetzen, um die Erderwärmung einzudämmen. Solche Ansätze aus dem Geoengineering sind allerdings besonders in der Bundesrepublik hoch umstritten, weil die Folgen noch nicht absehbar sind.
Wird Europa zur Wüste?
Dass sich Europa verglichen mit anderen Weltregionen so stark erhitzt, bedeutet allerdings nicht, dass der Kontinent stärker als andere Teile der Erde von der Erderwärmung betroffen ist. Nur: "Verlässliche Prognosen über die verschiedenen Auswirkungen des Klimawandels auf einzelne Weltregionen sind mit starken Unsicherheiten behaftet", sagt PIK-Forscher Hoffmann. Ob die hitzebringenden Hochlagen dauerhaft über Europa hängen, werde derzeit wissenschaftlich untersucht. Sollte sich der Jetstream verlangsamen, wie es manche Studien nahelegen, könnte sich dieses Szenario bestätigen. Andere Modelle zeigen dagegen, dass die Geschwindigkeit des Strahlwindes durch den Klimawandel in der Mitte des Jahrhunderts wieder zunehmen könnte. Auch wenn es Widersprüche gibt, sind sich Klimaforscher ingesamt einig: Extremereignisse werden häufiger.
"Würde man sich jetzt aktiv für den Umwelt- und Klimaschutz einsetzen, könnte man Schlimmeres verhindern", resümiert Hoffmann. "Aber das funktioniert nur mit einer ambitionierten Umsetzung."
Quellen: Erbeobachtungsprogramm Copernicus, Berkeley Earth, NOAA, Nasa, NCAR, Max-Planck-Gesellschaft