Schädlinge: 250.000 Ratten in Freiburg? Ein Schädlingsbekämpfer über schlaue Nager und ihre Vorlieben
In Freiburg sollen 250.000 Ratten leben – mehr Nager als Einwohner. Wahrscheinlich kein Einzelfall. Denn Ratten und Mäuse profitieren von der Klimaerwärmung. Gespräch mit einem Schädlingsbekämpfer über schlaue Ratten und ihre Vorlieben für Nutella oder Edel-Salami.
Herr Fritschmann, Ihr Unternehmen schockierte mit einer Zahl: In Freiburg soll es 250.000 Ratten geben - mehr als Einwohner. Wie haben Sie diese Zahl ermittelt?
Das ist eine Hochrechnung, und die gilt für jede Großstadt. Man rechnet mit ein- bis zweimal so vielen Ratten wie Einwohner. Ratten gehören zur Normalität in jeder Stadt.
Die leben normalerweise unsichtbar in Kanälen. Aber in Freiburg wurden sie sichtbar. Nachbarn klagen über tote Ratten auf der Straße und auf dem Spielplatz. Hat die Stadt eine Rattenplage?
Freiburg insgesamt hat keine Rattenplage, es gibt allerdings einige Hotspots. Beispielsweise im Stadtteil Weingarten.
Was ist der Grund?
Betroffen ist vor allem eine Wohnsiedlung am Auggener Weg mit 120 Wohnungen. Dort gibt es an den Müllplätzen Probleme. Leider tragen die Bewohner selbst dazu bei. Je größer die Anonymität im Haus, desto schlechter ist oft das Müllmanagement, das zieht die Tiere an. Hinzu kommt Mülltourismus, in Weingarten sieht man an manchen Ecken Müll, keiner weiß, wer den ablud. Ratten gehen vorzugsweise an Gelbe Säcke, die Essensreste beinhalten und reißen diese auf.
Die Ratten beißen die auf?
Kein Problem! Wenn Sie wüssten, was Ratten alles durchnagen.
Zum Beispiel?
Die durchbeißen PVC-Rohre, und sogar Holz – über die Folie von Gelben Säcke lachen die nur…
Dann ist die Ursache, dass die Säcke nicht abgeholt werden?
Das Problem ist, dass sie draußen länger gelagert werden. Ich persönlich bringe meinen Müllsack immer erst raus, wenn er abgeholt wird, damit den Tieren keine Nahrungsquelle geboten wird. Die Müllabfuhr verteilt jetzt Tonnen für die Gelben Säcke. Das wird die Population der Ratten reduzieren.
Nimmt die Zahl der Ratten zu?
Die Klimaerwärmung macht sich bemerkbar, vor allem bei Mäusen, die werden deutlich mehr. Es sterben weniger Tiere im Winter. Bei Ratten bemerken wir auch, dass wir mehr Aufträge bekommen, etwa fünf Prozent mehr pro Jahr.
Was für Aufträge sind das?
Zwei Drittel haben mit Ratten in Nähe von Müllplätzen zu tun, ein Drittel mit Ratten im Haus.
Wie kommen sie ins Haus?
Ratten sind zwar gern in der Nähe von Menschen, aber eher im Außenbereich. Die Wanderratte hat einen Aktionsradius von einem Kilometer pro Tag, sie bewegt sich unterirdisch im Kanal, wenn ein Rohr defekt ist, gräbt sie sich an die Oberfläche hoch,. Ins Haus kommt sie meist durch die Kanalisation, (wenn sie beispielsweise durch Essenreste angelockt werden, die in der Toilette entsorgt wurden). Ratten können sogar Wasserrohre aus PVC im Haus durchnagen, so gelangen sie in Zwischenräume, in Decken und Wände, sogar auf den Dachboden. Manchmal durch das Abwasserrohr auch in Bad und Toilette.
Wie reagieren Ihre Kunden, wenn eine Ratte aus der Toilette schaut?
Sie sind aufgelöst, das sind Notfälle!
Was raten Sie, wenn man so ein Tier in der Wohnung entdeckt?
Das Beste ist, wenn das Tier dortbleibt, bis wir kommen und es fangen. Schwieriger wird es, wenn die Ratte wieder in der Toilette verschwunden ist.
Wie lässt sie sich dann vertreiben?
Es gibt baulich eine vorbeugende Lösung, die allerdings nicht in jedem Haus funktioniert. Die Ratte klettert das Abwasserrohr, senkrecht nach oben. Das schafft sie nur, weil sie die Beine auf die eine, den Rücken auf die andere Seite drückt. Das Rohr hat in der Regel zehn Zentimeter Durchmesser. Wenn man ein Teilstück gegen ein zwanzig Zentimeter Rohr tauscht, dann kommen Ratten nicht mehr hoch.
Was hilft, wenn ein neues Rohr nicht möglich ist?
Wenn die Ratte wieder abgetaucht ist, raten wir, etwas Schweres auf den Klodeckel zu stellen, damit sie nachts nicht eindringen kann - Ratten sind nachtaktiv.
Sind Ratten in der Lage, einen Klodeckel anzuheben?
Sicher - Ratten sind kräftige Tiere. Zusätzlich platzieren wir Köder im Kanal, Der Wirkstoff wirkt erst fünf bis sieben Tage nach der Aufnahme tödlich. Zudem dauert es einige Zeit, bis Ratten den Köder aufnehmen, da sie scheu gegenüber Neuem sind.
Wie reagieren Ratten, wenn sie in die Ecke getrieben werden?
Wenn alle Fluchtwege versperrt sind und man sie in eine Ecke treibt, kann sie aggressiv werden.
Wie schützen Sie sich?
Wegspringen. Sonst werden Sie gebissen.
Wie gehen Sie dann vor?
Man entwickelt im Lauf der Jahre ein Gespür für die Tiere, wie weit man auf sie zugehen kann, ohne dass sie aggressiv werden. Ihre Stimmung kann in Sekunden umschlagen.
Woran erkennen Sie die Stimmung?
Wenn die Ratte nicht mehr ängstlich, sondern aggressiv wirkt. Dann sollte man einen Schritt zurück machen, sonst kann es sein, dass die Ratte sie attackiert.
Kliniken in England klagen über Ratten, Ameisen und andere Schädlinge 17:49
Wurden Sie schon mal von einer Ratte gebissen?
Nein.
Sie haben vermutlich Ihre Hosenbeine unten gut zugebunden?
Das ist von Vorteil.
Wie bekommen Sie sie zu packen?
Beispielsweise, indem wir ihr einen Karton überstülpen. Man versucht sie dann, in einen Eimer zu kriegen und schnell den Deckel drauf. Jeder hat da seine eigene Technik.
Ratten gelten als hochintelligent. Wurden Sie schon mal ausgetrickst?
Ständig! In Gebäuden stellen wir auch klassische Schlagfallen. Allerdings: Manche Ratten laufen über die Falle drüber, ohne die Wippe zu berühren.. Ich bin immer wieder überrascht, wie clever die sind, eine Herausforderung an uns Schädlingsbekämpfer.
Mäuse schaffen es, eine Falle leer zu fressen und dabei nicht geschnappt zu werden. Ratten auch?
Darin sind Ratten sogar noch besser. Die Schlagfalle hat eine Wippe mit einem Loch, in diesem Loch ist der Köder. Wenn sie sehr geschickt ist, kann sie den Köder aus der Fressschale ziehen, ohne an die Wippe zu kommen.
Was mag die Ratte?
Fischige Sachen, aber auch süß, beispielsweise Nutella. Oder herzhaft, wir hatten auch schon eine Ratte, die mochte Cabanossi-Salami.
Klingt wählerisch.
Es kommt darauf an, in welcher Umgebung die Tiere aufgewachsen sind. Die werden zu Nahrungsspezialisten. Sind sie in einem Salamibetrieb groß geworden, mögen sie Salami, sind sie in einem Nutella-Betrieb aufgewachsen, mögen sie Nutella.
Es muss also kein Käse sein?
Käse funktioniert oft nicht.
Wie sehen Sie Ihre Rolle?
Wir sind Detektive und lesen Spuren. Anschließend überlegen wir uns eine Lösung und werden dann zum Fallensteller.
Ratten gelten als soziale Tiere, empathisch mit ihresgleichen.
Sie leben im Rudel, sie haben eine Hackordnung. Die Alpha-Tiere führen das Rudel. Wenn ich ein kräftiges Tier vor mir habe, muss ich vorsichtiger sein als bei einem Jungtier.
Welche Prävention gibt es gegen Ratten?
Wir bekämpfen sie präventiv mit Köderstationen im Kanal. Man wird es jedoch nie schaffen, dass es keine Ratten mehr im Kanal gibt. Sie vermehren sich sehr schnell, eine Rättin wirft mehrmals pro Jahr.
Welches Rattengift legen Sie aus?
Meist nimmt man Blutgerinnungshemmer, sogenannte Antikoagulantien. Diese sind in Deutschland zugelassen[IE1] und sehr sicher konzipiert. Der Köder besteht überwiegend aus einem attraktiven Köder, wie beispielsweise Weizen, der mit dem Wirkstoff und zusätzlich mit dem starken Bitterstoff Bitrex versehen ist, den Ratten nicht wahrnehmen, der aber bei Menschen umgehend einen Würgereiz verursacht.
Was ist mit Hunden und Katzen, die versehentlich Rattenköder fressen?
Der Wirkstoff wirkt nicht sofort, es dauert fünf bis sieben Tage, erst dann findet keine Blutgerinnung mehr statt. Wenn ein Hund oder eine Katze einen Köder gefressen hat und gleich zum Tierarzt gebracht wird, spritzt er Vitamin K als Gegengift.
New York, mit inzwischen 3 Millionen Ratten, will die Population mit Ködern eindämmen, die die Tiere unfruchtbar machen, Dänemark plant ähnliches mit "Anti-Babysaft". Eine gute Idee?
Wir haben keine Erfahrung damit, aber ein Versuch ist es durchaus wert
Es ist nicht leicht, der klugen Ratte beizukommen?
Viele Optionen hinsichtlich der Wirkstoffe haben wir nicht: Neben Antikoagulanzien gibt es noch Vitamin D3, das die Organe angreift. Teilweise haben die Leute mehr Angst vor den Wirkstoffen als vor den Nagern selbst. Aber ohne Wirkstoff ist die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs geringer, insbesondere bei mehreren Tieren. Ratten lernen schnell. Läuft eine Ratte in eine Schlagfalle, ist es sehr wahrscheinlich, dass die zweite das nicht tut, weil sie aus Fehlern der anderen lernt.
Wenn eine Ratte einen Köder frisst und sofort verendet, gehen die anderen nicht mehr ran?
Ja, bei einem Akutgift ist es sehr wahrscheinlich, dass wir höchstens eine Ratte bekommen.
Was hilft also, wenn sie, wie in Weingarten, im Rudel auftritt?
Wenn es mehr als ein Tier ist, beispielsweise auf einem Müllplatz, kann man die Bewohner aktiv einbinden. Wir verlagern den Müllbereich, oder die Bewohner behalten den Müll für vier Wochen in der Wohnung oder im Keller, so dass wir mit unseren Ködern den Ratten die einzige Nahrungsquelle liefern. Dann konkurrieren wir nicht mehr mit Joghurt- oder Lasagne-Resten, dann gibt es nur noch unser Fressen. Das funktioniert sehr gut.
Das Rattenproblem soll es in Weingarten schon seit zehn Jahren geben. Wie lange dauert es, es zu lösen?
Vor zwei Jahren war es schlimmer. Wir haben sie oberirdisch und im Kanal bekämpft, mittlerweile haben wir es gut im Griff, bis auf wenige Ecken.
Das Gebäude gehört der Vonovia. Vonovia-Mieter klagen in mehreren Städten über eine Rattenplage, Zufall?
Die Vonovia bietet eher günstigen Wohnraum an. Dies kann sozio-ökonomische Probleme mit sich bringen. Viele Müllplätze in Weingarten sind nicht so gepflegt. Zusätzlich laden auch Fremde hier Müll ab, oft sind Zuständigkeiten unklar. Der Rattenbau liegt auf privatem Gelände, zwischen Müllplatz und Spielplatz. Hier müsste der Vermieter tätig werden. Das fehlende Zusammenspiel von vielen Parteien, die man ins Boot holen muss, macht es uns schwierig und den Ratten einfach.
Die zeigen sich manchmal auch tagsüber, fühlen sich also sicher?
Ja, je mehr Ratten an Menschen gewöhnt sind, desto zahmer werden sie und verlieren jede Scheu.